Im Dialog mit dem Körper. Susanne KersigЧитать онлайн книгу.
auf alle Fälle, sich kompetent begleiten zu lassen. Dieser Prozess ist in der Regel zu komplex, um ihn allein durchzuführen.
Da das Focusing ein natürlicher Prozess ist, können Sie die Körperdialoge oder Elemente aus den Körperdialogen auch mit anderen Methoden, die Sie bereits kennen, verbinden. Voraussetzung ist, dass Sie die Haltung der inneren Achtsamkeit und Absichtslosigkeit dabei nicht verlassen und dass Sie aus dem eigenen Felt Sense heraus handeln, wie ich es in Kapitel 10 näher erläutert habe.
Unser Körper: Maschine oder wissender Organismus?
»Ich habe Körperingenieurs-Wissenschaft studiert«, seufzt unser Nachbar, ein junger, engagierter, vom Medizinbetrieb jedoch desillusionierter Psychiater und lässt die Schultern hängen. Das Modell des Körpers als einer Maschine beeinflusst immer noch unser vorherrschendes Medizinsystem. Der Philosoph René Descartes (1556 -1650) schrieb in seiner Abhandlung über den Menschen, der Mensch gleiche einer Maschine, sein Herz zum Beispiel wie ein Ofen funktioniere. Dieses Maschinenparadigma durchdringt unser medizinisches Verständnis vom Körper, Krankheit und Heilung erstaunlicherweise bis heute. Es hat in der westlichen Medizin ein enormes Detailwissen hervorgebracht sowie eine Akut-Medizin, die teilweise hervorragende Heilungserfolge vorweisen kann, von denen wir alle profitieren. Eine Schattenseite dieses Körperverständnisses ist aber, dass das große Detailwissen nicht wieder zu einem ganzheitlichen Bild zusammengefügt wird. Der Mensch wird häufig nicht in seiner körperlich, geistigen und sozialen Gesamtheit gesehen, er steht paradoxerweise auch gar nicht immer im Mittelpunkt der Behandlung.
Bei einem solchen Körperverständnis findet außerdem die wichtigste Heilkraft, die wir haben, die Kraft zur Selbstheilung und das innere Wissen um Heilung, zu wenig Beachtung. Eine Maschine kann sich nicht selbst heilen, sie muss von außen geheilt bzw. repariert werden. Obwohl dieses reduzierte Körperverständnis einerseits durch das Fachgebiet der Psychosomatik und andererseits durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften auch wissenschaftlich als überholt gilt, sind immer noch weite Teile unseres Medizinbetriebs davon durchdrungen. Aus meiner Sicht liegt dies auch daran, dass die Pharmaindustrie, die Hersteller medizinischer Geräte und viele Klinikbetreiber an dem vorherrschenden Körpermodell und der daraus resultierenden Medizin großen Profit ziehen und ihre wirtschaftlichen Interessen machtvoll in der Gesundheitspolitik geltend machen.
Die psychosomatische Medizin vertritt seit Jahrzehnten ein ganzheitlicheres Verständnis des Körpers, des Menschen und seiner Erkrankungen. Sie hat auch die subjektive Seite einer Erkrankung, die Gegenstand dieses Buches ist, in die Medizin eingeführt. Sie steht für eine patientenorientierte, integrierte Medizin, bei der der Mensch und nicht die Krankheit im Mittelpunkt steht. Ihr Ziel, eine solche Medizin flächendeckend zu etablieren, ist bislang nur in Ansätzen gelungen. Wichtig ist, dass man heutzutage mit dem Begriff »psychosomatisch« nicht mehr meint, eine Krankheit sei seelisch bedingt. Dies würde dem alten Leib-Seele-Dualismus und einem einfachen Ursache- Wirkungsdenken entsprechen. Stattdessen geht man bei der Krankheitsentstehung von einem hochkomplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus.
Das ganzheitliche Verständnis der psychosomatischen Medizin wird nun von den Erkenntnissen der modernen Neuro- Wissenschaften bestätigt. Diese zeigen, dass Körper und Geist nicht zweierlei, sondern eins sind, verschiedene Seiten der gleichen Medaille. Durch bildgebende Verfahren, die uns seit den 90er Jahren erlauben, einen Blick in unser inneres Gehirn zu werfen, wissen wir, dass Gedanken Einfluss auf das Gehirn und den Körper haben. Mentale Aktivitäten wie zum Beispiel Kopfrechnen, Meditation oder Imaginationen korrelieren unmittelbar mit materieller, neuronaler Aktivität im Gehirn. Was durch unseren Geist strömt, verändert auch die »Hardware« unseres Gehirns. Wenn zum Beispiel Probanden eine Fingerübung auf einer Klaviatur einüben, dann vergrößern sich die für diese Finger zuständigen Areale im Gehirn. Dies geschieht erstaunlicher Weise auch dann, wenn die Fingerübungen nur in der Vorstellung durchgeführt werden! (Rüegg 2010) Auch Fühlen und Denken sind untrennbar miteinander verbunden. Ein Lächeln, das wir bewusst entstehen lassen, führt zu einer freundlicheren inneren Stimmung und freundlicheren Gedanken. Eine bestimmte Art zu atmen beruhigt unseren Gemütszustand. Wir können also allein durch Vorstellungsbilder Körperfunktionen positiv beeinflussen. Hinzu kommt, dass wir in einer sich ständig wechselseitig prägenden Interaktion mit unserer Umwelt stehen.
Es liegt nahe, dass wir Körper, Geist und letztlich auch Umwelt nicht mehr getrennt voneinander denken und behandeln, sondern als Einheit. ein Paradigma vom Körper, das ihn in seiner Gesamtheit betrachtet als einen wissenden, lebendigen, beseelten und mit seiner Umwelt zutiefst verbundenen Organismus wird von Eugene Gendlin skizziert:
Im Focusing betrachten wir den Körper nicht von außen, sondern beziehen uns auf den »von innen gefühlten« Körper. Es ist ein großer Unterschied, ob ich jetzt gerade meinen Bauch von außen betrachte oder die Augen schließe und ihn von innen wahrnehme. Spüre ich den Bauch von innen, dann nehme ich auch die Situation wahr, in der ich mich gerade befinde. Es fühlt sich von innen her anders an, wenn ich am Strand sitze und aufs Meer schaue oder wenn ich mich in einer konfliktreichen Sitzung mit Kollegen befinde. Wir beziehen uns also auf den von innen gefühlten Körper, der die Situation wahrnimmt, in der er sich befindet, und auf den lebendigen Körper.
Alles, was lebt, trachtet danach, weiter zu leben. Es impliziert sein Weiterleben und bewegt sich in eine das Leben fortsetzende Richtung, so Gendlin. In der körperlich gefühlten Resonanz auf eine Situation ist nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern auch all unser Erfahrungswissen als »Bauchgefühl« wahrnehmbar. Bleiben wir nun mit absichtsloser Aufmerksamkeit bei unserem Bauchgefühl zum Beispiel über die konfliktreiche Sitzung, in der wir uns gerade befinden, und finden wir Symbolisierungen(zum Beispiel Worte oder Bilder) dafür, dann ist es nicht statisch, sondern lebendig, und hat die Fähigkeit, den nächsten richtigen Schritt des Weiterlebens anzudeuten. In unserer körperlich gefühlten Resonanz auf eine Situation spüren wir einen vorwärts gerichteten Drang als Tendenz in eine bestimmte Richtung. »Ein lebendiger Körper lebt von sich selbst aus und macht aus sich selbst heraus seinen nächsten Lebensprozess-Schritt. Das ist der nächste Schritt im Focusing. Dieser nächste Schritt wird vom Organismus selbst projektiert, selbst entworfen«, so der Philosoph Gendlin (Gendlin 2007).
Es ist wahrscheinlich neu und ungewohnt, den Körper zu betrachten als etwas, das mehr weiß als unser Verstand. In meinem Körper trage ich das Wissen darüber, was mir guttut, mich heilt. Der Körper trägt in sich die ganze Komplexität der Situation, zum Beispiel einer Erkrankung, und er kann uns den nächsten stimmigen Schritt besser zeigen als nur der Kopf allein. Betrachten wir mit diesem Verständnis unseres Körpers als einem wissenden Körper nun seine Fähigkeit zur Selbstheilung.
Kapitel 3
Placebo-Effekt, Selbstheilungskräfte und die Macht der inneren Bilder
Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, häufig eine Zuckerpille, von dem PatientInnen aber glauben, es handele sich um ein echtes pharmakologisches Mittel. Studien zeigen, dass durch die Gabe von Placebos unter anderem Blutdruck und Cholesterinwerte sinken, die Magensäure reduziert wird und sich die Aktivität weißer Blutkörperchen verbessert. Mit einer Scheinakupunktur kann man die Häufigkeit von Hitzewallungen halbieren und nach der Einnahme von angeblichen »Fruchtbarkeitsmedikamenten« werden 40 % der wegen Unfruchtbarkeit behandelten Patientinnen schwanger! (Rankin 2014)
Placebo-Effekt nennt man die Tatsache, dass allein die Vorstellung, eine Therapie, ein Medikament oder eine andere Behandlung sei wirksam, auch tatsächlich die Körperchemie verändert. Umgekehrt spricht man bei der negativen Vorstellung, nämlich dass die Behandlung schadet, von einem Nocebo-Effekt, lateinisch: Ich werde schaden.
Im Herbst 2012 wurde ein 26-jähriger junger Mann von seiner Freundin in die Notaufnahme der Universitätsklinik Hamburg eingeliefert. Er zitterte am ganzen Leib, schwitzte stark, und sein Blutdruck war auf 80/40 abgesackt. Die Freundin berichtete, dass er mithilfe von 29 Anti-Depressiva-Tabletten versucht habe, seinem Leben ein Ende zu setzen. Bei näherer Nachforschung stellte sich heraus, dass der junge Mann an einer Medikamenten-Studie teilnahm, bei der Anti-Depressiva erforscht wurden. Er befand sich