Physikalische Chemie. Peter W. AtkinsЧитать онлайн книгу.
3.1) vertiefen, und wir greifen auf Informationen über Standardzustände und die Reaktionsenthalpie zurück, die wir in Abschn. 2.3 eingeführt haben. Zur Herleitung der Born'schen Gleichung benötigen wir die potenzielle (Coulomb‐)Energie der Wechselwirkung zwischen zwei elektrischen Punktladungen (siehe „Toolkit 6: Arbeit und Energie“ in Abschn. 2.1).
Mithilfe des Grundbegriffs „Entropie“ kann man die Richtung realer Zustandsänderungen vorhersagen; dies setzt jedoch voraus, dass wir die Änderungen der Entropie sowohl im System als auch in der Umgebung untersuchen. Wie wir in Abschn. 3.1 gesehen haben, ist die Berechnung der Entropieänderung der Umgebung nicht kompliziert (ΔSUmg = qUmg/TUmg); als Nächstes werden wir eine einfache Methode entwickeln, um diesen Beitrag automatisch zu berücksichtigen. Dadurch konzentrieren wir uns in Zukunft nur noch auf das System selbst, was unsere Diskussion vereinfacht. Darüber hinaus bilden die folgenden Überlegungen die Grundlage aller Anwendungen der chemischen Thermodynamik, mit denen wir uns später beschäftigen wollen.
3.4.1 Freie Energie und Freie Enthalpie
Wir betrachten ein System, dass sich bei der Temperatur T im thermischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung befindet. Nun soll infolge einer Zustandsänderung des Systems ein Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfinden; die Clausius'sche Ungleichung (dS ≥ dq/T, Gl. (3.11)) lautet dann
(3.25)
Aus dieser Ungleichung können wir je nach den Prozessbedingungen (konstanter Druck oder konstantes Volumen) verschiedene Aussagen gewinnen.
(a) Kriterien der Freiwilligkeit
Betrachten wir zunächst den Fall des Wärmeaustauschs bei konstantem Volumen. Wenn weder Volumenarbeit noch eine andere Form von Arbeit verrichtet wird, ist dqV = dU; in die Clausius'sche Ungleichung eingesetzt, ergibt sich
Die spezielle Bedeutung dieser Beziehung liegt darin, dass sie die Bedingungen für eine freiwillige Zustandsänderung einzig und allein anhand von Zustandsfunktionen des Systems formuliert. Nach geeigneter Umformung erhält man leicht
Wenn die Innere Energie konstant bleiben soll, also dU = 0 ist, folgt TdS ≥ 0; da aber T > 0 ist, wird aus dieser Beziehung dSU,V ≥ 0. (Der Index gibt die Größen an, die konstant bleiben sollen.) Diese Beziehung gibt die Bedingungen für die Freiwilligkeit von Prozessen als Funktion der Eigenschaften des Systems an. Die Ungleichung besagt, dass in einem System mit konstantem Volumen und konstanter Innerer Energie (etwa einem abgeschlossenen System) die Entropie bei freiwilligen Zustandsänderungen zunimmt. Dies entspricht inhaltlich der Aussage des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik.
Wenn der Wärmeaustausch bei konstantem Druck stattfindet und keine Arbeit außer Volumenarbeit verrichtet wird, gilt dqp = dH, woraus folgt
Wenn sowohl die Enthalpie als auch der Druck konstant sind, wird diese Ungleichung zu TdS ≥ 0, und somit dS ≥ 0, und wir können schreiben: dSH,p ≥ 0. Für einen freiwillig ablaufenden Prozess bei konstantem Druck bedeutet dies: Die Entropie eines Systems muss zunehmen, wenn die Enthalpie konstant bleibt (da in diesem Fall keine Änderung der Entropie der Umgebung stattfinden kann).
Die Spontaneitätskriterien bei konstantem Volumen und konstantem Druck können wir einfacher ausdrücken, indem wir zwei weitere thermodynamische Größen einführen. Als erstes definieren wir die Freie Energie A,
Die zweite Größe ist die Freie Enthalpie G, die folgendermaßen definiert ist:
Die Freie Energie A wird auch Helmholtz‐Energie oder Helmholtz'sche Freie Energie genannt; in der deutschen Literatur findet man auch oft das Symbol F. Analog spricht man von der Gibbs‐Energie bzw. der Gibbs'schen Freien Enthalpie G. Alle Größen in den Gln. (3.28a) und (3.28b) beziehen sich auf das betrachtete System.
Wenn bei konstanter Temperatur eine (infinitesimale) Zustandsänderung eintritt, beträgt die Änderung der beiden Funktionen
Bei konstantem Volumen gilt TdS ≥ dU (Gl. (3.26)), und durch Kombination mit Gl. (3.29a) ergibt sich dA ≤ 0. Bei konstantem Druck gilt TdS ≥ dH (Gl. (3.27)), und durch Kombination mit Gl. (3.29b) ergibt sich dG ≤ 0. Wenn wir die konstant gehaltenen Größen als tiefgestellte Indices schreiben, dann erhalten wir als Bedingungen für die Freiwilligkeit einer Zustandsänderung in Abhängigkeit von (infinitesimalen) Änderungen der Größen dA und dG:
(3.30a)
(3.30b)
Diese beiden Ungleichungen sind von entscheidender Bedeutung für chemische Anwendungen der Thermodynamik. Bei einer endothermen Reaktion beispielsweise nimmt die Enthalpie H zu, dH > 0; damit diese Reaktion bei konstanter Temperatur und konstantem Druck freiwillig abläuft, muss jedoch die Freie Enthalpie G abnehmen. Wegen dG = dH − TdS ist es möglich, dass dG negativ ist, solange die Entropiezunahme des Systems hinreichend groß ist, sodass TdS > dH ist. Endotherme Reaktionen werden somit durch einen Anstieg der Entropie des Systems angetrieben; dieser Anstieg überwiegt die Abnahme der Entropie in der Umgebung, die sich bei einem endothermen Prozess aufgrund der Wärmeübertragung an das System ergibt (dSUmg