Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela MayrЧитать онлайн книгу.
(vgl. James & Garett 1992; Eichler & Nold 2007).
4.3.1 Die performative und soziale Dimension
Der Begriff Sprach(en)bewusstheit wird zunächst mit der Performanz-Domäne in Verbindung gebracht, da Fehleranalyse und Autokorrektur durch erhöhte Aufmerksamkeit und Kognition ermöglicht werden. Durch Sprach(en)bewusstheit kann laut Burwitz-Melzer (Burwitz-Melzer 2012: 29) auch transkulturelles Lernen initiert und gefördert werden. Die Lernenden erkennen, dass der Sprachlernprozess eine starke emotionale Komponente mit sich führt, die die Lernbereitschaft stark beeinflussen kann. Sie können erfahren, dass Sprachen politisch und sozial geprägt und sich demzufolge geschichtlich entwickeln und umgekehrt durch geschichtliche Entwicklungen stark beeinflusst werden. Dies führt letztlich zur Akzeptanz unterschiedlicher Sprachen, Sprachvarietäten, Kulturen und Minderheitenkulturen. Denn Sprach(en)bewusstheit oder Language Awareness in seiner sozialen und politischen Dimension umfasst auch das Hinterfragen von Machtverhältnissen zwischen Sprachen, Sprechern, sozialen Schichten, Kulturen und nicht zuletzt Genderproblematiken (ibid.: 29; vgl. hierzu auch Morkötter 2004: 28ff.).
Sprach(en)bewusstheit als Teilkompetenz und Instrument zur Kognitivierung kann sich in einem mehrsprachigen Lernprozess am besten entfalten, da hier Sprachen einerseits eng miteinander in Verbindung gebracht, aber auch verglichen und in ihren Besonderheiten geschichtlicher und sozialer Natur erkannt und kritisch hinterfragt werden können. Bevorzugt wird hier jedoch nach wie vor die Performanz-Domäne, wie bei der Ausrichtung der didaktischen Ansätze ersichtlich wird. Auch Krumm rückt ganz in diesem Sinne die „Bündelung sprachbezogener Lernprozesse“ (Krumm & Reich 2012: 87) in den Mittelpunkt. Diese begünstigt laut Königs (Königs 2012: 77) den Sprachlernprozess und wirkt sich motivationsfördernd und hilfreich auf das Lernen aus, da vorgelernte Wissensbestände aktiviert werden. Allerdings wird wie in der Interkomprehensionsdidaktik auch hier betont, dass eine solche Beschleunigung des Lernprozesses nur innerhalb typologisch ähnlicher Sprachen möglich ist (ibid.: 77 und 79), da die Brückensprachenfunktion nur zwischen typologisch eng miteinander verwandten Sprachen gelingen kann. Eine Meinung, die in dieser Form nicht geteilt werden kann, da Sprachlernstrategien und mehrsprachige kommunikative Kompetenz, wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, sich auch in einer heterogenen Sprachkonstellation entfalten können und unabhängig von der Sprachtypologie übergreifend zur Anwendung kommen (Budde 2016: 1).
Das Konzept der Metalinguistic Awareness (Bono 2011 a; Herdina & Jessner 2002; Gibson & Hufeisen 2011) ist der Versuch, das Konzept der Sprachbewusstheit auf der Performanz-Ebene bei mehrsprachigen Menschen zu umschreiben. Die Mehrsprachigkeitsforschung sieht einen klaren qualitativen Unterschied zwischen dem Erwerb von L2 bzw. L3-Lx. Dieser sog. Multilingual Factor (Sanchez 2011: 86) stellt ein Bündel an Kompetenzen und Strategien dar, die bei mehrsprachigen Lernenden (besser) ausgebildet sind und diese klar von einsprachigen unterscheiden: Dazu gehören höhere strategische Kompetenzen, die Fähigkeit, Probleme in der Kommunikation vorherzusehen, ein Repertoire an Fertigkeiten, um mit Unzulänglichkeiten sprachlicher bzw. kommunikativer Natur umzugehen, die Fähigkeit, sprachliche Strukturen selektiv zu analysieren und diese als Problemlösungsmöglichkeiten einzusetzen und insgesamt eine erhöhte Aufmerksamkeit und ein ständiges Monitorisieren des gesamten Sprachverarbeitungs- und Produktionsprozesses vonseiten des mehrsprachigen Sprechers. Dieses sog. Language Monitoring ermöglicht eine teils bewusste und teils unbewusste Überwachung aller mentalen sprachlichen Prozesse zum Zweck der Fehleranalyse und Korrektur sowie der Kommunikationsoptimierung (Bono 2011a: 25; Bialystok 2001:126). Allerdings ist es nicht selbstverständlich, dass sich diese Fähigkeiten auf Spracherwerb und Erhalt positiv auswirken, da häufig das Bewusstsein darüber fehlt und diese daher für die Lernenden oft eher als Hemmung wahrgenommen werden (Bono 2011a: 26). Der mehrsprachige Unterricht soll eben diesen Bewusstwerdungsprozess und die Entfaltung der Language Awareness / Metalinguistic Awareness durch soziales Lernen in heterogenen Arbeitsgruppen bei mehrsprachigen und einsprachigen Lernenden initiieren und unterstützen.
Eine weitere wichtige wissenschaftliche Erkenntnis zur Sprach(en)bewusstheit im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung ist, dass mehrsprachige Lernende dazu neigen, für einen Transfer nicht ausschließlich auf L1 zurückzugreifen, sondern häufig die nachgelernte Sprache L2 vorziehen: Der Grund dafür liegt darin, dass L2 im Gegensatz zu L1 bewusst erworben worden und daher leichter abrufbar ist. Da bei L1 der Spracherwerb fast ausschließlich unbewusst ist, wird diese nicht als Fremdsprache wahrgenommen. L2-Ln werden als Fremdsprachen bewusst erworben und daher von den Lernenden für einen Sprachvergleich als geeigneter empfunden als L1 (Herdina & Jessner 2002: 79; Müller-Lancé 2003: 178f.; House 2004: 64). Dieser sog. L2-Faktor führt dazu, dass sich der Erwerb einer dritten Sprache von dem einer zweiten grundlegend unterscheidet (vgl. Cenoz 2013). Unterschiedliche Vergleichsstudien haben gezeigt, dass frühe Zweisprachigkeit sich auf den Erwerb einer dritten Sprache positiv auswirkt (vgl. Lasagabaster 1997, 2006; Ringbom 2011; Safont 2003; Sanz 2000). Es wird belegt, dass ProbandInnen in Englisch L3 umso höhere Leistungen erzielen, je höher das Niveau in L1 und L2 ist (z.B. Lasagabaster 1997; Muñoz 2000; Sagasta Errasti 2003). In Studien, in denen mehrsprachige ProbandInnen Regeln einer künstlichen Sprache herausfinden mussten, erzielten sie höhere Resultate (z.B. Kemp 2009). De Angelis & Jessner untersuchten Schreibkompetenzen dreisprachiger ProbandInnen in Südtirol (De Angelis & Jessner 2012). Es stellte sich heraus, dass das Kompetenzniveau in der Drittsprache mit der Schreibkompetenz in L1 und L2 korreliert. Für diese Studie erwies sich als relevant, dass der L2-Faktor und seine Auswirkung auf den nachfolgenden Spracherwerb sehr stark von der Psychotypologie der Sprachen beeinflusst wird.1 Wird L2 als ferne und unerwünschte Sprache wahrgenommen, dann erschwert das folglich auch den Transfer von L2 auf L3/Lx. Je nach Zusammensetzung der DLC kann dies unterschiedliche Auswirkungen auf den nachfolgenden Spracherwerb haben.
4.3.2 Die emotionale Ebene
Die besondere DLC Südtirols hat zur Folge, dass L2 in fast allen Fällen Italienisch ist, zweisprachige Lernende erwerben diese im Familienumfeld von klein auf und können alle Vorteile nutzen. Einsprachig aufgewachsene Lernende hingegen erwerben Italienisch erst als erste Schulfremdsprache im Alter von 6 Jahren. Wie sich L2 auf den Erwerb weiterer Sprachen auswirkt, ist abhängig von der Haltung gegenüber dieser Sprache im Elternhaus und der sozialen Umgebung (Lasagabaster & Huguet 2006; Krumm 2003). L3 hingegen ist in der Regel Englisch. Es wäre hier im Unterricht naheliegend, L2 Italienisch als Brückensprache für L3 Englisch heranzuziehen.1 Daher wäre es nötig, L2 Italienisch für alle Lernenden abrufbar zu machen, indem die psychotypologische Wahrnehmung verändert wird. Ein Bewusstsein darüber, wie unterschiedlich Sprachen den Erwerb von L1 und L2 beeinflussen und über die Wichtigkeit von L2 für alle nachgelernten Sprachen, könnte diesbezüglich behilflich sein und wird in diesem Sinne auch einen Aspekt der MKK darstellen.
Über diese kognitiven Aspekte der Sprach(en)bewusstheit hinaus soll in der vorliegenden Studie zudem anhand der einzelnen Fallstudien aufgezeigt werden, inwiefern in heterogenen mehrsprachigen Arbeitsgruppen vorgelernte Einstellungen und Haltungen durch den Vergleich und die Interaktion mit anderen sich positiv verändern können. MKK bedeutet in diesem Fall besonders, dass Lernende die eigene Sprachbiographie im Vergleich mit anderen kritisch reflektieren und sich der eigenen Haltungen und Emotionen gegenüber Sprache(en) bewusst werden. Besonders für einsprachige Lernende bedeutet dies, Erfahrungen und Haltungen mehrsprachiger Lernender zu erkennen und anzunehmen und die eigenen dadurch zu ändern, um am mehrsprachigen Gespräch aktiv und selbstwirksam teilnehmen zu können.
Dazu ist für die Operationalisierung von mehrsprachigen Unterrichtsformen erforderlich, dass die sprachliche Identität der Lernenden – ihre Sprachbiographie – in den Mittelpunkt gerückt werden (De Florio-Hansen & Hu 2003b: VIII), denn Lernende verbinden mit Sprachenlernen nicht nur schulischen Erfolg, auch viele andere Faktoren sind von erheblicher Relevanz. So gilt es zum Beispiel, die biographische Sprachabfolge der einzelnen Lernenden, die ein komplexes persönliches Sprach- und Emotionsgefüge darstellt, zu berücksichtigen. Jede neu erworbene Sprache verschafft Zugang zu neuen Welterfahrungen und somit neuen, auch hybriden Ausdrucksformen und Vernetzungen der Realitätswahrnehmung. Der Erwerb der zweiten Sprache geht bereits mit der Erkenntnis einher, dass die eigene Identität nicht unveränderlich und starr ist, sondern sich