Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela MayrЧитать онлайн книгу.
„response to some remembered or anticipated utterance, it might be a mythic, ritualistic, phatic or ostensible statmetn (ibid. 20) sein. Identität begründet und äußert sich im Diskurs durch das Erzählen der eigenen Geschichte und der Geschichten anderer. Sie ist gebunden an Texte in ihrer vielfachen Ausprägung (geschrieben, gelesen, vorgetragen) und ihrem symbolischen Gehalt. Durch sie positioniert sich das Subjekt in seiner Umgebung, es kann sich selbst in seiner Ganzheit ausdrücken. Im mehrsprachigen Diskurs kann es sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb des eigenen Diskurses und der Diskurse anderer positionieren und in der Spannung zwischen Text und Kontext Bedeutung neu rahmen und neu kontextualisieren. Erfundene und reale Welten sind hier gleichwertig, da beide in die subjektive symbolische Realität des Einzelnen eingeschrieben werden. Das symbolische Selbst entsteht durch das Erzählen aus der Spannung zwischen bekannter und neuer unkonventioneller Interpretation von Zeichen. Dieses Fluktuieren zwischen den Sprachen und Kontexten bezeichnet Kramsch als Third Space (Kramsch 2011: 359; Kearney 2016: 46).
Dabei vermitteln die Sprechenden nicht nur zwischen sozialen Normen und pragmatischen Gegebenheiten, sondern auch zwischen ihrem Körper und ihrem Geist, zwischen sich selbst und den anderen (Kramsch 2009: 76). Mehrsprachiges generisches Lernen befähigt die Lernenden, zwischen den verschiedenen symbolischen Welten zu vermitteln, sich spielerisch zwischen diesen Welten zu bewegen und diese miteinander zu vernetzen und zu vermischen. Es befähigt Lernende, die Möglichkeiten und Grenzen auszuloten, wenn Erfahrungen von einer Sprache in die andere übertragen werden. Sie können erfahren, was es bedeutet, wenn sich die symbolischen Referenzsysteme für Erfahrungen ändern, oder sie können sich auf unterschiedliche Erzähltraditionen berufen und spielerisch damit umgehen (Kramsch 2009: 151).
Laut der Blended Space Theory von Fauconnier und Turner ist Sprache von Natur aus metaphorisch, das heißt, dass Umstände und Handlungen durch das Zusammenführen mentaler Bilder beschrieben werden (Turner & Fauconnier 2002: 37). So hat z.B. das Wort independence für eine japanisch/deutsche Lernende in einem englischsprachigen Kontext eine Reihe von metaphorischen Bedeutungen, die durch den mehrsprachigen Entfremdungseffekt kritisch reflektiert werden können und durch Blending neue metaphorische Bedeutung bekommen (Kramsch 2009: 50). Es können durch Blending unterschiedlichste soziale, moralische, psychologische und geschichtliche Aspekte verschiedener Sprachen überlappt werden, um Bedeutung zu schaffen oder einzelne Aspekte der Bedeutung hervorzuheben. Blending ist an vergangene und gegenwärtige Erfahrungen und deren Manipulation gebunden.
4.2.3 Ambiguitätstoleranz in multiplen Diskursen
Mehrsprachigkeit bereichert Kommunikation durch eine Vielzahl an neuen Ressourcen, die aber auch Ambiguitäten mit sich führen können. So muss Mehrsprachigkeit in einer von multiplen Diskursen geprägten Gesellschaft, in der Massenmedien, Politik und Unterhaltungsindustrie in zunehmendem Maße an Macht gewinnen und Bedeutung formen, die Mechanismen der Bedeutungskonstituierung und Veränderung erkennen und hinterfragen. Daher ist es wichtig, dass Lernende Texte und Genres kulturell und geschichtlich verorten können, um zu erkennen, wie diese im Prozess des Erzählens an neue Umstände und Gegebenheiten angepasst und somit in ihrer Bedeutung verändert werden, indem sie rekontextualisiert werden (Kramsch 2006: 251, 2011: 355). MKK bedeutet, mit den Gegensätzen der modernen Gesellschaft umzugehen lernen, indem semiotische Zeichen in ihrer Vielfalt erkannt und richtig interpretiert werden. Es bedeutet aber auch, Ambiguität aushalten zu können, die diese semiotische Vielfalt verursacht, und sich die folgenden Fragen zu stellen: Wer hat das geschrieben? Welche Haltungen bzw. Absichten stecken dahinter? Zu welchem Zweck? Warum ist es in dieser Sprache geschrieben? Warum sind bestimmte Wendungen in einer Sprache möglich und in einer anderen nicht?
Die Grenzen der semiotischen Ambiguität können überwunden werden, wenn dem ästhetischen Aspekt des Sprachenlernens mehr Wichtigkeit beigemessen wird. In einer mehrsprachigen Lernumgebung können Lernende laut Kramsch „draw on the formal semiotic an aesthetic resources afforded by various symbolic systems to reframe these contradictions and create alternative worlds of their own“ (Kramsch 2009: 22). Sie können Wörter und Genres, die für sie in ihrer Konventionalität noch nicht definiert sind, mit neuer Bedeutung anreichern, indem unkonventionelle Verbindungen zu Form, Laut und Ähnlichkeiten hergestellt werden. Dies geschieht beim Versuch der Lernenden, die sie umgebende mehrsprachige Welt zu verstehen, indem Realität durch die Vermischung und Interpretation neuer und fremder symbolischer Formen neu konstruiert wird. Auf die gleiche Weise wird auch ihre Identität und Subjektivität neu konstruiert. Die Wahrnehmung von symbolischen Formen jenseits der Funktion von Sprache als Kommunikationsinstrument führt zu der Erkenntnis, dass Sprache laut Kramsch auch „an exotic and mysterious world of desire, escape, empowerment, and transformation“ ist – eine Welt also, in der jenseits von Kognition tiefe, teils unbewusste rituelle und symbolische Akte vollzogen werden. (ibid.: 43)
Kristeva unterscheidet zwischen einer semiotischen, vorsprachlichen Bedeutungswelt, in der Stimmen, Symbole, Gesten, Farben und Rhythmus vorherrschen, und einer symbolischen Welt, in der sich Bedeutung geschichtlich entwickelt und klar kodifiziert ist. Die symbolische Sprache wird vom Kind im Übergang zur Erwachsenenwelt erworben. Es bleibt aber eine Welt ohne Worte in jedem erhalten, als Erinnerung an die Kindheit. Das veranlasst den Menschen, sich ständig zwischen diesen beiden Welten zu positionieren. Er befindet sich daher an Grenzen, er ist von Natur aus Grenzgänger und hat sich ständig in Frage zu stellen, da er in der symbolischen Welt nicht zu Hause ist (Kristeva 1980: 99f.). Durch kreativen mehrsprachigen Sprachgebrauch, mehrsprachige Spielereien von Lernenden und deren poetischen Gehalt kann die semiotische vorsprachliche Bedeutungswelt durchdrungen und die symbolische Ordnung umgestaltet werden (Kramsch 2009: 98). Die Polysemie von Wörtern, ihre Bezugnahme auf unterschiedliche Referenzsysteme und nicht zuletzt der intertextuelle Umgang mit Genres sind Instrumente, die zur Umgestaltung der symbolischen Ordnung von mehrsprachigen Sprechern genutzt werden können. Die Vorliebe für poetische Formen und metaphorische Sprache beim Erzählen von Geschichten zeugt davon, dass der Erwerb fremder symbolischer Formen tief im kindlichen Gedächtnis verankert ist. Mehrsprachige Lernende erleben einerseits die Not, sich in einem fremdem Symbolsystem zurechtfinden zu müssen, andererseits können sie dieses symbolische System eben durch ihre Fremdheit in seiner Konstitution erkennen und aufbrechen und sich in das semiotische zurückversetzen. Dabei kommen Ironie, Entfremdung und Humor mit ins Spiel, aber auch Rhythmus und Klang. Es können allgemein für wahr geltende Annahmen und Überzeugungen in Frage gestellt werden.
In diesem Sinne entsprechen Sprachen unterschiedlichen Zeitachsen, die gebunden sind an den Zeitpunkt, zu dem die Sprachen erworben wurden und daran, wie sie sich später weiter entwickelt haben. Daraus ergibt sich, dass Sprachen unterschiedliche Zeitwahrnehmungen innewohnen: die Sprache des Berufes, der Schule und die Sprache der Familie. Diese Wahrnehmungen können sich in der Mehrsprachigkeit ausdehnen und zusammenziehen, wodurch unterschiedliche Resonanzen entstehen, die, verbunden mit Emotionen, dem Selbst die Erfahrung der Erweiterung ermöglichen (Kramsch 2009: 71).
4.3 MKK und Sprach(en)bewusstheit
Wie bereits in Kapitel 2 vorweggenommen, stellt der FREPA eine sehr große Anzahl von Indikatoren für die Erhebung mehrsprachiger Kompetenz zur Verfügung. Dabei werden alle Sprach(lern)erfahrungen zu einem mehrsprachigen Repertoire zusammengefasst. Dieses Repertoire gilt es zu mobilisieren und bewusst zu machen, um es aktiv im Sprachlernprozess nutzen zu können (Martinez 2008: 83; Prokopowicz 2017: 23). Das mehrsprachige Repertoire wird so zur Kompetenz, mittels welcher deklaratives bzw. prozedurales Wissen und persönliche Ressourcen aktiviert werden. Metakognitive Fähigkeiten und Sprach(en)bewusstheit spielen in diesem Zusammenhang bei der Beobachtung des eigenen Sprachlernverhaltens eine wesentliche Rolle (cf. 2.3.). Sie dienen als Instrument zur Automatisierung sprachlichen Wissens und folglich zur Beschleunigung des fremdsprachlichen Aneignungsprozesses.1 Der prozessorientierte Kompetenzerwerb wird durch Sprach(en)bewusstheit erst ermöglicht. Es handelt sich dabei laut Gutzmann (1997) um eine auf fast alle anderen Kompetenzbereiche übergreifende Teilkompetenz und versteht sich im Spracherwerb als die Fähigkeit, Sprache(n) analytisch zu hinterfragen. Dabei kristallisieren sich fünf Bereiche heraus, die durch Sprachen(en)bewusstheit eine Veränderung erfahren können: ein affektiver Bereich, ein sozialer, ein politischer, ein kognitiver und eine Performanz-Domäne.