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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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Wir lassen diese eklig freimütigen Romane nicht zu.«

      »Ja. Die Lastergesellschaft würde sich so etwas nicht gefallen lassen. Das amerikanische Volk hat nichts für schmutzige Sachen übrig.«

      »Ja. Es ist schön. Ich freue mich, daß wir so nette Romane haben wie ›Der geplagte Ehemann‹.«

      »Sag' mal, worauf willst du denn schon wieder hinaus? Willst du mich aufziehen?«

      Sie schwieg. Sie wartete auf einen Zornausbruch. Er lachte aber, und das verwirrte sie. Als sie zu Hause waren, lachte er wieder. Er sagte:

      »Ich muß dir ja sagen, konsequent bist du wirklich. Ich hätte gemeint, nachdem du jetzt eine ganze Menge braver Farmer gesehen hast, würdest du deinen Kunstfimmel loswerden, aber du bleibst dabei.«

      »Also –« Bei sich selbst sagte sie: »Er mißbraucht es, daß ich nett sein wollte.«

      »Paß mal auf, Carola: 's gibt ganz einfach drei Arten Menschen: Leute, die überhaupt nicht denken; Verrückte, die über alles schimpfen müssen; und richtige Kerle, die Menschen, die was schaffen und sehen, daß die Welt weiterkommt.«

      »Dann bin ich wahrscheinlich eine Verrückte.« Sie lächelte gleichgültig.

      »Nein. Das kann ich nicht zugeben. Du redest gern, aber wenn's drauf ankommt, ist dir Sam Clark lieber als alle verdammten Künstler mit ihren langen Haaren.«

      »Ach – na ja –«

      »Ach, na ja!« spöttisch. »Du lieber Gott, wir wollen ja alles ändern, nicht wahr! Wir wollen den Leuten, die seit zehn Jahren Filme machen, erzählen, wie sie's machen sollen; den Architekten wollen wir sagen, wie sie Häuser bauen sollen; und die Magazine sollen nichts anderes als eine Menge obergescheite Geschichten über alte Jungfern drucken und über Weiber, die nicht wissen, was sie wollen. Ach, wir sind schrecklich! … Ich versteh' dich nicht. Pass' einmal auf –«

      Als er schon schlief, lag sie wach«.

      »Ich muß weiterarbeiten. An meinen ›verrückten Ideen‹, wie er sagt. Ich dachte, ihn zu bewundern, ihm beim Operieren zuzusehen, würde genügen. Es genügt nicht. Nach der ersten Begeisterung nicht mehr.

      Ich will ihm nicht weh tun, aber ich muß weiterarbeiten.

      Es genügt nicht, dabeizustehen, wenn er einen Kühler füllt und mir ab und zu eine Erklärung hinwirft.

      Wenn ich lang genug dabeistände und ihn bewunderte, wäre ich zufrieden. Ich würde eine ›nette kleine Frau‹ werden. Der Dorfbazillus. Schon – Ich lese nichts. Seit einer Woche hab' ich das Klavier nicht angerührt. Ich will nicht! Ich will nicht unterliegen!

      Aber wie? Alles ist mir mißlungen. Jetzt will ich nicht mehr ›die Stadt reformieren‹. Ich will nur meine Seele retten.

      Will Kennicott, der hier schläft, vertraut mir, glaubt, er hält mich fest. Und ich verlasse ihn. Alles in mir hat ihn verlassen, wie er mich ausgelacht hat. Es war ihm nicht genug, daß ich ihn bewundert habe; ich sollte mich ändern und werden wie er. Er treibt Mißbrauch. Nie wieder. Es ist vorbei. Ich will weiterarbeiten.«

      4

      Sie sehnte sich danach, Guy Pollock zu sehen, sich an dem Bruder im Glauben zu stärken. Aber Kennicotts Herrschaft lag schwer auf ihr. Sie wußte nicht recht, ob die Angst vor ihm oder ihre eigene Trägheit sie lähmte – der Widerwille vor der Gefühlsanstrengung der »Szenen«, welche die Verkündigung ihrer Unabhängigkeit nach sich gezogen hätte. Sie war wie der Revolutionär von fünfzig Jahren: er hat keine Angst vor dem Tod, aber die Aussicht auf schlechtes Essen, auf schlechte Luft und das Verbringen einer ganzen Nacht auf zugigen Barrikaden ekelt ihn.

      Am zweiten Abend nach dem Kino lud sie spontan Vida Sherwin und Guy zu Röstmais und Apfelwein ein. Im Wohnzimmer debattierten Vida und Kennicott über den »Wert des Handfertigkeitsunterrichtes in den unteren Klassen«, während Carola mit Guy am Eßtisch saß und den Röstmais fertig machte. Die Nachdenklichkeit in seinen Augen weckte sie auf. Sie murmelte:

      »Guy, wollen Sie mir helfen?«

      »Meine Liebe! Wie?«

      »Ich weiß nicht!«

      Er wartete.

      »Ich glaube, Sie müssen mir finden helfen, wie eigentlich diese Dunkelheit über uns Frauen gekommen ist. Graue Dunkelheit und Schatten von Bäumen. Wir alle sind drin, zehn Millionen Frauen, junge Frauen mit guten, wohlhabenden Männern, Geschäftsfrauen mit Hemdblusen und steifen Kragen, Großmütter, die zu Tees gehen, Frauen von unterzahlten Bergarbeitern, und Bauernfrauen, die wirklich gern Butter machen und in die Kirche gehen. Was wollen – und brauchen wir denn? Will Kennicott würde sagen, daß wir einen Haufen Kinder und viel Arbeit brauchen. Aber das ist es nicht. Es ist dieselbe Unzufriedenheit bei Frauen, die acht Kinder haben und eines erwarten – immer eines erwarten! Und Sie sehen sie an Stenotypistinnen und Frauen, die sich abrackern, genau so wie an Collegeabsolventinnen, die darüber nachdenken, wie sie ihren freundlichen Eltern davonlaufen können. Was wollen wir?«

      »Ich glaube, Carola, Sie sind im wesentlichen wie ich; Sie wollen zurück in ein Zeitalter voll Stille und entzückender Sitten. Sie wollen den guten Geschmack wieder auf den Thron setzen.«

      »Nur guter Geschmack? Verwöhnte Leute? Oh – nein! Ich glaube, wir alle wollen das gleiche – wir alle miteinander, die Industriearbeiter und die Frauen und die Bauern und die Negerrasse und die asiatischen Kolonien – und sogar ein paar von den Wohlanständigen. Es ist ganz derselbe Aufruhr, in allen Klassen, die gewartet haben und immer guten Ratschlägen gefolgt sind. Vielleicht wollen wir ein bewußteres Leben, denke ich. Wir haben es satt, uns zu plagen, zu schlafen und zu sterben. Wir haben es satt, nur ganz wenig Leute zu sehen, die es verstehen, Individualisten zu sein. Wir haben es satt, die Hoffnung bis zur nächsten Generation zu verschieben. Wir haben es satt, den Politikern und Priestern und vorsichtigen Reformatoren (und den Ehemännern!) zuzuhören, die uns immer einlullen wollen: ›Seid ruhig! Habt Geduld! Wartet! Wir haben die Pläne für die Utopie schon fertig; laßt uns nur noch ein bißchen Zeit, und sie wird dasein; habt Vertrauen zu uns; wir sind klüger als ihr.‹ Zehntausend Jahre lang sagen sie das schon. Wir wollen unsere Utopie jetzt – und wir werden dafür arbeiten. Wir wollen nur – alles für jeden von uns! Für jede Hausfrau und jeden Hafenarbeiter und jeden nationalistischen Hindu und jeden Lehrer. Wir wollen alles. Wir werden es nicht kriegen. Und so werden wir nicht zufrieden sein –«

      Sie wußte nicht recht, warum er zusammenfuhr. Er unterbrach sie:

      »Hören Sie, meine Liebe, ich will wirklich hoffen, daß Sie sich nicht in eine Reihe mit einem Haufen unruhestiftender Arbeiterführer stellen! Die Demokratie ist theoretisch etwas sehr Schönes, und ich will auch zugeben, daß es Ungerechtigkeiten in der Industrie gibt, aber diese sind mir immer noch lieber als eine Welt, die auf ein totes Durchschnittsniveau reduziert wäre. Ich weigere mich zu glauben, daß Sie auch nur das geringste mit einem Haufen Arbeiter gemeinsam haben, die um höhere Löhne kämpfen, um sich miserable Stinkkarren und scheußliche Pianolas kaufen zu können –«

      In diesem Augenblick erkannte Carola, daß Guy sie trotz all seiner Liebe für ausgestorbene feine Sitten in seiner Ängstlichkeit ebenso bedrückte wie Sam Clark in seiner Wuchtigkeit. Sie erkannte, daß er kein Rätsel war, wie sie begeistert geglaubt hatte; kein romantischer Bote aus der Welt da draußen, der ihr zur Flucht verhelfen könnte. Er gehörte zu Gopher Prairie, ganz und gar. Sie wurde aus einem Traum von fernen Ländern geschleudert und fand sich in der Hauptstraße.

      Er brachte seinen Protest zu Ende: »Sie wollen sich doch nicht in dieses Tohuwabohu sinnloser Unzufriedenheit einlassen?«

      Sie beruhigte ihn. »Nein, das will ich nicht. Ich bin nicht heroisch. Ich habe Angst vor all den Kämpfen, die es in der Welt gibt. Ich will Vornehmheit und Erlebnisse, vielleicht will ich noch lieber mit einem Menschen, den ich gern habe, am Herd sitzen.«

      »Würden Sie –«

      Er beendete den Satz nicht. Er nahm Röstmais


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