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Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Karl Philipp MoritzЧитать онлайн книгу.

Anton Reiser. Ein psychologischer Roman - Karl Philipp Moritz


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doch war er in dieser kurzen Zeit ein ganz andrer Mensch geworden, und seine Ideenwelt um ein Großes bereichert.

      Allein zu Hause wurden durch die erneuerte Zwietracht seiner Eltern, wozu vermutlich die Ankunft seiner beiden Stiefbrüder vieles beitrug, und durch das unaufhörliche Schelten und Toben seiner Mutter, die guten Eindrücke, die er in P[yrmont] und besonders in dem von F[leischbein]schen Hause erhalten hatte, bald wieder ausgelöscht, und er befand sich aufs Neue in seiner vorigen gehässigen Lage, wodurch seine Seele ebenfalls finster und menschenfeindlich gemacht wurde.

      Da Antons beide Stiefbrüder bald abreiseten, um ihre Wanderschaft anzutreten, so war auch der häusliche Friede eine Zeitlang wiederhergestellt, und Antons Vater las nun zuweilen selber, anstatt aus der Madam Guion Schriften, etwas aus dem Telemach vor, oder erzählte ein Stück aus der ältern oder neuern Geschichte, worin er wirklich ziemlich bewandert war (denn neben seiner Musik, worin er es im Praktischen weit gebracht hatte, machte er beständig aus dem Lesen nützlicher Bücher ein eignes Studium, bis endlich die Guionschen Schriften alles Übrige verdrängten).

      Er redte daher auch eine Art von Büchersprache, und Anton erinnert sich noch sehr genau, wie er im siebenten oder achten Jahre oft sehr aufmerksam zuhörte, wann sein Vater sprach, und sich wunderte, dass er von allen den Wörtern, die sich auf heit, und keit, und ung endigten, keine Silbe [36]verstand, da er doch sonst, was gesprochen wurde, verstehen konnte.

      Auch war Antons Vater außer dem Hause ein sehr umgänglicher Mann, und konnte sich mit allerlei Leuten über allerlei Materien angenehm unterhalten. Vielleicht wäre auch alles im Ehestande besser gegangen, wenn Antons Mutter nicht das Unglück gehabt hätte, sich oft für beleidigt, und gern für beleidigt zu halten, auch wo sie es wirklich nicht war, um nur Ursach zu haben, sich zu kränken und zu betrüben, und ein gewisses Mitleid mit sich selber zu empfinden, worin sie eine Art von Vergnügen fand.

      Leider scheint sie diese Krankheit auf ihren Sohn fortgeerbt zu haben, der jetzt noch oft vergeblich damit zu kämpfen hat.

      Schon als Kind, wenn alle etwas bekamen, und ihm sein Anteil hingelegt wurde, ohne dabei zu sagen, es sei der seinige, so ließ er ihn lieber liegen, ob er gleich wusste, dass er für ihn bestimmt war, um nur die Süßigkeit des Unrechtleidens zu empfinden, und sagen zu können, alle andre haben etwas, und ich nichts bekommen! Da er eingebildetes Unrecht schon so stark empfand, um so viel stärker musste er das wirkliche empfinden. Und gewiss ist wohl bei niemandem die Empfindung des Unrechts stärker, als bei Kindern, und niemandem kann auch leichter Unrecht geschehen; ein Satz, den alle Pädagogen täglich und stündlich beherzigen sollten.

      Oft konnte Anton stundenlang nachdenken, und Gründe gegen Gründe auf das genaueste abwägen, ob eine Züchtigung von seinem Vater recht oder unrecht sei?

      Jetzt genoss er in seinem eilften Jahre zum ersten Male das unaussprechliche Vergnügen verbotner Lektüre.

      [37]Sein Vater war ein abgesagter Feind von allen Romanen, und drohete ein solches Buch sogleich mit Feuer zu verbrennen, wenn er es in seinem Hause fände. Demohngeachtet bekam Anton durch seine Base Die schöne Banise, die Tausendundeine Nacht, und Die Insel Felsenburg in die Hände, die er nun heimlich und verstohlen, obgleich mit Bewusstsein seiner Mutter, in der Kammer las, und gleichsam mit unersättlicher Begierde verschlang.

      Dies waren einige der süßesten Stunden in seinem Leben. Sooft seine Mutter hereintrat, drohete sie ihm bloß mit der Ankunft seines Vaters, ohne ihm selber das Lesen in diesen Büchern zu verbieten, worin sie ehemals ein ebenso entzückendes Vergnügen gefunden hatte.

      Die Erzählung von der Insel Felsenburg tat auf Anton eine sehr starke Wirkung, denn nun gingen eine Zeitlang seine Ideen auf nichts Geringers, als einmal eine große Rolle in der Welt zu spielen, und erst einen kleinen, denn immer größern Zirkel von Menschen um sich her zu ziehen, von welchen er der Mittelpunkt wäre: dies erstreckte sich immer weiter, und seine ausschweifende Einbildungskraft ließ ihn endlich sogar Tiere, Pflanzen, und leblose Kreaturen, kurz alles, was ihn umgab, mit in die Sphäre seines Daseins hineinziehen, und alles musste sich um ihn, als den einzigen Mittelpunkt, umher bewegen, bis ihm schwindelte.

      Dieses Spiel seiner Einbildungskraft machte ihm damals oft wonnevollre Stunden, als er je nachher wieder genossen hat.

      So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner Kindheit. Wie oft, wenn er an einem trüben Tage bis zum Überdruss und Ekel in der Stube [38]eingesperrt war, und etwa ein Sonnenstrahl durch eine Fensterscheibe fiel, erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom Paradiese, von Elysium, oder von der Insel der Kalypso, die ihn ganze Stunden lang entzückten.

      Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an erinnert er sich auch der höllischen Qualen, die ihm die Märchen seiner Mutter und seiner Base im Wachen und im Schlafe machten: wenn er bald im Traume lauter Bekannte um sich her sahe, die ihn plötzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern anbleckten, bald eine hohe düstre Stiege hinaufstieg, und eine grauenvolle Gestalt ihm die Rückkehr verwehrte, oder gar der Teufel bald wie ein fleckigtes Huhn, bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien.

      Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, jagte ihm jede alte Frau Furcht und Entsetzen ein, so viel hörte er beständig von Hexen und Zaubereien; und wenn der Wind oft mit sonderbarem Getön durch die Hütte pfiff, so nannte seine Mutter dies im allegorischen Sinn den handlosen Mann, ohne weiter etwas dabei zu denken.

      Allein sie würde es nicht getan haben, hätte sie gewusst, wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat.

      Insbesondre waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten für Anton ein Fegefeuer, wogegen er gerne den mit Wachslichtern besteckten und mit übersilberten Äpfeln und Nüssen behängten Tannenbaum entbehrt hätte.

      Da ging kein Tag hin, wo sich nicht ein sonderbares Getöse wie von Glocken, oder ein Scharren vor der Türe, oder eine dumpfe Stimme hätte hören lassen, die den sogenannten Ruprecht oder Vorgänger des Heiligen Christs anzeigte, [39]den Anton denn im ganzen Ernst für einen Geist oder ein übermenschliches Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit über keine Nacht hin, wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte.

      Dies währte bis in sein achtes Jahr, wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des Heiligen Christs an zu wanken fing.

      So teilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, dass er, so fest er konnte, die Hände zusammenfaltete, und sie nicht wieder auseinanderließ, bis das Gewitter vorüber war; dies, nebst dem über sich geschlagenen Kreuze, war auch seine Zuflucht, und gleichsam eine feste Stütze, sooft er alleine schlief, weil er dann glaubte, es könne ihm weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben.

      Seine Mutter hatte einen sonderbaren Ausdruck, dass einem, der vor einem Gespenste fliehen will, die Fersen lang werden; dies fühlte er im eigentlichen Verstande, sooft er im Dunkeln etwas Gespensterähnliches zu sehen glaubte. Auch pflegte sie von einem Sterbenden zu sagen, dass ihm der Tod schon auf der Zunge sitze; dies nahm Anton ebenfalls im eigentlichen Verstande, und als der Mann seiner Base starb, stand er neben dem Bette, und sahe ihm sehr scharf in den Mund, um den Tod auf der Zunge desselben, etwa, wie eine kleine schwarze Gestalt, zu entdecken.

      Die erste Vorstellung über seinen kindischen Gesichtskreis hinaus bekam er ohngefähr im fünften Jahre, als seine Mutter noch mit ihm in dem Dorfe wohnte, und eines Abends mit einer alten Nachbarin, ihm, und seinen Stiefbrüdern allein in der Stube saß.

      [40]Das Gespräch fiel auf Antons kleine Schwester, die vor kurzem in ihrem zweiten Jahre gestorben war, und worüber seine Mutter beinahe ein Jahr lang untröstlich blieb.

      »Wo wohl jetzt Julchen sein mag?« sagte sie nach einer langen Pause, und schwieg wieder. Anton blickte nach dem Fenster hin, wo durch die düstre Nacht kein Lichtstrahl schimmerte, und fühlte zum ersten Male die wunderbare Einschränkung, die seine damalige Existenz von der gegenwärtigen beinahe so verschieden machte, wie das Dasein vom Nichtsein.

      »Wo mag jetzt wohl Julchen sein?« dachte er seiner Mutter nach, und Nähe und Ferne, Enge und Weite, Gegenwart und


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