Und Friede auf Erden von Karl May. Karl MayЧитать онлайн книгу.
macht, der aber gar kein »Kultus« ist. Man legt dabei die abergläubischen Gepflogenheiten
unserer untersten Volksklasse zu Grunde, doch ist das grad und genau so falsch, als wenn wir Ihre Seligen und Heiligen
mit den Augen des Gespensterglaubens betrachten wollten, der in den niederen Kreisen Ihrer Bevölkerung vorhanden ist.
Es kann uns nicht einfallen, an Sie die Forderung zu stellen, auf den Himmel dieser Seligen zu verzichten; aber
ebensowenig wird uns eine Macht der Erde dazu bringen, der beglückenden Ueberzeugung abtrünnig zu werden, daß
auch unsere Abgeschiedenen nicht gestorben sind. Was Sie von ihrer [Ihrer] Mutter sagen, das klingt in meinem Herzen
freudig wieder. Auch wir Chinesen haben Mütter, die in unserer Liebe noch nach dem Tode weiterleben, und ein Volk,
welches seine Mütter, seine Väter, seine Ahnen nicht vergißt, wie der Europäer sie vergißt, der oft die Vornamen des
Großvaters seines Vaters oder seiner Mutter nicht mehr kennt, ein solches Volk schlägt seine Wurzeln so tief in die
Vergangenheit, aus der es Kraft und Nahrung zieht, daß es um seine Zukunft nicht zu bangen braucht. Nur der, welcher
den geistigen Boden nicht kennt, auf dem wir leben, kann von der »Greisenhaftigkeit des gelben Mannes« sprechen. Sie
sehen, der Ruf, in dem wir stehen, ist mir nicht unbekannt. Aber wer die Vergangenheit nicht achtet, der hat für die Zukunft
keinen Wert. Die Stammbäume auch Ihrer alten Geschlechter sind nicht nur von genealogischer Bedeutung, sondern es
steigt ein sich stets verjüngendes Leben in ihren Zellen auf und nieder, und in ihrem Schatten können sich alle Jene
sammeln, welche ihren inneren Zusammenhang mit der Nation verloren haben, weil sie ihre Zugehörigkeit zum Stamm
nicht pflegten und nun nur verwehte Blätter längst entlaubter Bäume sind, Völkerhumus, in welchem das Gedächtnis so
manches edlen Geistes und so mancher schönen Tat den Erstickungstod gefunden hat. Eines solchen Todes haben wir
Chinesen das Andenken Derer, von denen wir stammen und deren geistige Hinterlassenschaft wir zu pflegen und zu
wahren haben, nicht sterben lassen. Wir sind uns des Zusammenhanges mit ihnen bewußt; wir gedenken ihrer; wir feiern
ihre Erinnerungstage, und wenn dies von dem gewöhnlichen Manne, der für geistige Opfer und Liebesgaben kein
Verständnis hat, in mehr materieller Weise geschieht, als es eigentlich im Sinne dieser Ehrung der Vorfahren liegt, so
wird doch nur Jemand, dem es an Einsicht fehlt, behaupten können, daß es sich um eine abergläubische Verirrung oder
gar um eine Abgötterei handele, durch welche unsere Intelligenz sich bis auf unter Null herabgesunken zeige. Sie sind
eine Dame, Miß Waller, und halten das Andenken Ihrer Mutter heilig; ich bin ein Mann und sage, wir bleiben dem
Gedächtnisse unserer Väter treu. Ist das nicht ganz dasselbe? Wollten Sie mich verurteilen, so müßte ich auch Ihnen
Unrecht geben, und ich denke doch, daß weder Sie noch ich eine Ursache haben, uns in dieser Weise wehe zu tun!«
Er hielt ihr seine Hand hin, und sie legte, froh über diese Vertraulichkeit errötend, die ihrige hinein. Ich muß gestehen,
daß der Chinese mich, so zu sagen, gefangen genommen hatte. Nicht nur Alles, was er tat und was er sagte, sondern
auch wie er es tat und wie er es sagte, war so aristokratisch, so vornehm, ohne jedoch gekünstelt oder überhaupt
gemacht zu sein. Er hatte jene seltene Art, zu sprechen, welche bei dem Zuhörer die Ueberzeugung erweckt, daß es gar
nicht anders und besser gesagt werden kann, als es gesagt worden ist. Ich stand nicht an, ihn für einen Mann zu halten,
welcher im stande war, das, was er beabsichtigte, mit kühlster Ueberlegung zu berechnen, und doch hatte er auch einen
so warmen, so aufrichtigen Herzenston, daß mir es gar nicht als schwer erschien, ihm Liebe und Vertrauen zu schenken.
Er war Krystall. Ich finde kein Wort, den Eindruck, den er auf mich machte, deutlicher zu bezeichnen. Und was für
Kenntnisse mußte dieser Mann besitzen! Wenn ich jemals einen Menschen getroffen hatte, welcher genau wußte, was er
wollte, und auch das Zeug dazu hatte, es zu wollen, so war es dieser Chinese hier, der sich so einfach Fu nennen ließ!
Als er der Dame seine Hand gereicht hatte, erhob er sich, um den Speisesaal zu verlassen. Sein Sohn folgte dem
Beispiele des Vaters, der Miß seine Rechte hinzustrecken.
»Ich danke Ihnen auch,« sagte er. »Halten Sie uns nicht für gelber und für sonderbarer, als wir wirklich sind!«
Vor ihrem Vater verbeugten sie sich nur; dann gingen sie fort. Er sah ihnen nach, bis sie verschwanden; dann meinte
er, mit der Hand über das Tischtuch streichend:
»Weg! Aufgeblasenheit und Mangel an Einsicht! So, genau so sind die Völker kurz vor ihrem Untergange! Wie soll
man solche Leute fassen? Wenn der Heide behauptet, ein Christ zu sein, ist jedem Versuche, ihn zu bekehren, die Kraft
genommen!«
»Ich fürchte, Vater, daß Fu nicht der einzige Chinese sein wird, von dem du diesen Einwand hörst,« bemerkte die
Tochter.
»Pshaw! Laß uns nur erst in China sein! Ich werde von Tempel zu Tempel ziehen und meine Stimme erschallen
lassen, daß die Götzen, die rings an den Wänden stehen, zittern! Du weißt ja, daß mir die Macht des Wortes gegeben ist,
welches Felsen zerschmettert! Man wirft uns Amerikanern in neuerer Zeit den Cäsarismus vor. Nun wohl, wir bekennen
uns zu ihm. Und wie auf äußerem Gebiete, so wollen wir auch auf dem Gebiete des Glaubens Herrscher sein! Schau in
die Weltgeschichte der neuen Zeit! Ueberall, wo eine Eroberung gemacht worden ist, sind ihr die Boten des Christentums
vorangegangen. Wir sind die kühnen Pioniere der geistlichen und infolgedessen auch der weltlichen Macht. Die
Diplomatie der Vereinigten Staaten richtet schon seit einiger Zeit ihren Blick über den Stillen Ozean. Wir haben uns auf
Inseln festgesetzt; es gilt, nun auch in China besser Position zu nehmen, als es bisher geschehen ist. Ich werde an dieser
Aufgabe arbeiten und glaube, nicht der unrichtige Mann dazu zu sein!«
»Aber, Vater, Liebe, bitte, mehr Liebe mußt du zeigen!«
»Bemühe dich nicht, klüger zu sein, als dein Vater ist! Es haben die Tempel der Heiden in aller Welt zu fallen. Ihre
Säulen müssen zerstört und ihre Mauern eingestürzt werden. Es darf keinen Allah und keinen Muhamed, keinen
Zoroaster, keinen Brahma, keinen Confucius und Mencius mehr geben!«
Er sprach erregt, erregter, als der öffentliche Ort, an dem er sich befand, es eigentlich erlaubte. Sie legte ihm
begütigend die Hand auf den Arm und bat:
»Sprich leiser! Du bist so unruhig jetzt, gar nicht so still und heiter, so überlegend und bedächtig, wie du warst,
solange die Mutter lebte. Ich hoffte, daß die Reise dich zerstreuen werde; aber die »Heidentempel« kommen dir fast gar
nicht mehr aus dem Sinn.«
Sie sprach so eindringlich und so ernst, und ihr Auge hatte dabei einen so tiefen, dunklen Blick. Sie schien noch
besorgter zu sein, als sie sich merken lassen wollte. Die Wirkung ihrer Worte war keine nachhaltige. Ein Weilchen war er