Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
Die vier Haimonskinder ritten zumal auf einem großen
überstarken Rosse, des Name war Bayard. Viele
Wahrzeichen gibt es noch von ihm im Lütticher
Lande und der Gegend dort herum. Nahe bei Lüttich
ist ein Felsen, der zeigt eine kahle glatte Stelle, darauf
ist ein Rosseshuf eingetreten, der rührt vom Bayard
her. Als das Roß auf Kaiser Karls Befehl von den vier
Haimonskindern zur Sühne dargebracht wurde, ließ es
der harte Kaiser von der Brücke zu Paris in die Seine
werfen, nachdem es mit Stricken gebunden war, aber
mit seiner Kraft zersprengte es die Stricke und kam
wieder hervor aus dem Wasser und lief zu seinem
Herrn und leckte ihm die Hand. Da ließ der Kaiser
das Roß mit Steinen belasten und abermals in den
Strom stürzen, und wiederum kam es hervor und hatte
die Steine von sich geschüttelt und lief zu seinem
Herrn und stand – und zitterte. Aber der Kaiser fand
seines Zornes gegen das Roß kein Ende und gebot, es
solle am Hals und an den Füßen mit Mühlsteinen belastet
und zum dritten Male in die Flut geworfen werden.
Als das kluge Roß Bayard dieses grausame Wort
vernahm, erschrak es und entfloh ins Weite – aber der
Kaiser gebot Reinhold von Dordone, dem jüngsten,
aber stärksten Sohne Haimons, des Rosses Herrn,
dem es willig wie ein Kind diente und gehorchte, daß
er gehe und den Bayard fange. Da ging Reinhold –
schwerer am Kummer auf seinem Herzen tragend, als
das Roß an Steinen getragen hatte – und fing den Bayard
und brachte ihn geführt, und so wurde das treue
Roß zum dritten Male in die Flut gestoßen, so schwer
belastet, daß es sich nicht wieder ihr entringen konnte.
Es hob nur noch ein einziges Mal den Kopf in die
Höhe und blickte auf Reinhold, seinen Herrn, hin,
dann versank es. Da tät sich Reinhold aller ritterlichen
Gewaffen ab, wanderte als Büßer von hinnen,
kam nach Köln, der heiligen Stadt, und arbeitete allda
unter den Maurern um kargen Lohn am Dombau, bis
neidische Mitgesellen ihn durch einen Steinwurf töteten,
den sie von einer Höhe niederwarfen.
Das Roß Bayard aber blieb unvergessen, vielfach
blieb sein Name in Ehren, ja es geht auch die Sage,
daß es sich an ferner Stelle dennoch wieder aus dem
Strom gerettet und in den Ardennerwald sich geborgen
habe, wo es noch immer bisweilen sich sichtbar
zeige. Bei Dinant ist ein vielfach zerklüfteter Fels, der
heißt der Bayardsfelsen, und ohnweit Charleroi, oberhalb
dem Dorfe Couillet, wird auch ein Bayardstritt
im Stein gezeigt. Dem Rosse zu Ehren hatten die vier
Haimonskinder ein Schloß Bayard genannt, das steht
zu Dhuy in der Grafschaft Namur, dort haben sie öfter
gewohnt, sowie auch auf dem Schlosse Reinoldstein
in der Provinz Lüttich, wo nahe dabei Schloß Poulseur
gelegen war, darauf Malagys, der Vetter der vier
Haimonskinder, ein mächtiger und listiger Zauberer,
wohnte, wie auch im Schloß Amblème, das noch nach
ihnen heißt, und in Eggernwalde. Auch liegt ein Dorf,
Berthem, im belgischen Lande, das hat das Roß Bayard
zum Wappen. Auch zeigte man allda des Rosses
große Krippe und nahe bei Berthem, im Walde
Meerdael, auch einen Bayardhuftritt. Als Reinhold
von Dordone von seinen Brüdern geschieden war, entsagte
auch sein ältester Bruder Adelard der Welt, begabte
die Abtei Corvey mit der Oberherrlichkeit von
Berthem und trat als Mönch in jenes Stift, verstarb
auch alldort eines seligen Todes. Über dem Hochaltare
der Kirche zu Berthem fand sich vordem ein Gemälde
aufgestellt, darauf sahe man Adelard und seine
Brüder samt dem Rosse Bayard vor einem Kreuze
knieen.
Kapitel 7
134. Die Toten in Löwen
Zu Löwen war ein Totengräber, der sollte ein Grab
bereiten, fühlte sich aber krank, zumal war es am
Abend Allerheiligen (Vorabend Aller Seelen) und
schon recht kalt, und da bot sich, wie er klagte, sein
Gevatter an, das Grab für ihn zu machen, was aber zu
Nacht noch geschehen mußte. Vor Mitternacht war
der Mann mit seiner Arbeit fertig und wollte vom
Kirchhof hinweggehen, da sah er eine Prozession auf
diesen gezogen kommen, die schritt über alle Gräber;
es schienen weiße Mönche zu sein, und jeder trug eine
Kerze, und wie sie an den Gevatter kamen, der ein
Spielmann war, ließen alle ihre Kerzen vor ihm hinfallen,
der letzte Mönch aber warf eine große Kugel
vor ihm hin, mit zwei Dochten. – Ei, dachte der unerschrockene
Spielmann, das ist schön weiß gebleichtes
Wachs und ein guter Lohn für meine Mühe; sammelte
daher alles sorglich auf, band es in sein Tuch und
barg es daheim unters Bette, schlief auch ganz ruhig
in dieser Nacht.
Andern Tages aber, als der Spielmann sich früher
niedergelegt hatte, konnte er nicht einschlafen, sondern
wachte die Mitternachtstunde heran; siehe, da tat
seine Kammertüre sich auf, und es kamen alle die
weißen Mönche herein und stellten sich um die Betten
her, in denen der Spielmann und seine Frau lagen,
und bückten sich und schauten unter des Spielmanns
Bette und zogen das Tuch mit den vermeinten Kerzen
hervor, und über dem Bücken entfielen den Mönchen
ihre weißen Kapuzen und Mäntel, und waren eitel
scheußliche Gerippe, und schrieen: Mein Arm! Mein
Bein! Mein Kreuz! Meine Rippe! Und meine Rippe!
Und mein Kopf! schrie das letzte Gerippe, das hatte
in der Tat keinen Kopf, und alle den andern Gerippen
fehlte das, wonach sie riefen, und das alles