Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
seinem Tuche zusammengebunden und
in der Meinung, es seien Wachskerzen und eine
Wachskugel, nach Hause getragen. Nun langten alle
mit ihren klapperdürren Armen nach ihren Gliedmaßen,
und das Gerippe ohne Kopf bückte sich, und der
Spielmann mußte ihm den Kopf selbst auf- und zurechtsetzen,
dann langte es nach des Spielmanns
Geige, drückte sie ihm in die Hände und machte das
Zeichen, daß er aufspielen sollte, und nun faßten sich
alle die Gerippe mit den dürren Fingern an und tanzten
nach dem Spiel und klapperten, und der Spielmann
klapperte auch nebst seiner Frau, und jene kreisten
wild in der Kammer herum, war gar ein schauriger
Totentanz und dauerte eine ewig lange Zeit, und
wenn der Spielmann müde wurde, so langte ihm ein
Gerippe eine Maulschelle in das Gesicht, die sehr weh
tat. Endlich beim ersten Hahnschrei hüllten die Gerip-
pe sich wieder in ihre Mäntel und huschten von hinnen.
Der Spielmann und seine Frau haben von Stund an,
als sie dies Schreckliche erlebt, nicht mehr geredet,
nur daß sie in der Beichte erzählten, was sie gesehen,
und dann sind sie bald darauf mitsammen gestorben.
Besser als diesem Spielmann ist es einem frommen
Bötticher zu Löwen ergangen. Der ging allabends, da
er nahe an Sankt Quintini Kirchhof wohnte, auf diesen
Kirchhof und betete für die Ruhe der Toten einen
Rosenkranz oder zwei. Da geschah es, daß er eine
Summe Geldes für abgelieferte Arbeit einnahm, das er
zu sich steckte, da er gerade auf den Kirchhof gehen
wollte, seiner Gewohnheit noch für die Ruhe der
Toten zu beten. Es waren aber einige Spitzbuben in
der Nähe, die wußten, daß der Bötticher Geld einnehmen
sollte, und dachten gleich, er werde es zu sich
stecken, die lauerten auf ihn, und da er auf den Kirchhof
kam, fielen sie über ihn her und wollten ihn niederwerfen.
Aber da rauschte und brauste, rasselte und
prasselte es ringsumher, und es erhoben sich alle
Toten, für deren Ruhe der Büttner so oft gebetet hatte,
und schlugen mit Arm- und Beinknochen härtiglich
auf die Räuber los, daß denen ein Grauen ankam und
sie teils niederstürzten, teils eilends entflohen. So war
der fromme Meister befreit und gerettet und hat nachher
um so eifriger für die Ruhe der Toten gebetet. Der
Magistrat aber ließ die Geschichte auf eine Tafel
malen und diese an der äußern Kirchenmauer aufhängen,
allwo sie noch zu sehen ist.
Diese Sage geht auch mit weniger Veränderung in
Deutschland von einem Ritter, Torringer geheißen,
der, wenn er nachts am Kirchhof vorüberritt, nie unterließ,
ein Gebet für die Toten zu sprechen. Eines
Abends jagte er aber, von einer ganzen Schar wütender
Feinde verfolgt, welche dicht hinter ihm waren,
vorüber nach seiner Feste zu. Siehe, da erhoben sich
die Toten rasch aus ihren Gräbern und traten zwischen
den Fliehenden und seine Verfolger, die voll
Entsetzen zurückprallten, wie sie die Schädel und Gerippe
im Mondenscheine dastehen sahen und ihnen
den Weg sperrten, und unbeschadet konnte der Ritter
seine sichere Feste erreichen.
135. Der Schwanritter
Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam
und hatte keinen Sohn, so wollte er sein Land und
Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen.
Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte
darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein
Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich.
Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, und
der lud sie und auch ihren Schwager gen Neumagen
(Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms,
die Wal geheißen, und da kam sie mit ihrer
Tochter hin, und auch ihr Gegner. Und da geschah es,
daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und
hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen,
der hatte ein silbern Halsband um und zog mit
diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich,
und in dem Nachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch,
auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen
Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich
gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran.
Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten
sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und
eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling
im Nachen aber erwachte, tat sein Gewaffen wieder
an, erhob den Schild, darauf acht Szepterlein um
einen weißen Karfunkel gestellt waren, und stieg aus
der Barke, zu dem Schwane sprechend: Fliege deinen
Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf,
will ich dir rufen! Da wandte sich der Schwan und ruderte
im Wasser und entschwand samt dem Nachen
den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte
ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem Karol
selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete,
dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den
Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen.
Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und
ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach,
daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle
ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und
ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog
war aber gar ein mannlicher Held und dem Besten
im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin,
denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft,
den sie wagen konnte aufzufordern, sich jenem
gegenüberzustellen. Da weinte sie im bittern
Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war
ihr weh im Herzen. Siehe, da erhob sich der junge