Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
und so ritten sie miteinander
eine gute Strecke und wechselten manch
süßes minnigliches Wort. Siehe, da kam ein stattlicher
und schöner Ritter dem Jan von Nivelle entgegen,
der bot ihm nach abenteuernder Ritter Brauch so-
gleich Kampf an und forderte, daß er mit ihm um die
Dame eine Lanze brechen solle, und wer obsiege, dem
solle sie gehören.
Jan von Nivelle war tapfer genug, um keinem
Abenteuer sich zu entziehen, hier aber sprach er:
Weshalb soll ich kämpfen um das, was schon mein
ist? Die Jungfrau wird wohl wissen, wem sie folgen
will, sie allein mag entscheiden, wem sie gehört, nicht
Schwert und Lanze! – Wohlan, edle Jungfrau, so entscheidet
Ihr! sprach mit höhnischem Blick auf Jan
von Nivelle der fremde Ritter, und siehe, die Jungfrau
sprang vom Roß herab und ließ sich von dem Fremden
auf das seine heben, sei es, daß dieser ihr besser
gefiel, sei es, daß sie bereits im Einverständnis mit
ihm war. Jan von Nivelle verlor über diese Treulosigkeit
kein Wort; er grüßte seinen Gegner nach Rittersitte
und ritt mit seinem Hunde weiter, nachdenkend
über des Weibes Art und Launen. Er war aber noch
gar nicht weit geritten, so kam sein Gegner ihm nachgesprengt,
der die Schöne einstweilen seiner harren
ließ, und rief: Meine Herrin hat gar ein großes Wohlgefallen
an Euerem Hunde, edler Ritter! Wolltet Ihr
mir den lassen ohne Gefährde? Außer dem müßten
wir dennoch einen Gang miteinander tun.
Jan von Nivelle blieb auch bei dieser sehr wenig
bescheidenen Forderung ganz ruhig und erwiderte: Ich
habe die Jungfrau nicht gehalten, nach eigener Wahl
zu handeln, ich halte auch meinen Hund nicht; wen
von uns zweien er erwählt, der nehme ihn hin. – Des
war der Ritter sehr erfreut und lockte den Hund und
bot ihm gute Bissen, aber der bleckte die Zähne gegen
ihn und knurrte ihn grimmig an und wäre ihm vielleicht
gleich in das Gesicht gesprungen, wenn sein
Herr ihn nicht abgerufen. Dieser lenkte jetzt ohne
Gruß sein Roß von dannen, der Hund schoß mit freudigem
Bellen an ihm vorbei, und jener Ritter wandte
sich beschämt zu der Jungfrau zurück, die an Treue
der Hund beschämte. Das ist der Sagenstoff zu Bürgers
Gedicht Das Lied von Treue.
Es hat auch noch einen Jan Nivelle den Zweiten gegeben,
der machte Bekanntschaft mit dem Zauberer
Heinrich Cornelius Agrippa, und da dieser einst durch
Nivelle kam, lud er ihn gastlich auf sein Schloß und
bewirtete und herbergte den berühmten Mann allda
auf das köstlichste, erzählte ihm die vorstehende Geschichte
und wünschte sich auch einen so treuen
Hund. Zum Danke verehrte Agrippa dem Schloßherrn
einen schwarzen Hund – den haben viele für einen
schlimmen Geist gehalten, und der Hund hatte einen
ganz geheimnisvollen Namen, und niemand kannte
ihn als sein Herr, Jan von Nivelle, allein. Diesen
Hund mochte rufen und anlocken, wer da wollte, er
hörte auf niemand als auf seinen Herrn. Dieser Jan
von Nivelle-Montmorency soll der Großvater des
Grafen Horn gewesen sein, der mit Egmont in Brüssel
zugleich enthauptet wurde. Seine Mutter war Gudula
Vilain von Gent.
144. St. Johannisäpfel
Es war ein heiliger Bischof von Tongern, zubenannt
das Lamm, der war vorher ein Ackersmann gewesen,
der seiner Pflicht lebte und fromme Werke übte. Eines
Tages zog Johann seine Furchen auf dem Acker, da
stand ein Mann in Pilgertracht vor ihm, von überirdischem
Ansehen, und sprach: Gott grüße dich, Bischof
von Tongern!
Wen grüßet Ihr also? fragte Johann, indem er sich
rings umsah. Dich! antwortete der Pilger, den der
Herr ob deiner Frömmigkeit erkor zum heiligen
Amte. – Solches glaube ich nimmermehr! Hebe dich
weg, Versucher! rief Johann aus, so wahr das trockne
Holz deines Stabes grünet und Früchte trägt, so wahr
werde ich Bischof von Tongern. – Schaue und glaube
dann! rief der Pilgrim, stieß seinen Stab in den frischgepflügten
Ackerboden, und alsbald bedeckte sich
derselbe mit junger Rinde, trieb Sprossen und Zweige,
die setzten Blüten an, und die Blüten wurden
schöne Äpfel.
Alles ging in Erfüllung, der Baum blieb stehen,
und seine lieblichen Äpfel wurden durch Schößlinge
weit im Lande verbreitet und heißen St. Johannisäpfel
bis auf den heutigen Tag. Noch weiter verbreitet sind
die Sagen von grünenden Stäben, die meist zu Wun-
derbäumen erwuchsen, wie in Thüringen jener Wunderbaum
zu Varila, den Bonifazius aufpflanzte, des
Papstes Urban Stab in der Sage vom Ritter Tannhäuser
und manche andere mehr.
145. So viel Kinder als Tage im Jahre
Eine Stunde von Gravenhage liegt ein Dorf, das heißt
Losduinen (sprich Losdeunen), da hat ehemals ein
Kloster gestanden; die Sage geht alldort, daß dieses
Kloster wegen ruchlosen Lebens seiner Bewohner in
einer Nacht versunken sei, und daß an einer gewissen
Stelle, die aber nicht jeder findet, ein Sausen und
Brausen in der Tiefe gehört werden könne. Nur die
Kirche blieb erhalten, sie liegt außerhalb des Dorfes,
östlich, und es werden in derselben zwei kupferne
Taufbecken gezeigt, an die sich folgende Geschichtssage
anknüpft.
Graf Floris IV. von Holland hatte von seiner Gemahlin
Mechthild eine Tochter, des Namens Margaretha,
und vermählte diese mit Hermann I. Grafen von
Henneberg, den die Alten als einen freudigen und
mannhaften Helden priesen. Margaretha gebar ihrem