Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
Von welcher Seite nahmst du den
in das Schiff? – Von der Backbordseite, entgegnete
der Schiffer. – Ei so wirf ihn ins Teufels Namen von
der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich
befehle es! – Der Schiffer gehorchte, da brauste es in
den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten
sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige
breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf
der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und
schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und
trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt
zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß
kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte und
trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in
Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis
auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst
Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder
Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im
Winde.
159. Stavorens Untergang
Das große Zeichen, das der Herr getan, als er die
Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ,
besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner
von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene
gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele.
Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte
viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie
nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen
Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war,
ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen
Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen.
Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder,
und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie
mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch
nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau,
das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben
braucht; ich bringe den schönsten Weizen. – Die
Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen
und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was
soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord
damit! – Das hörte eine Schar hungernder Armen, die
flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide
zu geben, es nicht verderben zu lassen! – Aber
die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der
Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch
wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht
Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag
könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen
Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die
Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! – Frecher
Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches
Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins
Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein!
So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen
Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose
Tat.
Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer
Weise freventlich auch die meisten Einwohner
von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau
die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt
aus dem Morgenlande gescheitert seien; am
zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen
Schiffe von den Seeräubern genommen seien; am dritten
Tage verbreitete sich die Kunde, daß ihr sonstiges
Vermögen, das sie einem reichen Handelshause anvertraut
hatte, durch den Fall dieses Hauses verloren
sei. Am vierten Tage wurde aus ihrem Ziehbrunnen
ein Seefisch, eine Bütte, herausgezogen, niemand
wußte, wie dieser Fisch in den süßen Brunnen kam;
als der Fisch geschlachtet wurde, fand sich in seinem
Eingeweide – der Ring, den die Jungfrau mit freveln-
dem Ausruf in das Meer geworfen hatte.
Noch ein Jahr verging, da sah man das vordem so
stolze Weib betteln gehen von Haus zu Haus und auf
dem Felde Ähren lesen, um sein elendes Leben zu fristen.
Auch dieses Zeichen der Warnung, das der Herr
tat, irrte die Einwohner von Stavoren nicht, ihr Leben
fortzusetzen, obschon die Stadt durch den versperrten
Hafen zu verarmen begann. Da geschah es mit einem
Male, daß man in allen Ziehbrunnen Bütten und
Schellfische und Heringe fing, daß das Wasser stieg
und das Land sank, und mehr als drei Vierteile der
reichen Stadt verschlang die Flut, die fort und fort am
Lande nagt, und aller Segen war hinweg, und der Rest
der Stadt verarmte mehr und mehr.
160. Die sieben Meerminnen
Ein friesischer Schiffer hatte sein Schiff gerüstet zu
weiter Fahrt, und stand am Bord, und hob die Hand,
und gelobte sich dem Meere. Es solle das Meer ihm
schirmen und schonen sein Schiff und seine Ladung,
so wolle er auch ihm getreu sein all sein Leben lang
und nimmer an das Land begehren zu längerm Verweilen.
Da hoben sieben Meerminnen ihre Leiber
halb aus der Flut, und hörten seinen Schwur, und nahmen
ihn, und tauchten wieder in die Tiefe nieder.
Lange fuhr der Schiffer von Meere zu Meere, von
Lande zu Lande, und sein Reichtum mehrte sich, aber
er konnte dessen auf dem Schiffe nicht froh werden,
ihn nicht genießen, und allmählich kam doch ein Sehnen
in sein Herz nach dem Lande. Und da kam sein
Schiff einst an einen blumenreichen Strand voll Reiz
und blühender Gärten, und er sah eine wunderholde
Jungfrau wandeln, die sein Herz gewann, und er gewann
bald auch das ihre, freite um sie, verkaufte sein
Schiff, erbaute ein herrliches Haus am Strande,
schmückte es aus mit seinen Schätzen wie ein Königsschloß,
und dahinein führte er seine Erkorene als