Der Kaiser von Elba. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
zweite Lüge war noch ungeheuerlicher. Es war genau das Gegenteil. Mein älterer Bruder Elias und ich wurden zum Unkraut jäten gepresst. Meine Mutter bewirtschaftete einen recht großen Küchengarten. Wir hassten es, dort zu arbeiten, machten alles nur nachlässig, bis unsere Mutter es endlich mit uns aufgab.
Meine Lügen konnten jetzt und hier von Madame Durant nicht entlarvt werden. Ich sah neben einem Beet einen Spaten stecken und zog ihn aus dem Erdreich.
»Hätte ich mehr Zeit, würde ich mich liebend gerne hier austoben und ihnen selbstverständlich zur Hand gehen.«
Sie lachte. »Dafür gibt es im Park genügend Personal, aber wenn sie sich austoben müssen, wird es sicherlich Gelegenheit dazu geben. Meine Arbeit an diesem Ort sieht etwas anders aus.«
»Das müssen Sie mir unbedingt erklären«, sagte ich und trat endlich näher.
Den Spaten hielt ich dabei noch in der Hand, legte ihn aber gleich ins Gras, als Madame Durant einen zweiten Stuhl aufklappte, der an dem Tisch lehnte, an dem sie vor ihren Listen saß. Ich überwand meine Verlegenheit jetzt vollständig und schon saß ich neben ihr, so dicht, wie bei unseren bisherigen Gesprächen es noch nie der Fall war. Den wunderbaren Duft, den ihr Haar verströmte, hatte ich zuvor schon wahrgenommen. In diesem Moment jedoch traf er mich so angenehm und intensiv, dass ich erneut weiche Knie bekam und meine Verlegenheit zurückkehrte.
Sie deutete auf das Blatt Papier, an dem sie schrieb, und wollte mir die Bedeutung der Zahlen erklären. Ich hörte aber nur auf ihre Stimme und blickte seitlich auf ihren Mund und die sich bewegenden Lippen. Ich hatte Angst, mich zu vergessen und sie genau dort zu küssen. Ich musste mir schnell etwas überlegen, um nicht doch noch das Unverzeihliche zu tun.
»Das ist sehr interessant, aber können Sie mir nicht zuvor hier alles zeigen. Ich möchte unbedingt sehen, was es in der Orangerie an Pflanzen und Bäumen gibt.«
Zusätzlich rettete ich mich, in dem ich sofort aufsprang und beinahe den Klappstuhl umgerissen hätte.
Sie sah mich zunächst verwundert an, nickte dann aber. »Gut, ich sitze selbst schon viel zulange hier, machen wir also eine Begehung.«
In der folgenden Stunde hörte ich ihr kaum zu, oder nein, ich lauschte ihrer Stimme, ich mochte den Klang ihrer Stimme. Sie bemühte sich in meiner Gegenwart immer besonders deutlich und etwas langsamer zu sprechen, als sie es tat, wenn mit sie Philippe sprach oder Anweisungen an das Dienstmädchen gab. Ich bildete mir schon ein, dass mein Französisch gut war, und ich versuchte auch schneller zu sprechen, meine Worte besser zu betonen, aber es gelang mir vielleicht nicht so recht. Es kam sogar zwei-, dreimal vor, dass sie mich sehr charmant korrigierte, was mir jedes Mal einen Stich versetzte, weil ich so gerne bei ihr Unterricht genommen hätte.
Ich folgte ihr also durch diesen alten Gärtnertempel, wie sie ihn selbst bezeichnete, und suchte nach Gelegenheiten, ihr Fragen zu stellen. Natürlich wollte ich mehr über sie erfahren. Und das Dringendste, wo war ihr Mann, wo war Philippes Vater, war Bellevie überhaupt verheiratet. In der vergangenen Nacht war ich schwer eingeschlafen, hatte gegrübelt, hatte mir eine Vita für Bellevie erdacht, die meiner Sehnsucht förderlicher war. So stellte ich mir vor, dass sie nicht Philippes Mutter, sondern Tante war, dass sie den Jungen in den Kriegswirren bei sich aufgenommen hatte. Sie war die unverheiratete Tante. Mit diesen Gedanken, mit dieser Wunschvorstellung war ich eingeschlafen und am Morgen war ich davon überzeugt, von Bellevie und mir geträumt zu haben.
Ich blieb feige, während mir die Orangerie ausführlich gezeigt wurde, ich aber nichts davon mitbekam. Eine Sache merkte ich mir dann aber doch, weil Bellevie die Existenz eines Mannes andeutete, ohne direkt von ihm zu sprechen. Es gab jemanden, für den sie arbeitete, wobei sie keine Untergebene war. Vielleicht hatte ich es auch falsch verstanden. Jedenfalls begriff ich, dass der große Park nach und nach umgestaltet werden sollte und dass Bellevie die Auswahl der Anpflanzungen plante. Daher auch ihre Listen. Sie sprach sogar von der Rodung des Jagdwaldes, der dem Park angeschlossen war.
Dann war die Führung beendet und ich hätte mich so gerne wieder neben Bellevie an den Schreibtisch gesetzt. Es hätte sich nicht gehört und ich hatte auch keinen Grund dazu, außer meiner Verliebtheit, die sich noch einmal steigerte. Bellevie erinnerte schließlich daran, dass Philippe mich gesucht hatte. Ich konnte mir schon denken warum und erzählte ihr von Ponto, aber sie kannte die Geschichte bereits. Und so verabschiedete ich mich von ihr und war überglücklich, dass sie in Aussicht stellte, am späten Nachmittag gemeinsam einen Imbiss einzunehmen. Sie wollte bis dahin zurück im Herrenhaus sein.
*
Ich hatte natürlich mit Befehlen von Major Kungsholm gerechnet und so verließ ich nach drei schönen aber auch leidvollen Tagen die Stadt Versailles Richtung Paris. Beim Abschied von Bellevie und Philippe versicherte ich, in den nächsten Tagen zurück zu sein, dabei wusste ich wirklich nicht, ob ich dieses Versprechen einhalten konnte, denn noch war ich Angehöriger einer Armee. Ich trug weiterhin die preußischen Farben, als ich nach einem zwölf Meilen ritt in Paris eintraf. Es gab vor den Toren der Stadt noch immer russische Posten und ich wurde dort trotz meiner Papiere aufgehalten.
Bevor ich einen Boten in die Stadt schicken konnte, um Major Kungsholm über meine Ankunft zu informieren, traf ich auf einen Freund, mit dem ich erst wenige Tage zuvor gegen die französischen Verteidiger gekämpft hatte. Micha rief nach meinem Namen, als ich mich gerade vor eine Bank gehockt hatte, deren Sitzfläche ich als Schreibunterlage verwenden wollte. Ich sah auf, musste meine Augen mit der Hand gegen Sonne abschirmen, doch Micha, der hoch zu Ross saß, schob sich in die mich blendenden Strahlen und grinste über das ganze Gesicht. Michael Wassiljewitsch Kapusta, mein Kampfgefährte mit dem russischen Vater und der schwedischen Mutter, trug den Arm in der Schlinge. Ich erhob mich wieder und er glitt geschickt vom Pferd und umschlang mich mit dem gesunden Arm.
Ich löste mich wieder von ihm und sah ihn an. »Micha, was machst du für Sachen? Was ist mit deinem Arm?«
Er wiegelte ab. »Nur etwas verrenkt. Der Pöbel in den Straßen von Paris lauert uns bei Nacht auf, da haben wir ihnen eine Lektion erteilt. Aber sprich, wie ist es dir bisher ergangen?« Er deutete auf mein Gesicht. »Hast du deinen Kopf in ein Wachfeuer gehalten?« Er lachte.
Ich berichtete ihm in kurzen Worten von meinem Abenteuer in Versailles und ich erzählte ihm auch von Bellevie, wobei ich hier wohl zu schwärmerisch klang.
Er schüttelte den Kopf. »Die Dame hat es dir offenbar angetan.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie ist verheiratet, hat einen Sohn. Sie ist wohl auch älter als ich. Ihr Mann wird bei Napoléons Truppen in Fontainebleau sein und ich hoffe, dass ich nicht noch gegen ihn kämpfen muss. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich in die Stadt muss, und zwar zur schwedischen Delegation.«
Micha grinste. »Na ich weiß nicht.« Er überlegte, ließ zu meiner Beruhigung das Thema ruhen. »Du willst in die Stadt und sie lassen dich nicht«, stellte er fest. »Dann hole schon mal dein Pferd, ich regele das für dich.«
Und das tat Micha auch. Fünf Minuten später hatten wir den Posten hinter uns gelassen und Micha betätigte sich als Stadtführer. Es war zwar erst wenige Tage her, dass ich selbst auf Erkundung in Paris war, aber seither hatte sich einiges getan. Die Vertreter der Sieger waren in die Stadt eingezogen. Selbstverständlich hatte der russische Zar Alexander sein Hauptquartier in Paris eingerichtet, aber auch offizielle Delegationen der Österreicher, Preußen und Schweden unterhielten ihre Stabsquartiere. Micha wusste daher, wo er mich abliefern musste. Ich wunderte mich allerdings über die großzügige Stadtvilla, die einen riesigen Park besaß, der auf der einen Seite bis an die Seine heranreichte.
Am Eingangsportal standen wieder russische Posten, weil nur der Zar seine Truppen in die Stadt ließ. Diesmal hatte ich aber keine Probleme Einlass zu finden. Ich verabschiedete mich von Micha, aber nicht, bevor er mich noch zu einem Fest einlud, das am Abend stattfinden sollte. Auf einem kleinen Zettel schrieb er mir die Adresse auf und ich musste ihm versprechen, in jedem Fall zu kommen.
Ich ritt schließlich durch den Park, die geschwungene Auffahrt empor. Auf dem Giebel des großen Hauses wehten die schwedischen Farben und ich nahm instinktiv den Hut