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Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten. Joachim KathЧитать онлайн книгу.

Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten - Joachim Kath


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im Leben?“

      „Interessanter Aspekt!“ gab ich zu.

      „Um nochmals auf Aaron zu kommen“, fuhr er unbeirrt fort, „der hat entdeckt, dass es zwischen Problem und Lösung einen Lösungsradius gibt. Wenn der zwischen 180 und 360 Grad beträgt, sich also Problem und Lösung diametral entgegenstehen, wird die Lösung immer schwieriger. Im Extremfall gibt es eine Kette von Problemen mit unterschiedlichen Lösungsradien. Auch Radien, die über 360 Grad hinausgehen, also spiralförmig sind. Die Lösungswege hochkomplizierter Probleme sehen aus wie Turbulenzen, weil einzelne Stufen unsinnigerweise wiederholt auftreten, obwohl sie absolut identisch sind.“

      „Ist für mich zu hoch, verstehe ich einfach nicht!“ gab ich zu.

      „Nun, Tennis ist im Grunde ein ganz einfaches Spiel“, erklärte er genüsslich, „solange man es nicht kann. Sich den Ball irgendwie übers Netz langsam zuzuschaufeln, dass kann fast jeder ziemlich schnell lernen. Problem, Hindernis und Lösung sind praktisch auf einer Ebene. Das Ziel besteht nur darin, Spaß zu haben. Solange einer gut genug ist, dem anderen den Ball so zu servieren, dass er kein Problem hat, das Netz zu überwinden und ins Feld zu treffen, ist das erste Problem gelöst. Aber wie bei allen komplexen Problemen, und dazu gehört Tennis im Wettkampf, wird dem Anfänger eher als ihm lieb ist klar, das dieses Spiel körperliche und geistige Flexibilität erfordert. Mit Komplexität umzugehen, ist für jeden Menschen, auch für mich, wie Schwimmen mitten im Ozean. Plötzlich kippt das Wetter um und mit ihm die Situation. Auf solche relativ schnellen Veränderungen sich bei komplexen Systemen einzustellen ist schwierig.

      Ich habe seit Jahrzehnten Großunternehmen beraten, in denen sich dynamische Veränderungen vollzogen oder auch mit meiner Hilfe geplant herbeigeführt wurden. Die Situation in einem Match ist sehr viel überschaubarer, aber es ist derselbe Ablauf. Ich muss auch agieren und reagieren.“

      „Gibt es für diesen Mechanismus bestimmte Stufen? Sie sprachen von der Einteilung des Lösungsradius und wenn ich Sie recht verstanden habe, meinten Sie, ohne einzelne Phasen könnten komplizierte Probleme nicht gelöst werden, Herr Professor!“

      „Ich lasse mich nicht unter meinem Niveau provozieren!“ gab er schmallippig zurück, ließ aber gleichzeitig erkennen, dass seine Replik augenzwinkernd gemeint war. „Wenn ich mir etwas vornehme, dann gehe ich dieses neue Vorhaben gründlich an. Einfach deshalb, weil ich Zeit sparen will, denn Zeit ist das Einzige, was wir nicht produzieren können, weswegen sie sehr viel wertvoller als Geld ist. In meinem Alter hat man nicht mehr viel Zeit, zwei Drittel meines Lebens sind statistisch vorbei. Die Leute, die wirklich etwas davon verstehen, behaupten unisono, man brauche um das Tennisspielen richtig zu erlernen mindestens zwölf Jahre. Das ist einer der Gründe, weshalb ich besonders gerne gegen überlegene Gegner antrete. Man spart eine Menge Zeit dabei, Matches zu spielen und sämtliche Sinne auf Empfang geschaltet zu lassen, egal wie der Spielstand ist.“

      „Haben Sie denn ein Konzept, nach dem Sie vorgehen?“

      „Natürlich, ich gehe immer schrittweise vor. Grundsätzlich ist es so, dass ich bei der Planung für größere Projekte vier Schritte bewusst berücksichtige: Die Philosophie kommt zuerst!“

      „Die Philosophie?“ fragte ich ungläubig.

      „Ganz genau! Wir können alle im Lexikon oder im Internet nachlesen, dass unter Philosophie das Streben nach Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge in der Welt verstanden wird. Doch das ist mir zu abstrakt. Für mich ist Philosophie der Zweck meines Tuns, über den ich mir bei wichtigen Entscheidungen vorher klar werden will. Das gilt für alle Bereiche der Lebensgestaltung. Auf Tennis bezogen wäre das beispielsweise: Weshalb reizt es mich, diese ganz bestimmte Sportart auszuüben? Was ist der tiefere Sinn für mich? Warum will ich mich darauf und nicht auf das, was ich schon kann, konzentrieren?“

      „Und die anderen drei Schritte?“ fragte ich ungeduldig.

      „Zweitens kommt die Strategie, die Zielsetzung, also das, was ich erreichen will. Wenn ich ein Haus bauen will, brauche ich ein Grundstück und einen architektonischen Entwurf und ein Fundament und Kapital. Es müssen immer sehr viele sinnvolle Entscheidungen getroffen werden, die sinnvoll ineinandergreifen. Wenn ich eine Firma gründen will auch, oder eine Familie. Um bei dem Tennis-Beispiel zu bleiben: Ich will im Prinzip so gut spielen können, dass es mir Spaß macht. Dazu muss ich die verschiedenen Schläge wie Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Volley nicht perfekt, aber doch ziemlich sicher beherrschen. Das ist mein Ziel! Daran arbeite ich. Drittens an der Konzeption, oder Taktik, wie ich dieses mir selbst gesteckte Ziel am besten erreiche. Das kann man über Trainerstunden verwirklichen, aber ich bin im Grunde meines Herzens ein eingefleischter Autodidakt und setze eben eher auf Spiele gegen gleichwertige oder bessere Gegner. Anfangs habe ich bei Turnieren immer verloren, aber inzwischen gewinne ich auch manchmal. Ja, und viertens, geht es um die Art der Umsetzung des Geplanten und hier habe ich mir einen eigenen Stil ausgedacht. Ich versuche so variabel wie möglich zu spielen, weil die meisten Tennisspieler einen ganz bestimmten Rhythmus haben und den bemühe ich mich frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen.“

      „Das klingt alles ungeheuer rational und total durchgeplant!“

      Jonathan lächelte überlegen und sagte dann: „Ich habe das Spiel so verstanden, dass man den Ball dorthin spielen sollte, wo der Gegner die meisten Schwierigkeiten hat, ihn zu retournieren. Gelegentlich höre ich von Leuten, das wäre gemein, Stopps und Lobs zu spielen. Natürlich gelingt mir nicht alles, aber ich versuche, die dritte Dimension zu nutzen, wenn man mich lässt und nicht zu viel Druck durch schnelle Schüsse auf mich ausübt.“

      „Und haben sich Ihre Ideen ausgezahlt?“

      „Die Realität ist immer anders, als man vorher denkt. Damals vor zwei Jahren, als ich erstmals mit dem Gedanken spielte, mein Leben völlig zu ändern, habe ich nicht berücksichtigt, dass mich ein Journalist, ein hartnäckiger Engländer dazu, der auch noch zum Schriftsteller avancieren will, mit seinen neugierigen Fragen behelligen würde. Allein das hat einiges in mir bewirkt. Außerdem komme ich, was diese irrsinnig schwierige Schlagtechnik im Tennis angeht, viel langsamer voran als ich gedacht habe.“

      „Warum nehmen Sie nicht jetzt doch einmal einen Trainer, um die letzten Feinheiten herauszukitzeln?“

      „Die, von denen ich glaube, vielleicht etwas lernen zu können, sind zu teuer und auf der Profitour mit den Stars unterwegs. Außerdem sind sie gewiss nicht an einem über fünfzigjährigen Narren interessiert, der sich noch nicht zu alt für diesen Sport hält. Die würden doch nur lachen, wenn ich käme. Also soweit bin ich dann doch Realist und außerdem habe ich mich noch nie nach dem gerichtet, was Mode oder Lehrmeinung war.“

      Am nächsten Morgen fuhren Jonathan und ich gleich nach dem Frühstück nach Coral Gables, eine 50.000-Einwohner-Gemeinde, die wie sicherlich einige hundert andere Städte von sich behauptete, die schönste der USA zu sein. Auf ihrem Gebiet befindet sich der Main Campus der Universität von Miami und unmittelbar nördlich davon, umrahmt von Luxusvillen, die beiden Golfplätze Riviera und Biltmore. Letzterer gehörte zum berühmten „The Biltmore Hotel“, einem schloßähnlichen Bau mit dem größten Swimmingpool der Welt. Dieses historische Gebäude ist das Wahrzeichen von Coral Gables, was es nicht davor bewahrte, immer einmal wieder aus finanziellen Gründen von der Spitzhacke bedroht zu sein.

      In dieser sündteueren, extrem gepflegten Wohngegend, direkt neben dem Hotel, stand sie nun, das Objekt von Jonathans Begierde: die größte Tennisübungswand, die irgendein Mensch jemals gesehen hat. Der Professor hatte gehört oder gelesen, dass es üblich wäre, sich an dieser Knallwand einzufinden wenn man keinen Spielpartner hatte, ein paar Bälle zu schlagen und wenn man meinte, zusammen zu passen, ein Match zu vereinbaren. Natürlich musste er unbedingt dorthin. Mir wäre es peinlich gewesen, neben einem wildfremden Menschen an einer Wand Tennis zu spielen und ihn dann vielleicht auch noch anzusprechen. Aber das brauchte er gar nicht. Der andere, der sich bald darauf neben ihm aufbaute und wie wild abwechselnd Vor- und Rückhände gegen die glatte, grüne Betonwand donnerte, ein kräftiger junger Kerl, Typ Produktmanager, schien ganz heiß auf einen Gegner zu sein. Nach noch nicht einmal zehn Minuten packten sie ihre Tennistaschen, mieteten für ein paar Dollars einen Platz, es gab nur Hartplätze, und begannen sich sofort einzuschlagen.


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