Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
hatten im besten Fall ein Technikum besucht, sie waren nichts gegen Herrn Feistlein. Karl Siebrecht aber, der nicht einmal eine richtige Lehre durchgemacht hatte, der war schon der reine Garnichts.
Die geplanten Bauten im Bayrischen Viertel der Stadt Berlin beschäftigten Herrn Oberingenieur Hartleben sehr stark: als Karl Siebrecht mit dem Ordnen des einen Schrankes fertig geworden war, schickte ihn Herr Feistlein einfach an einen anderen Schrank. Und von dem anderen Schrank an einen dritten. Da aber Herr Feistlein, wie er oft stolz von sich sagte, kein pedantischer Ordnungsmensch war, sondern ein Architekt, also ein freier Künstler, wurde die hinter Karl Siebrecht entstandene Ordnung fast ebenso rasch wieder zerstört, wie sie geschaffen worden war, so daß alle Aussicht bestand, daß er mit dem Ordnen der zehn oder zwölf Schränke eine Lebensstellung erworben hatte. Nicht genug damit! Herr Feistlein ging auch dazu über, den Knaben Karl, wie er ihn nur nannte, zu Botendiensten zu verwenden. Dann mußten Marken von der Post geholt, nun Briefe zur Post getragen werden, jetzt war Zeichenmaterial herbeizuschaffen, nun ein Stoß Pausen auf eine Baustelle zu bringen. Für all solche Wege gab es nur den Knaben Karl.
Der Knabe Karl erledigte diese Dinge eigentlich recht willig. Er war fast froh, aus dem endlosen, immer etwas düsteren Zeichensaal zu kommen. Er rannte in die frische Winterluft, er lernte immer neue Straßen kennen. In so vielen Häusern hatte er nun Geschäfte – wenn der Herr Feistlein dachte, ihn zu ärgern, so irrte er sich sehr. Das war des Karl Siebrecht Ehrgeiz nicht, ein perfekter Bauzeichner zu werden, um etwa in seinem fünfzigsten Lebensjahre zum Vorsteher einer solchen Stube aufzurücken. Das alles war, er fühlte es, nur Durchgangsstation, eines Tages würde es zu Ende sein, mit oder ohne Herrn Feistlein.
Es sah beinahe so aus, als sollte es mit Herrn Feistlein zu Ende gehen. Denn der Ingenieur ging dazu über, den Knaben Karl auch zu persönlichen Besorgungen anzuhalten. Dann waren aus einem Geschäft in der Französischen Straße zehn ganz bestimmte Zigarren zu holen, dann aus der Weinhandlung des noch nicht lange eröffneten Hotels Adlon eine Flasche Cognac. Der Knabe Karl brachte Cognac und Zigarren, er war sowieso unterwegs, er war ohne Berufsstolz, er brachte, was Herr Feistlein verlangte. Bald aber mußte er auch extra für Herrn Feistlein über die Straße laufen. Jetzt war es nach einem Glas Bier, das vorsichtig unter den Zeichentisch gestellt wurde, nun nach Schrippen und Leberwurst, nun nach zwei sauren Gurken und nun wieder nach einem Glas Bier. Siebrecht merkte die Absicht, und sein jugendlicher Trotz lehnte sich auf. Aber es war schwer, da böswillig aufzuhören, wo er gutwillig angefangen hatte. Der Ingenieur hatte seine Wünsche ganz allmählich vermehrt, der Punkt, wo sie das Erträgliche überschritten hatten, war längst vorbei – es mußte ein besonderer Anlass kommen, der Karl Siebrecht berechtigte, seinen Vorgesetzten den Gehorsam aufzukündigen.
Wer wartet, gewinnt. Es kam ein Nachmittag, an dem Herr Oberingenieur Hartleben nicht auf der Zeichenstube anwesend war, der Chef hatte ihn zu sich gerufen. Dies hatte Herr Feistlein zum Anlass genommen, auch sich auf ein oder zwei Stunden von der Zeichenstube zu beurlauben, ohne vom Chef dazu berufen zu sein. Als Feistlein gegen vier Uhr nachmittags die Stube wieder beitrat, glühte ein Antlitz wie eine schöne rote Holländer Tulpe.
Herr Feistlein war nicht gesonnen, sich nun sogleich an seine Arbeit zu machen. Er ging erst eine Weile, gewaltig leuchtend, auf und ab, wobei er die Zeilen vor sich hinsummte: »Wo sind sie, die vom breiten Stein nicht wankten und nicht wichen, die ohne Moos bei Bier und Wein den Herrn der Erde glichen? Sie zogen mit gesenktem Blick in das Philisterland zurück. O jerum, jerum, jerum, o quae mutatio rerum!« – »Knabe Karl!« rief Herr Feistlein herumfahrend: »Übersetze: quae mutatio rerum!«
Der Knabe Karl hätte es sogar gekonnt, so viel Latein hatte ihm der Rektor Tietböhl immerhin beigebracht, aber er hatte keine Lust, sich hier zum Vergnügen der ganzen Zeichenstube examinieren zu lassen. So sagte er: »Keine Ahnung, Herr Feistlein!«
»Da sieht man's wieder!« rief Herr Feistlein, rot strahlend. »Nicht humanistisch gebildet! Oh, welch ein Abgrund von Unwissenheit bist du doch, Knabe Karl! Du ahnst es nicht, wie unwissend du bist, aber ich weiß es, und es tut mir wehe, wenn ich dich ansehe! Unser Kaiser hat gesagt, daß er das Realgymnasium wohl fördert, aber mit Treue an dem humanistischem Gymnasium hängt! Uns Humanisten liebt unser herrlicher Kaiser nach seinen Herren Offizieren am meisten. – Da habt ihr's!«
Damit fuhr Herr Feistlein zu den grinsenden Zeichnern, deren Gesichter sofort ernst oder beifällig wurden, herum und vergaß eine Weile den Knaben Karl. Er ging nun von Zeichentisch zu Zeichentisch, tadelte vieles und fuhrwerkte gewaltig mit seinem Bleistift herum, hütete sich aber wohl, auch nur einen einzigen Strich zu tun. Denn so klar war er noch, seinem Zustand zu mißtrauen. Dann sank er in den Stuhl vor seinem Tisch, stützte das Haupt in die hohle Hand und versank in tiefes Sinnen. Es wäre nun alles gut abgelaufen, wenn Herr Feistlein nicht von dem Schlackerwetter draußen nasse Füße gehabt hätte. Ohne dies wäre er sanft entschlummert, eingelullt von dem warmen Sausen der Gasflammen.
Aber seine Füße störten ihn. Ein paarmal starrte er irritiert auf sie, dann richtete er sich auf und schrie: »Karl, Knabe Karl!«
»Jawohl, Herr Feistlein?«
»Mal herkommen!« Der Knabe Karl kam, er stand vor seinem Herrn und sah ihn an. »Zieh mir mal die Dinger aus!« sagte Herr Feistlein. Der Knabe Karl sah ihn an. »Du sollst mir die Stiebel ausziehn, verdammt noch mal! Hörst du nicht?!«
»Nein, Herr Feistlein!«
»Wie –?!!!«
»Nein, Herr Feistlein, das tue ich nicht!«
»Du tust nicht, was ich dir sage?«
»Nein, Herr Feistlein, dies nicht!«
»Dann soll dich und mich«, sagte Herr Feistlein mühsam, »der Teufel holen!« Und Herr Feistlein stieß mit dem Fuß nach dem Jungen.
»Lassen Sie das lieber, Herr Feistlein!« sagte Karl Siebrecht warnend.
Der Ingenieur hatte selbst das dunkle Gefühl, daß es besser wäre, dies zu lassen. Da aber die Anregung dazu von dem Jungen kam, vertrug es sich nicht mit seiner Ehre, auf sie einzugehen. Herr Feistlein schlug noch einmal aus und traf kräftig das feindliche Schienbein. »Da!« rief er, von der Wucht seines Stoßes überrascht und begeistert.
»Da!« rief auch der Junge und hatte den Fuß fest in Händen.
»Laß los, sofort!« schrie Herr Feistlein.
»Nicht, ehe Sie nicht aufhören, zu treten!«
»Ich denke ja gar nicht daran!« rief der Ingenieur. »Du kriegst noch ganz andere Tritte von mir!« Und er bemühte sich, den Fuß aus den Händen des Knaben zu befreien. Dabei hatte er aber jede Rücksicht auf seinen durch Alkoholgenuss gestörten Gleichgewichtssinn vergessen: er rutschte vom Stuhl und landete mit einem Krach auf dem Stubenboden. »Da!« rief er verblüfft. Karl Siebrecht aber hatte den Fuß losgelassen und lachte aus vollem Halse, so sehr amüsierte ihn das rote Gesicht, das fassungslos zu ihm emporleuchtete.
Die ganze Zeichenstube war in einem Aufruhr. Viele fanden sich, die dem gestürzten Gewaltigen dienstfertig aufhalfen. Spaßbolde klopften ihn von hinten sehr kräftig ab. Andere aber auch schoben sich um Karl Siebrecht und flüsterten ihm zu: »Das hast du recht gemacht! – Laß dir nur nichts gefallen von dem! – Dem Protz gehörte lange eine Abreibung!«
»Du bist auf der Stelle entlassen!« schrie der Ingenieur, der sich ein wenig gefaßt hatte.
Karl Siebrecht wäre nicht ungern gegangen, aber so wollte er auch nicht entlassen werden. »Sie können mich gar nicht entlassen, das kann nur der Herr Oberingenieur!«
»Du hast mich tätlich bedroht!«
»Nachdem Sie mich getreten hatten!«
»Du hast mir den Gehorsam verweigert!«
»Nie in dienstlichen Dingen!«
»Ich verwende dich, in was du zu gebrauchen bist!«
»Ich bin als Hilfszeichner eingestellt!«
»Du hast ja keine Ahnung vom Zeichnen!«
»Eine Ahnung habe ich schon!«
»So!«