Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
dir auch dein Gefühl über mich sagt, Karl, dein Verstand muß dir bestätigen, daß meine Methode die erfolgreichere ist. Trotz deiner Tapferkeit und deines Opfermutes lägen die Trockenmieter heute auf der Straße – verzeih, wenn ich dich daran erinnere! –, und Herr Hartleben wäre ohne Stellung!« – Der Junge schwieg finster, er sah in die Nacht hinaus. – »Aber reden wir nicht mehr vom Vergangenen«, fuhr der Rittmeister fort, setzte sich wieder auf den Bretterstuhl und schlug die Beine übereinander. Schon hatte er sein goldenes Zigarettenetui in der Hand. Schon brannte die Zigarette. »Reden wir von der Zukunft, von deiner Zukunft, Karl. Du hast deine Stellung verloren – was gedenkst du zu tun? Oder besser: was kann ich für dich tun, Karl?«
»Nichts!«
»Sage das nicht«, meinte der Rittmeister. »Ich weiß, du hast Mut und gute Anlagen. Aber du wirst zehn Jahre deines Lebens verlieren, um dich aus dem Gröbsten herauszuarbeiten. Wenn ich dir beistehen darf, wirst du von diesen zehn Jahren sechs oder sieben ersparen. Denke, sieben Jahre mehr Lebensarbeit, die dich freut! Das kann dich doch nicht freuen, den Laufburschen zu spielen, Karl?«
»Doch, das freut mich, Herr Rittmeister!«
»Aber wieso? Jeder Stiesel kann sich auf ein Rad setzen und Pakete an irgendeiner Wohnungstür abgeben!«
»Aber ich lerne die Stadt dabei kennen! Berlin! Und die Leute, die Berliner!«
»Richtig, du willst ja Berlin erobern, und was man erobern will, das muß man kennen!«
»Ich hätte Ihnen das nie erzählen sollen, Sie verhöhnen mich bloß ...«
»Aber ich verhöhne dich nicht! Es ist doch wahr, was ich sage. Und auf meine eigene –« er lächelte, »natürlich verkrochene und zynische Art, glaube ich sogar daran, daß du Berlin erobern wirst – auf deine Weise, nämlich für dich. Wahrscheinlich bin ich heute noch der einzige Mensch, der dir das zutraut.«
»Sind Se nich!« rief Rieke. »Ick ooch!« Nachdem sie Karl seine Stullen zurechtgemacht hatte, war sie nicht wieder an ihre Maschine gegangen. Sie war am Küchentisch stehengeblieben und hatte dem Gespräch zugehört. Nun wandte sie dem Besucher ihr schmales Gesicht zu.
»So?« fragte der Rittmeister. »Sie auch, Fräulein? So sind wir also schon zwei, die an ihn glauben. Und bald werden es fünfzig sein, und später hundert und noch später Tausende. Aber daß das nicht zu spät wird, daß er dann nicht schon seine beste Kraft verausgabt hat, darum möchte ich ihm rascher vorwärtshelfen, das verstehen Sie doch, mein kleines Fräulein?«
»Det vasteh ick schon! Aba ...«
»Einen Augenblick! Meinen Sie nicht, er würde das vielfältige Gefüge einer Stadt wie Berlin besser kennenlernen –« der Rittmeister sprach jetzt nur noch zu Rieke –, »wenn ich ihn beispielsweise in einer Großbank unterbrächte? Da würde er sehen, wie das Geld hierhin und dorthin fließt, wie es aus trockenem Sand Städte aufblühen läßt und Industrien entstehen, in denen Zehntausende ihr Brot finden. Er würde es lernen, diesen Geldstrom dorthin zu lenken, wo er am meisten Früchte trägt, zum Segen der Stadt Berlin. Ich könnte ihn gut in einer solchen Bank unterbringen, ich sitze zufällig in einem Aufsichtsrat –«
»Ich will mich nicht wieder auf ein Büro setzen. Ich tauge nicht dafür!«
»Nun gut, er sagt, er taugt nicht fürs Stillsitzen. Auch gut. Aber, Fräulein, sein Oberingenieur auf der Zeichenstube hat mir gesagt, daß er eine wirklich gute zeichnerische Begabung hat. Wenn er sich ein paar Jahre auf die Hosen setzte, würde ich ihn nach Charlottenburg auf die Technische Hochschule schicken. Er könnte Baumeister, Architekt werden, genau der andere Schlag als die Herren Kalubrigkeit. Und er könnte Häuser bauen, ganze Städte, wirkliche Wohnungen für die Arbeiter, mit Licht und Sonne –« er sah in der Küche um – »statt solcher Höhlen! Wäre denn das nicht eine bessere Aufgabe für ihn? Und er will aus lauter Eigensinn bloß Pakete ausfahren, ist denn das richtig, Fräulein?«
»Mensch! Karl! Der Mann is nich dumm. Überleg dir det. Wenn er dir nur sagt, wat er for seine Hilfe will, denn for nischt is nischt, und ick jloobe nich daran, det Se so wat aus lauter Edelmut für Karlen tun.«
»Ihnen das zu erklären, wird wohl am schwersten sein, Fräulein«, sagte der Rittmeister lächelnd. »Denn nach Ihren Begriffen will ich wirklich nichts für meine Hilfe. Kein Geld, nicht einmal seine Gesellschaft. Meinetwegen kann er auch hier bei Ihnen weiterleben, Fräulein –«
»Sie sollen nicht mit der Rieke reden, Sie sollen mit mir sprechen!« schrie der Junge plötzlich los. »Das möchten Sie, jetzt auch noch meine Freundin gegen mich aufhetzen! Das will er nämlich, Rieke! Was will so ein Mann mit Geld? Er hat so viel Geld, er würde sich nicht nach einem Hundertmarkschein bücken. Aber er will mich, er will in mich hineinkriechen, er will sein Spielzeug aus mir machen. Er möchte mich hin und her schieben wie eine Schachfigur. Er langweilt sich zu Tode, da will er doch was zum Spielen haben, und dafür bin ich ihm gerade gut genug! Und nun will er dich mir auch noch wegnehmen! Merkst du denn nicht, Rieke, er ist genau wie der Versucher, der Jesus auf einen hohen Berg führte, und zeigte ihm alle Schätze der Welt und sagte: Dies alles will ich dir geben, wenn du mir deine Seele gibst. Er hat keine, darum will er meine. Aber ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, Herr Rittmeister: nie! Und Sie können noch hundertmal kommen, und immer werde ich sagen: nie!« Karl Siebrecht hatte sich wieder in eine wilde Erregung hineingeredet, nun stand er da und sah den Rittmeister bleich und entschlossen an.
»Schade!« sagte der und nahm aus seinem Etui eine neue Zigarette. »Du hast dich um ein paar gute Arbeitsjahre geredet. Aber wir sehen uns wieder, Karl. Das ist unvermeidlich, ob wir uns suchen oder nicht. Gute Nacht, Karl. Gute Nacht, mein kleines Fräulein, seien Sie ihm nicht gar zu böse.« Er brannte die Zigarette an und ging aus der Küche.
»Schade!« sagte Rieke, kaum daß die Tür geklappt hatte. »Det haste dumm jemacht, Karl!«
»Ich will keine Hilfe von diesem Mann!«
»Er is 'n Fatzke mit seine feinen Socken«, meinte Rieke beistimmend. »Aber der Mann hat et ehrlich mit dir jemeint, Karl.«
»Ich mag ihn nicht, und so soll er mir auch nicht helfen.«
»Wieso denn nich? Sei bloß nich doof, Karl! Wat de da jesagt hast, von Vasucha und alle Schätze dieser Welt, det klingt ja ganz schön, aba wat soll det? Du bist ohne Stellung, und der Mann hätte dir 'ne Stellung besorgt. Wenn du nich uff 'n Büro sitzen magst, hättste dir underdes 'ne andere besorgt, det nenne ick praktisch. Erst hättste mal durch den zu leben jehabt. Von die zwanzig Mark bei Felten kannste ooch nich fett werden.«
»Die Stellung bin ich auch am Sonnabend los!«
»Nu schlägt's aber dreizehn! Und du schickst den Mann aus de Stube! Karle, diesmal vasteh ick dir wirklich nich! Von wat willste denn nu leben?«
»Ich werde schon wieder was finden!«
»Ja, jetzt im Winta! Läufste drei Wochen rum, und denn haste wat mit fuffzehn Mark de Woche! Und den Mann schickste weg, als wärste der Jraf Koks selbst! Dir vasteh ick nich mehr, Karl! Een bißcken Unvanunft steht ja jut zu Jesichte, aba det is mir zu ville!«
»Aber sieh doch ein, Rieke, wenn ich mir von dem Mann helfen lasse, dann muß ich auch so leben und das werden, was er sich denkt.«
»Wieso mußte –?«
»Ich will aber das werden, was ich will!«
»Und det kannste nich, wenn er dir 'ne Stellung besorgt? Det vasteh ick nich. Wo is denn da der Schiedunter, Karl, ob de nun rumloofst nach 'ne Stellung oder hast jleich eene? Deswejen kannste doch werden, wat de willst!«
»Nein, du verstehst mich wirklich nicht, Rieke, zum erstenmal nicht. Und daran ist nur der Kerl schuld, der hat dir den Kopf verdreht.«
»Mir hat keener den Kopf verdreht, Karle, dafor bin ick zu helle. Du hast Mist jemacht, Karl, det redste mir nich aus.« Sie seufzte tief. »Det Jahr fängt jut an, det muß ick saren. Du ohne Arbeet, Vata säuft, und der Hagedorn war heute nachmittag ooch wieder da.«
»Der Hagedorn? Was wollte der denn?