Die Botschaft des Gehängten. Alexander DumasЧитать онлайн книгу.
mir mittels eines Hauptschlüssels öffnete.
Da ich kein Licht hatte, so stieg ich, aus Furcht mich irgendwo anzustoßen, sachte die Treppe
hinauf. Als ich auf die oberste Stufe kam, hörte ich meinen Bedienten mit dem Kammermädchen
meiner Frau plaudern.
Daß mein Name ausgesprochen wurde, machte, daß ich auf das, was er sagte, aufmerksam war, und
ich hörte ihn das ganze Abenteuer vom vorhergehenden Tag und von diesem Tag erzählen; nur
fügte er bei: „Der Herr muß verrückt werden, es war oben so wenig eine schwarz und feuerfarbige
Katze in dem Zimmer, als eine in meiner Hand war."
Diese paar Worte erschreckten mich: entweder war die Vision echt, oder sie war falsch: war die
Vision echt, so stand ich unter dem Gewichte einer übernatürlichen Tatsache; war die Vision falsch,
glaubte ich eine Sache zu sehen, die nicht existierte, wie mein Bedienter gesagt hatte, so wurde ich
verrückt.
Sie erraten, mit welcher Ungeduld, in die sich Furcht mischte, ich sechs Uhr erwartete; am andern
Tag behielt ich meinen Bedienten, unter dem Vorwande einer Veränderung im Zimmer, bei mir; es
schlug sechs Uhr, während er da war; beim letzten Schlag des Glöckchens hörte ich dasselbe
Geräusch und erblickte die Katze abermals.
Sie saß an meiner Seite.
Ich verharrte einen Augenblick, ohne etwas zu sagen, in der Hoffnung, mein Bedienter würde das
Tier erschauen und zuerst mit mir sprechen, doch er ging in meinem Zimmer hin und her, ohne daß
er etwas zu sehen schien.
Ich ergriff einen Augenblick, wo er auf der Linie, die er zu durchschreiten hatte, um den Befehl zu
vollziehen, den ich ihm geben wollte, beinahe auf der Katze gehen mußte.
„Stelle meine Glocke auf den Tisch, John", sagte ich zu ihm.
Er war am Kopf meines Bettes, die Glocke stand auf dem Kamin; um vom Kopf meines Bettes zum
Kamin zu gelangen, mußte er notwendig über die Katze gehen.
Er setzte sich in Bewegung, doch als sein Fuß auf die Katze treten sollte, sprang sie auf meinen
Schoß.
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John sah es nicht oder schien es wenigstens nicht zu sehen.
Ich gestehe, daß ein kalter Schweiß über meine Stirne lief und daß die Worte: Der Herr muß
verrückt werden, auf eine gräßliche Weise vor meinen Geist traten.
„John", sagte ich zu meinem Bedienten, „siehst Du nichts auf meinem Schoße?" John schaute mich
an und antwortete dann wie ein Mensch, der einen Entschluß faßt:
„Doch, Herr, ich sehe eine Katze."
Ich atmete.
Ich nahm die Katze und sagte zu ihm:
„Dann bitte ich Dich, John, trage sie hinaus."
Seine Hände kamen den meinigen entgegen, ich legte ihm das Tier auf die Arme, und auf ein
Zeichen von mir ging er hinaus.
Ich war ein wenig beruhigt; zehn Minuten lang schaute ich mit einem Überrest von Angst um mich
her, da ich aber kein anderes einer Tiergattung angehöriges lebendes Wesen erblickte, so beschloß
ich, nachzusehen, was John mit der Katze gemacht hatte.
Ich verließ mein Zimmer in der Absicht, ihn zu fragen; als ich aber den Fuß auf die Türschwelle des
Salons setzte, hörte ich ein gewaltiges Gelächter, das aus dem Ankleidecabinet meiner Frau kam.
Ich näherte mich sachte auf den Fußspitzen und hörte die Stimme von John.
„Meine liebe Freundin", sagte er zu der Kammerjungfer, „der Herr wird nicht ein Narr, nein, er ist
es schon. Seine Narrheit besteht, wie Du weißt, darin, daß er eine schwarz und feuerfarbene Katze
sieht. Heute abend fragte er mich, ob ich diese Katze nicht auf seinem Schöße sehe?"
„Und was hast Du geantwortet?" versetzte die Kammerjungfer.
„Bei Gott! ich habe geantwortet, ich sehe sie", erwiderte John. „Der gute arme Herr, ich wollte ihm
nicht widersprechen; errate, was er dann getan hat."
„Wie soll ich das erraten?"
„Wohl! er hat die angebliche Katze von seinem Schöße genommen, mir sie auf die Arme gelegt und
gesagt: Trage sie weg! trage sie weg! ich trug die Katze mutig weg, und er war zufrieden."
„Wenn Du die Katze weggetragen hast, so muß sie also existiert haben."
„O nein, die Katze existierte nur in seiner Einbildungskraft. Doch wozu würde es ihm genützt
haben, wenn ich ihm die Wahrheit gesagt hätte? daß er mich vor die Türe geworfen; meiner Treue,
nein, ich bin gut hier und bleibe hier. Er gibt mir fünfundzwanzig Pfund jährlich, um eine Katze zu
sehen. Ich sehe sie, er gebe mir dreißig, und ich werde zwei sehen."
Es gebrach mir an Mut, mehr zu hören. Ich stieß einen Seufzer aus und kehrte in mein Zimmer
zurück.
Am andern Abend um sechs Uhr fand sich mein Gefährte wie gewöhnlich bei mir ein, und er
verschwand nicht eher als an dem darauffolgenden Morgen.
„Was soll ich Ihnen sagen, mein Freund", sprach der Kranke, „einen Monat lang erneuerte sich die
Erscheinung jeden Abend, und ich fing an, mich an ihre Gegenwart zu gewöhnen, als es am
dreißigsten Tag nach der Hinrichtung sechs schlug, ohne daß die Katze erschien.
Ich glaubte von ihr befreit zu sein und schlief nicht vor Freuden: den ganzen Morgen des nächsten
Tages trieb ich die Zeit gleichsam vor mir her, denn es drängte mich, zu der Unglücksstunde zu
gelangen. Von der fünften bis zur sechsten Stunde verließen meine Augen die Uhr nicht mehr. Ich
folgte dem Gang des Zeigers, der von Minute zu Minute vorwärtsschritt. Endlich erreichte er die
Zahl XII.; man vernahm das Beben der Uhr, dann tat das Hämmerchen den ersten Schlag, den
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zweiten, den dritten, den vierten, den fünften und endlich den sechsten!
Beim sechsten Schlag öffnete sich meine Türe", fuhr der unglückliche Richter fort, „und ich sah
eine Art von Gerichtsdiener der Kammer eintreten, der gekleidet war, als stünde er im Dienste des
Lord-Lieutenant von Schottland.
Mein erster Gedanke war, der Lord-Lieutenant schicke mir einen Boten, und ich streckte meine
Hand gegen den Unbekannten aus. Aber er schien gar nicht auf meine Gebärde achtzugeben und
stellte sich hinter meinen Lehnstuhl.
Ich hatte nicht nötig, mich umzudrehen, um ihn zu sehen; ich saß dem Spiegel gegenüber, und in
diesem Spiegel sah ich ihn.
Ich stand auf und ging; er folgte mir auf einige Schritte. Ich kehrte zu meinem Tische zurück und
läutete.
Mein Bedienter erschien, doch er sah den Gerichtsboten ebensowenig, als er die Katze gesehen
hatte.