Die Botschaft des Gehängten. Alexander DumasЧитать онлайн книгу.
ich nun mit Muße
anschauen konnte.
Er trug ein Hofkleid, einen Haarbeutel, einen Degen an der Seite, eine gestickte Weste und hatte
den Hut unter dem Arm.
Um zehn Uhr legte ich mich nieder, dann setzte er sich, als wollte er seinerseits die Nacht so
bequem als möglich zubringen, in einen Lehnstuhl, meinem Bette gegenüber.
Ich drehte den Kopf der Wand zu; da es mir aber nicht möglich war, einzuschlafen, so wandte ich
mich zwei- oder dreimal um, und zwei- oder dreimal erblickte ich ihn beim Scheine meiner
Nachtlampe in demselben Lehnstuhl.
Endlich sah ich die ersten Strahlen des Tages durch die Zwischenräume der Sommerläden in mein
Zimmer dringen; ich wandte mich zum letzten Male gegen meinen Mann um: er war verschwunden
und der Lehnstuhl leer.
Bis zum Abend blieb ich von meiner Erscheinung befreit.
Am Abend war Empfang beim Oberkommissar der Kirche. Unter dem Vorwand, mein Galakleid
bereitzuhalten, rief ich meinen Bedienten fünf Minuten vor sechs Uhr und befahl ihm, die Riegel
der Türe vorzuschieben.
Beim letzten Schlag von sechs Uhr heftete ich die Augen auf die Türe; die Türe öffnete sich, und
mein Gerichtsbote trat ein.
Ich ging sogleich auf die Türe zu, sie war geschlossen; die Riegel schienen nicht aus ihrer
Schließkappe herausgekommen zu sein; ich wandte mich um, der Gerichtsbote stand hinter meinem
Lehnstuhl und John ging im Zimmer hin und her, ohne sich, wie es schien, im geringsten um ihn zu
bekümmern.
Er sah offenbar den Menschen ebensowenig, als er das Tier gesehen hatte.
Ich kleidete mich an.
Da ereignete sich etwas Seltsames: voll Aufmerksamkeit für mich half mein neuer Zimmergenosse
John bei allem, was er tat, ohne daß John bemerkte, daß er unterstützt wurde. So hielt John meinen
Frack beim Kragen, das Gespenst hielt ihn an den Flügeln, so bot mir John meine Hosen beim
Gürtel, das Gespenst faßte sie bei den Beinen.
Ich hatte nie einen diensteifrigeren Bedienten gehabt.
Es schlug die Stunde meines Abgangs.
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Statt mir zu folgen, ging mir der Gerichtsbote voran, er schlüpfte durch die Türe meines Zimmers,
stieg die Treppe hinab, hielt seinen Hut unter dem Arm hinter John, der den Wagenschlag öffnete,
und als John diesen wieder geschlossen und seinen Platz auf dem Hinterbrett eingenommen hatte,
stieg er auf den Bock zum Kutscher, der auf die Seite rückte, um ihm Platz zu machen.
Vor der Türe des Oberkommissars der Kirche hielt der Wagen an; John öffnete den Schlag, doch
das Gespenst war schon an seinem Posten hinter ihm. Kaum hatte ich den Fuß auf die Erde gesetzt,
als das Gespenst mir voraneilte, durch die Bedienten drang, welche die Eingangstüre belagert
hielten, und von Zeit zu Zeit sich umschaute, ob ich ihm folge.
Da faßte mich die Lust, an dem Kutscher selbst den Versuch zu machen, den ich an John gemacht
hatte.
„Patrick", fragte ich ihn, „wer war der Mann, der neben Euch saß?"
„Welcher Mann, Euer Ehren?" sagte der Kutscher.
„Der Mann, der auf Eurem Bock saß."
Patrick verdrehte die Augen ganz erstaunt und schaute umher.
„Es ist gut", rief ich, „ich täuschte mich."
Und ich trat ebenfalls in das Haus.
Der Gerichtsbote war auf der Treppe stehengeblieben und erwartete mich. Sobald er mich weiter
gehen sah, ging er auch weiter und schritt dann vor mir in den Empfangssaal, als wollte er mich
ankündigen; als ich eingetreten war, nahm er im Vorzimmer den ihm gebührenden Platz ein.
Wie für John und Patrick, so war das Gespenst für jedermann unsichtbar gewesen.
Da verwandelte sich meine Angst in Schrecken, und ich begriff, daß ich wirklich ein Narr wurde.
Von diesem Abend an erblickte man die Veränderung, die in mir vorging. Jedermann fragte mich,
was für ein Kummer mich gefesselt halte, Sie wie die andern.
Ich fand mein Gespenst wieder im Vorzimmer.
Wie bei meiner Ankunft, lief es bei meinem Abgang vor mir her, stieg auf den Bock, kehrte mit mir
nach Hause zurück, ging hinter mir in mein Zimmer und setzte sich in den Lehnstuhl, den es die
Nacht vorher eingenommen hatte.
Da wollte ich mich versichern, ob etwas Reelles und besonders Fühlbares an dieser Erscheinung
wäre. Ich machte eine gewaltige Anstrengung gegen mich selbst und ging rückwärts, um mich in
den Lehnstuhl zu setzen.
Ich fühlte nichts, aber im Spiegel sah ich den Gerichtsboten hinter mir stehen.
Wie am Tage zuvor, legte ich mich nieder, doch erst um ein Uhr morgens. Sobald ich in meinem
Bett war, erblickte ich ihn in meinem Lehnstuhl.
Am andern Morgen bei Tagesanbruch verschwand er.
Die Erscheinung dauerte einen Monat.
Nach Verlauf eines Monats ging sie von ihren Gewohnheiten ab und blieb einen Tag aus.
Diesmal glaubte ich nicht, wie das erste Mal, an ein völliges Verschwinden, sondern ich dachte, es
werde eine furchtbare Veränderung vorgehen, und statt mich über mein Alleinsein zu freuen,
erwartete ich den Abend voll Angst.
Am Abend, auf den Schlag sechs Uhr, hörte ich ein leichtes Rauschen in den Vorhängen meines
Bettes, und am Durchschnittspunkt, den sie im Bettgang an der Wand bildeten, erblickte ich ein
Skelett.
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Diesmal, mein Freund, begreifen Sie, war es, wenn ich mich so ausdrücken darf, das lebendige Bild
des Todes.
Das Skelett war da, unbeweglich, und schaute mich mit seinen hohlen Augen an.
Ich stand auf und ging mehrere Male im Zimmer umher; der Kopf folgte mir bei allen meinen
Bewegungen. Die Augen verließen mich nicht eine Sekunde, der Körper blieb unbeweglich.
Diese Nacht hatte ich nicht den Mut, mich niederzulegen. Ich schlief oder blieb vielmehr mit
geschlossenen Augen in dem Lehnstuhl, den gewöhnlich das Gespenst einnahm; es war so weit
gekommen, daß ich die Abwesenheit des Gespenstes bedauerte.
Bei Tagesanbruch verschwand das Skelett.
Ich befahl John, den Platz meines Bettes zu wechseln und die Vorhänge zu kreuzen.
Beim letzten Schlag sechs Uhr hörte ich dasselbe Rauschen, ich sah die Vorhänge sich bewegen,
dann erblickte ich die Extremitäten von zwei knochigen Händen, welche die Vorhänge meines
Bettes auseinanderschoben, und nachdem dies geschehen war, nahm das Skelett in der Öffnung den
Platz ein, den es in der Nacht vorher eingenommen hatte.
Diesmal hatte ich den