DER ELEGANTE MR. EVANS. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Mulcay kam aus Irland, das uns so viele gute, offene und aufrechte Trainer geschenkt hat.
Seine Freunde hätten ihn bei dieser Beschreibung allerdings nicht sofort wiedererkannt. Wäre er Trainer für die so genannte »Abteilung der Cleveren« gewesen oder gar für dubiose Besitzer, hätte er sich keine zehn Minuten am Turf halten können. Aber er war intelligent genug, in seinen kleinen Stall von Parlhampton ausschließlich die Pferde der angesehensten Personen aufzunehmen, von Männern, deren Namen mit Ehrenhaftigkeit und Gradlinigkeit gleich-zusetzen waren.
Der Raum des Chefstewards war auf das Feinste renoviert worden, als man Evans bat, an jenem hektischen Renntag von Kempton sein Urteil über den Lauf von ‚Cabbage Rose’ zu erklären.
Die Stewards akzeptierten seine Erläuterungen – (»Sie hätten mir dafür ruhig etwas aus der Almosenbüchse geben können«, sagte Educated Evans boshaft) – und danach stellte niemand mehr seine Tätigkeit in Frage. Micky war ein Lebenskünstler, der verstanden hatte, dass das Leben kurz und Geld schwer zu beschaffen war. Über seinem Schreibtisch hing sein Wahlspruch »Schmiede das Eisen, solang es noch heiß ist«. Und danach handelte er, auch dann, wenn das Eisen erkaltet war.
Besitzer, die selbst nicht regelmäßig wetten, sehen ihre Pferde sehr gerne gewinnen, wann immer es möglich ist.
Dazu zählte auch Micky, wenn seine Frau, seine Schwäger und ein paar gute Freude mehr so viele Wetten zu den Wettbüros kabelten, wie das Postamt verarbeiten konnte. Kein Mensch mit Verstand wettete jemals auf ein Pferd aus Mickys Stall, wenn sich Micky nebst Frau, Schwägern und guten Freunden am Rennplatz aufhielten, so zuversichtlich er sich auch gab.
Von Micky stammte der Satz: »Pferde sind keine Maschinen.« Es war Educated Evans, der dazu die historische Ergänzung lieferte: »Es ist für alle Beteiligten nur gut, dass es keine sprechenden Maschinen sind.«
»Dieser Mulcay ist wirklich großartig«, wiederholte Evans, »der kann einen schon begeistern. ‚Catskin’ kann es spielend schaffen. Aber ist Micky etwa pleite?«
Der Müller schüttelte den Kopf.
»Ich traf Lord Claverley beim Midland Rennen – beruflich, versteht sich, obwohl ich jetzt gar nicht weiß, warum ich dir so vertrauliche Informationen gebe«, sagte er. »Und Micky würde seine Lordschaft bestimmt nicht übers Ohr hauen.«
Evans verzog höhnisch die Lippen.
»Micky würde seine eigene junge Lehrerin von der Sonntagsschule übers Ohr hauen«, sagte er.
»Jedes Mal, wenn er am Zoo vorbeikommt, stehen die Schlangen stramm und grüßen ihn voller Ehrfurcht. Dieser Kerl ist dermaßen verschlagen und so geschickt, dass er mit seinen Zehen klauen kann. Es gibt nur einen einzigen Mann, den er nicht stoppen kann – das ist er selbst – der Teufel soll ihn holen!«
Educated Evans sprach diesen Wunsch aber nicht laut aus.
»Ich mag deine Kraftausdrücke nicht«, sagte der Müller und wandte sich zum Gehen. »Jedenfalls, Evans, kannst du ‚Catskin’ vergessen.«
»Wenn der Junge, der ihn versorgt, das sagt, wird es wohl stimmen«, sagte Evans und widmete seine weiteren Gedanken dem Derby Rennen.
Ein paar Tage nach seinem Sieg beim Derby startete ‚Catskin’ beim Midland Rennen und wurde von einem mittelmäßigen Pferd geschlagen. Gestartet war er mit einer Quote von 6 : 4. Seine Quote beim Hunt Cup hatte bei 100 : 6 gelegen und erreichte schließlich 25 : 1.
Evans nahm von der Veränderung keine große Notiz; bis eines Nachmittags, als er die Regent Street entlang spazierte, um in der Nähe der Piccadilly Station zu sein, wo er auf ein Ergebnis des Lingfield Rennens wartete. Da sah er Micky Mulcay und dessen Schwager. Sie gingen langsam am Piccadilly Hotel vorbei und Evans, ständig auf der Suche nach Informationen, überquerte die Straße und kam sehr langsam an die beiden heran, die Augen zu Boden gerichtet, wie wenn er tiefschürfende Gedanken zu wälzen hatte.
Im Überholen hörte er Micky mit seinem unverwechselbaren irischen Akzent sagen: »Ja, sicher...probier es mit Hereford....aber vergewissere dich, Dennis, dass die Post auf Mittwoch geöffnet hat. Einige dieser Postämter auf dem Land....«
Soweit konnte Evans mithören und sein Herz klopfte in Triumph. Hereford... Postamt...Mittwoch!
Instinktiv füllte er die Gesprächslücken aus. Die waren dabei, im Voraus per Kabel auf ‚Catskin’ zu wetten! Innerlich jubelte er bei dem Gedanken, was das alles für ihn bedeutete.
Und dann fasste Evans einen Entschluss zu etwas, das er noch nie in seinem Leben getan hatte. Er fuhr an diesem Abend nach Steynebridge, wo er in fünf Meilen Entfernung von diesem historischen Marktflecken Micky Mulcays Trainingsgelände liegen wusste.
Es ist schon ein bisschen traurig zu wissen, dass Educated Evans niemals zuvor ein Trainingsgelände gesehen hatte, Newmarket und Epsom einmal ausgenommen. Und was das Betreiben von Pferdeställen angeht, so war dies für ihn ein ebensolches Geheimnis wie das Frühstück des Tut-Anch-Amun. Zu seinem Glück konnte er sich ein Zimmer in einem Gasthof in der Nähe der Stallungen besorgen; und noch mehr Glück hatte er, dass er ‚Catskin’ als einziges Pferd der Welt ohne Farben und Nummern erkennen konnte: Es war ein Brauner mit drei weißen Beinen. Aber nur um dieser Erkenntnis willen hätte Evans die Reise nicht unternommen.
Er stand bei Tagesanbruch auf und wanderte durch das Hügelland bis zu der Stelle wo, glaubte man den Ortsangaben, Mr. Mulcay seine Pferde trainierte. Und tatsächlich – kurz nach 5 Uhr erschien in einiger Entfernung eine große Gruppe von Pferden, alle mit Decken und in leichtem Galopp.
Als sie an ihm vorbei gezogen waren, kamen drei weitere Pferde mit einer fürchterlichen Geschwindigkeit, wovon das vorderste unzweifelhaft ‚Catskin’ sein musste. Der Junge auf dem Pferd versuchte, ihn zu stoppen, und einige hundert Yards an Evans vorbei gelang ihm das auch; er kam mit hochrotem Kopf zu Mr. Mulcay zurück, wiederum in vollem Galopp.
»Was zum Teufel soll das blöde Galoppieren, wenn ich leichten Trab befohlen hatte?«, schimpfte Mulcay wütend. Und er schlug dem Jungen seine Peitsche auf die Schulter.
Evans schaute interessiert zu, denn der Junge war Lakes, der Lehrling des Stalles, der für gewöhnlich Mr. Mulcays Pferde reiten durfte, wenn sie nicht so hart trainierten, wie sie sonst taten.
Evans stand immer noch interessiert zuschauend da, als Mulcay sich umdrehte und auf ihn zu schlenderte.
»Wer sind Sie?«, fragte er giftig. »Und was tun Sie hier? Weg von meinem Gelände!«
»Wenn Sie mir erlauben, die Sache mit Ihnen zu erörtern«, sagte Evans würdevoll. »Ich...« Klatsch!
Die Peitsche sauste auf Evans’ Schulter hernieder und für einen Augenblick war er vor Erstaunen und Zorn wie gelähmt. Und dann – mit einem Wutschrei – stürzte er sich auf den Angreifer. Mr. Mulcay mag ein sehr unehrlicher Mann gewesen sein, aber dennoch war er ein ausgezeichneter Reiter und die Peitsche fiel ein weiteres Mal; dieses Mal traf sie einen empfindlicheren Teil an Evans’ Körper.
»Dafür zeige ich Sie an!«, schnaubte Evans. »Ich werde Sie lehren, Sie...«
Es wäre nicht klug, getreulich alles wiederzugeben, was Educated Evans im Zorn des Augenblicks und in der Hitze seines Ärgers sagte.
»Ich erlaube niemandem, meine Pferde auszuspionieren«, sagte Mr. Mulcay mit jenem erhabenem, majestätischen Ausdruck, der bei einem irischen Trainer so charakteristisch ist und bei einem australischen noch viel mehr.
»Sie hauen ab und bleiben für immer weg!«
Evans gehorchte klug und weise. Den gesamten Weg zurück in den Ort beschäftigte ihn diese Erniedrigung durch Mulcay. In seiner Vorstellung sah er den Tyrannen auf der Straße um Brot betteln und wie er achtlos an ihm vorbei ging, ohne ihm eine Münze für den nächsten Tag zu geben. Aber neben seinem aktuellen Problem trug er noch die Erinnerung an etwas anders mit sich herum. Er dachte dabei an die Boshaftigkeit im Gesicht des Master Lakes und die wilde Wut dieses Jungen ließ in Educated Evans’ Natur eine Saite der Sympathie erklingen.
So