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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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fort, nachdem er sich wieder ermannt hatte, »ich zögere nicht länger, Ihnen Alles vertrauensvoll mitzutheilen. Ja, das Mädchen hat es verstanden, sich meine augenblickliche Abwesenheit zu Nutze zu machen, hier einzudringen, dort den Schreibtisch, in welchem die Schlüssel gerade so steckten, wie jetzt, zu öffnen und mir baares Geld zu entwenden.«

      »Ist es bei der That ertappt worden?«

      »Leider nicht; kaum, daß ich Verdacht faßte, als ich das Fehlen des Geldes entdeckte und das Mädchen mit Näschereien in den Händen gesehen wurde, die es von einem Vorübergehenden wollte geschenkt erhalten haben. Selbstverständlich, um den Ruf unserer wohlthätigen Anstalt zu bewahren, zugleich aber auch den Frevler zu strafen und auf den Weg des Rechtes zurückzuführen, suchte ich den Thäter zu ermitteln, allein lange vergeblich. Da kam ich auf den Gedanken, einige Thaler, die ich vorher gezeichnet hatte, offen auf meinem Tische liegen zu lassen und einen der Wärter zu beauftragen, das Mädchen mit einer Botschaft zu mir zu schicken.

      »Ich sträubte mich nämlich noch immer gegen den gräßlichen Verdacht und nahm zu diesem seltsamen Mittel meine Zuflucht, mehr, um die übrigen Hausbewohner von der Unschuld des Mädchens zu überzeugen, als dieses auf die Probe zu stellen.

      »Leider hatten die Leute nur zu recht gehabt, als sie meinen Argwohn auf Lieschen, wie das Kind genannt wurde, hinlenkten, denn als ich etwas später das Geld nachzählte, fehlten wieder mehrere Thaler. Es war dies vorgestern Abend. Um nicht zur späten Stunde die zum Theil schon sanft schlummernden Kleinen zu stören und durch einen unangenehmen Auftritt zu beunruhigen, beschloß ich, erst am folgenden Morgen der Sache auf den Grund zu gehen.

      »Hätte ich diese Rücksicht nicht gebraucht, es wäre vielleicht besser gewesen; denn als die Wärterinnen sich gestern Morgen nach dem Schlafsaale der Mädchen begaben, da war Lieschen sammt ihren Kleidern verschwunden, und in ihrem Bette fand man diesen Thaler, auf welchen ich, wie die Frau Geheimeräthin zu bemerken die Güte haben werden, mit einem Federmesser ein Kreuz geritzt hatte.«

      Die Commissionsräthin nahm den ihr mit einer Verbeugung dargereichten Thaler und betrachtete ihn eine Weile sinnend.

      »Ja, da ist das Kreuz, mein bester Herr Seim,« sagte sie, das Geldstück noch immer aufmerksam« prüfend; »es war ein glücklicher Einfall von Ihnen, und der Verdacht kann keinen Unschuldigen mehr treffen - an den von Ihnen zurückgelassenen Schnitten sieht man übrigens recht deutlich, wie viel Zusatz das Silber erhält, ehe es geprägt wird - nun, kehrt das arme, irre geleitete Kind nicht wieder, hat eine harte, strafende Hand es getroffen, dann, mein lieber Herr Seim, nehmen Sie an, daß Gott es so gewollt hat, vielleicht um die bösen und ansteckenden Elemente aus Ihrer Anstalt zu entfernen.«

      »Das ist mein einziger Trost,« versetzte der Vorsteher mit schmerzlich zuckenden Lippen und den etwas verlängerten Hals einige Male frei in der Halsbinde hin und her drehend; »allein bis zu meinem letzten Athemzuge gebe ich die Hoffnung nicht auf, das verlorene Kind dennoch einmal wiederzusehen und als gebessert an mein Herz zu schließen.«

      »Die Zeit enteilt,« begann die Commissionsräthin, nachdem Herr Seim wieder die gewöhnliche, biedere, selbstbewußte Haltung angenommen, »und ich habe noch von Geschäften mit Ihnen zu sprechen.« - Bei diesen Worten legte sie eine schwere Ledertasche mit einem Geräusche auf den Tisch, welches verrieth, daß es keine Schlüssel waren, die den melodischen Klang erzeugten. - »Die Collecte unter meinen Standesgenossinnen hat einen reichen Ertrag für Ihre Anstalt geliefert, reicher, als ich selbst erwartet hätte. Ich machte eben überall darauf aufmerksam, daß gerade hier eine gute Gelegenheit geboten wäre, uns vor den niederen Ständen auszuzeichnen, und man gab viel und mit Freuden. Die Liste der Geber werde ich Ihnen später einhändigen. Daß die Frau unseres Nachbars - ich habe ihren Namen vergessen - kleine, obscure Handlung, nicht einmal ein Engros-Geschäft ...«

      »Ich weiß, gnädige Frau, der Mann trachtet nach einer Dekoration,« wagte Herr Seim seine reiche Gönnerin wieder zu unterbrechen.

      »Albernes Volk!« fuhr die Commissionsräthin mit sittlicher Entrüstung fort; »die Menschen wollen sich aufblähen und gehen weit über ihre Verhältnisse hinaus. Mein Mann, der Geheime Commissionsrath, trägt schon seit zehn Jahren einen Orden, und dennoch wird Niemand eine Ueberhebung am ihm entdecken oder ihm Stolz vorwerfen - doch um auf meine Collecte zurückzukommen, dieselbe beträgt zweihundertsechsundachtzig Thaler. Hier, nehmen Sie das Geld, mein guter Herr Seim; möge es Ihrer Anstalt Segen bringen! Ich habe es selbst gezählt; aber zählen Sie es der Sicherheit halber noch einmal nach,« fügte die redselige Dame hinzu, indem sie aus ihrer Ledertasche einen theils mit Papiergeld, theils mit klingender Münze angefüllten, grau leinenen Beutel zog und vor Herrn Seim hinstellte.

      »Nachzählen?« fuhr der Vorsteher erschreckt empor, und sein Kinn strich leise den Rand der weißen Halsbinde, während er mit der Hand, wie unbewußt, ordnend über seine grauen Locken fuhr.

      In der nächsten Secunde aber hatte die tiefste Rührung den Sieg über den edlen Unwillen, welchen die ungerechte Zumuthung in ihm hervorrief, davongetragen, und ohne sich der Thränen zu schämen, die in seine wohlwollenden Augen drangen, stammelte er im Namen seiner Schutzbefohlenen den heißesten Dank für die reichen Gaben.

      »O, meine gnädige Frau,« rief er, von seinen Gefühlen überwältigt, aus, als diese zu seinen Dankesworten eine sanft abwehrende Bewegung machte, »ich muß es der Welt verkünden, so viel Edelmuth darf nicht im Verborgenen wirken! Gestatten Sie mir daher gütigst, schon morgen einen kleinen Dank zu veröffentlichen und Ihren hochgeehrten Namen mit dieser bedeutenden Summe in Verbindung zu bringen, vor Allem aber der großen Theilnahme zu gedenken, mit welcher Sie sich sogar nach den geringfügigsten Umständen und Vorgängen in unserer Anstalt erkundigen.«

      »Eigentlich liebe ich es nicht, vor die Oeffentlichkeit zu treten,« entgegnete die Commissionsräthin, indem sie wie beschämt vor sich nieder schaute und das Stahlschlößchen ihrer Ledertasche einige Male mit lautem Schall auf- und zuspringen ließ; »und dennoch, mein lieber Herr Seim, müssen Sie am besten beurtheilen, ob ein derartiges Verfahren - vielleicht der Nacheiferung wegen - zu empfehlen ist. Haben Sie dabei einen guten Zweck vor Augen, so gebrauchen Sie meinen Namen immerhin; aber, Herr Seim, ich darf wohl darauf rechnen, daß sie meine Stellung in der Gesellschaft berücksichtigen und eingedenk sind, daß mir nichts ferner liegt, als lächerliche Eitelkeit oder gar Hochmuth!«

      »Gewiß, meine Gnädigste,« versetzte der Vorsteher, verbindlich schmunzelnd, »und wenn ich Ihrer gütigen Zustimmung versichert wäre, würde ich mir erlauben, Ihren geehrten Namen mit dem der jungen Gräfin Renate in eine Zeile obenan zu stellen.«

      »Handeln Sie, wie Sie es für am geeignetsten halten, mein guter Herr Seim,« erwiderte die Commissionsräthin, worauf sie mit matter Bewegung und halb geschlossenen Augen ihre zierliche Brieftasche öffnete und Papiergeld im Betrage von etwa zehn Thalern hervorzog; »soll ich indessen mit aller Gewalt als - nun, als Freundin Ihrer Waisen öffentlich genannt werden, so will ich doch auch in der Stille mit der rechten Hand etwas geben, wovon die linke nichts weiß. Hier, Herr Seim, nehmen Sie dies, verwenden Sie es nach bestem Ermessen, aber sprechen Sie nicht darüber.«

      »Darf ich den Empfang dieses Geldes auf der Quittung über die zweihundertsechsundachtzig Thaler bestätigen?« fragte Herr Seim zuvorkommend.

      »Nein, nein, ich will mir eben den Genuß verschaffen, auch im Verborgenen segensreich zu wirken, und da die Quittungen vorgelegt werden, so ...«

      »Ich verstehe, ich verstehe, gnädige Frau,« fiel der Vorsteher der Commissionsräthin mit Wärme in die Rede. In seinen Augenwinkeln aber funkelten wiederum zwei helle Thautropfen, so daß er sich abwenden mußte, um dieselben verstohlen zu entfernen, bei welcher Gelegenheit er kaum verständlich die Worte: »Edle, hochherzige Seele!« in die Falten seines Taschentuches murmelte.

      Er besiegte indessen schnell seine Rührung, und der Commissionsräthin sein biederes, durch sanftes Zurückschrauben seines Kinnes noch an Ausdruck gewinnendes Antlitz zuwendend, fragte er bescheiden, ob er nicht auch den Namen von dero gnädigem Fräulein Tochter in eine Reihe mit dem der Gräfin Renate bringen dürfe.

      »Gewiß dürfen Sie das, mein guter Herr Seim,« lautete die billigende Antwort;


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