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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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Kleidungsstücke und die unentbehrlichste Wäsche, als auch gesunde und nahrhafte Speisevorräthe enthielten.

      Die Sachen waren allerdings nicht mehr neu, doch entsprachen sie ihrem Zwecke vollkommen, und es gehörte eben kein großer Scharfsinn dazu, zu errathen, daß die einzelnen Gegenstände mit weiser Sparsamkeit, augenscheinlich, um recht weit mit einer bestimmten Summe zu reichen, ausgewählt worden waren.

      Die Frau selbst, obwohl noch immer das Bild einer Schwerkranken, saß auf einem bequemen Armstuhle neben dem Küchenherde, wo die von dem kleinen Feuer ausströmende Hitze ihr am meisten zu Gute kam. Ein warmes Kleid umschloß ihre hinfällige Gestalt, eine wollene Haube ihr dünnes, aber wohlgeordnetes Haar, und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke des Schmerzes und der Wehmuth blickte sie auf ein zwischen ihren hageren Fingern befindliches Strickzeug, welches sie indessen mehr aus Lust zur Arbeit aufgelegt hatte, als daß sie wirklich schon etwas mit ihren Händen zu verdienen im Stande gewesen wäre.

      Ihre Tochter saß ihr gegenüber auf der anderen Seite des Herdes und blätterte in einem Bilderbuche, welches zugleich die Stelle einer Fibel vertrat, und richtete zuweilen Fragen betreffs der großen, bunten Buchstaben an ihre Mutter.

      Das Kind zeigte den Ausdruck vollständiger innerer Zufriedenheit; es war ja warm und zweckmäßig bekleidet, trug feste Schuhe auf den Füßen, besaß also mehr, als zu erlangen es jemals zu hoffen sich getraut hätte.

      In demselben Maße aber, in welches es sich in seiner neuen Lage zurechtfand, ging auch viel von der ängstlichen Scheu verloren, mit der um sich zu spähen ihm schon längst zu einer schwer abzulegenden Gewohnheit geworden war. Gesprächig, wie andere Kinder seines Alters sonst zu sein pflegen, war es indessen nicht. Das Buch schien seinen Geist ausschließlich eingenommen zu haben, und selbst wenn es Fragen an seine Mutter richtete, geschah dies mit dürftigen, leisen Worten.

      Die Nacht war wieder hereingebrochen, und neben der rothen Beleuchtung, die von dem Herdfeuer ausging, erhellte eine kleine Lampe das stille Gemach spärlich. Einzelne Schüsseln und Näpfchen waren auf dem Feuerherde symmetrisch neben einander hingestellt worden, ein Beweis, daß die beiden einsamen Bewohnerinnen ihr frugales Abendbrod verzehrt hatten und vielleicht daran dachten, sich bald zur Ruhe zu begeben.

      Die Mutter hatte eben wieder einmal ihre Hände mit dem Strickstrumpfe matt in den Schooß sinken lassen und blickte grübelnd zu ihrem Kinde hinüber, als der in den nahe gelegenen Wohnungen zunehmende wilde, bacchanalische Lärm sie plötzlich in ihrem dumpfen Brüten störte.

      »Welch' schreckliche Nachbarschaft,« sprach sie leise vor sich hin, worauf sie sich mit lauter Stimme an ihre Tochter wendete: »Nicht wahr, Riekchen, Du freust Dich ebenfalls auf's Frühjahr, wenn wir erst von hier fort und in eine ruhigere Gegend ziehen, wo wir, wie der Herr Doctor versprochen hat, Gelegenheit finden, etwas zu verdienen?«

      »Warum wollen wir fortziehen?« fragte das Kind verwundert. »Es ist ja so schön hier! Wir haben Betten, Essen und Holz - nein, bleiben wir lieber hier; ich bin am feinsten im ganzen Hause gekleidet, und alle Kinder sehen mich böse an, weil es mir so gut geht und sie es nicht eben so haben.«

      »Dauern Dich denn die anderen Kinder nicht?« fragte die Mutter, mit einem tiefen Seufzer die eine Hand über ihre Augen legend.

      »Zuerst thaten sie mir leid; als sie mich aber schlugen und mir sagten, ich gehöre nicht mehr zu ihnen, freute ich mich, daß sie so viel schlechter seien, als ich.«

      »O Gott, o Gott,« stöhnte die Mutter in sich hinein, »wie leicht gelangt man in's Elend, und wie schwer ist es, sich dem Elende und seinen nothwendigen Folgen zu entwinden!«

      »Was sagst Du, Mutter?«

      »Nichts, mein Kind; ich äußerte nur, Du solltest recht freundlich gegen den Herrn Doctor sein - er meint es so gut mit uns.«

      »Warum will aber der Vater nichts von ihm wissen, und warum soll ich immer sagen, ich habe keinen Vater?«

      »Später, später, mein Kind, soll Dich nichts mehr hindern, die reine Wahrheit zu sprechen,« versetzte die Mutter, ihr Antlitz wieder verbergend; »nur vorläufig geht es noch nicht, denn böse Menschen haben Deinen Vater an sich gezogen und er muß sich vorher von diesen losmachen.«

      Sie wollte fortfahren, ihrer Tochter das Benehmen ihres Mannes in dem möglichst besten Lichte zu zeigen und zu erklären, obwohl sie selbst nicht wußte, wie dies mit Aussicht auf den gewünschten Erfolg zu beginnen sei, als die Stubenthür geräuschvoll aufgerissen wurde und Merle, der Gauner, hastig eintrat.

      Die Mutter erschrak und hob mechanisch ihren Strickstrumpf wieder empor, das Kind schlug ein Blatt in dem Bilderbuche um, aber aufzuschauen wagten sie nicht, weil sie die brutale Begegnung des Eintretenden fürchteten.

      Doch ganz gegen seine Gewohnheit begrüßte Merle Frau und Kind mit freundlichen Worten, und dann an den Feuerherd tretend, begann er, seine Pfeife zu füllen und anzurauchen.

      Hier nun entdeckte die Frau, daß sein Gesicht förmlich glühte, doch nicht etwa, weil er geistigen Getränken zugesprochen hatte, sondern weil er innerlich über irgend etwas triumphirte, das gänzlich zu verstecken er entweder nicht die Kraft besaß oder auch nicht für der Mühe werth hielt.

      Dabei hafteten seine Blicke zuweilen spähend auf dem leidenden und niedergeschlagenen Antlitze seiner Frau, als ob er in deren Seele habe lesen wollen, in wie weit er ihrer Verschwiegenheit trauen dürfe.

      »Für Euch ist jetzt ganz gut gesorgt,« hob er endlich mit erheuchelter Ruhe an, »und wenn Ihr es nur gescheidt anfangt, wird es immer besser werden, nicht wahr, Riekchen?«

      Das Kind nickte schweigend mit dem Kopfe, ohne zu seinem Vater aufzublicken.

      »Ja, Euch geht es gut genug, und da ich, um die Geschichte nicht wieder zu verderben, weder bei Euch wohnen, noch essen darf - das Bißchen Tabaksrauch ist morgen früh wieder abgezogen - so muß ich eben sehen, wie ich es mache. Hoffentlich wird es mir ebenfalls glücken, und was ist dann für Noth? Hahaha, solch ein Leben! Riekchen, geh' schnell nach vorn zu unserem Wirthe, Du weißt ja, wo die Uhr hängt, und bringe mir ganz genau Bescheid, wie spät es ist; aber hörst Du, ganz genau!«

      Das Kind entfernte sich schweigend; kaum aber hatte es die Thür hinter sich zugezogen, da trat Merle dicht zu seiner Frau heran.

      »Frau,« sagte er plötzlich wie umgewandelt mit unheimlichem Ernste, indem er seine Hand schwer auf deren Schulter legte, »ich muß gleich wieder fort, und nur um zwei Worte mit Dir unter vier Augen zu sprechen, schickte ich das Kind weg. Höre mir daher aufmerksam zu und vergiß nicht, daß Dein Leben, das Leben unseres Kindes und dann auch wohl das meinige von der genauen Befolgung meiner Anordnungen abhängen; Du kannst Dir wohl denken, was ich damit meine. Also nie, und würde Dir das Messer an die Kehle gesetzt oder böte man Dir Millionen, sprichst Du eine Silbe über das Blatt aus dem Kirchenbuche; nie erwähnst Du vor irgend einem Menschen die Namen der bei dem Diebstahl mittelbar Betheiligten; ich sage Dir noch einmal: nie, wenn Du nicht zur Mörderin an uns Allen werden willst. Befolgst Du indessen meine Weisungen, so daß meine Zukunft nicht durch Deine Albernheit untergraben wird, so verspreche ich Dir, Dich fortan nicht mehr zu belästigen; Du magst hinziehen, wohin Du willst, magst Dir jede beliebige Beschäftigung suchen, ohne in irgend einer Weise von mir gehindert zu werden, es sei denn ...«

      »Es hat eben zehn Uhr geschlagen,« sagte das wieder eintretende Kind.

      »Zehn Uhr?« rief Merle erschreckt aus. »Dachte ich doch nicht, daß es schon so spät sei! Keine Minute habe ich zu verlieren. Also, Frau, denke an mich - Ihr mögt immerhin schlafen gehen - ich kehre heute nicht wieder zurück, vielleicht auch morgen nicht.« Und nachdem er seine Taschen prüfend betastet, entfernte er sich ohne ein Wort des Abschieds.

      Die Frau saß noch immer wie zerschmettert da. In ihrem Kopfe wirbelte Alles wild durch einander, und kaum vermochte sie etwas Anderes zu denken, als daß ihr Mann auf verbrecherischen Wegen wandle und gerade an diesem Abende mit Hülfe des verhängnißvollen Blattes irgend einen verderblichen Anschlag in Ausführung bringe. Wie sollte sie es hindern, ohne ihr Kind der schrecklichsten Gefahr preiszugeben - an sich selbst dachte sie nicht einmal - und wie wäre es ihr, die


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