Von Zwanzig bis Dreißig. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
Satz, daß die Deutschen das eingebildetste Volk sind.« – »The Germans are the most conceited people of the world.« Ich halte diesen Satz für richtig und stelle die kleine Geschichte nur deshalb hierher, weil die Deutschen das nie glauben. Sie halten sich ganz aufrichtig für kolossal bescheiden. Dies ist aber grundfalsch. Die Bescheidensten, ja lächerlicherweise die einzig Bescheidenen, sind die Engländer. Sie haben freilich einen ungeheuren nationalen Dünkel, aber in dem, was sie persönlich leisten, ordnen sie sich gern unter. Bei den Deutschen ist es umgekehrt, war wenigstens so, eh man »Deutschland, Deutschland über alles« sang. Und seit man es singt, ist es in dieser Beziehung wohl nicht viel besser geworden.
Am meisten Vergnügen habe ich von Mr. Heymann und Mr. Dühring gehabt. Ich nenne sie immer noch »Mister«, weil ich sie mir unter einem einfachen »Herr« gar nicht vorstellen kann. Heymann war ein kleiner Citykaufmann, immer in Geschäften und immer in Schulden. In diesen noch tiefer als in jenen. Er hatte eine Breslauer Majorstochter zur Frau, wodurch es einigermaßen gerechtfertigt wird, daß er seinen ältesten Sohn auf den Namen »Percy« hin hatte taufen lassen. Also Percy Heymann. Es war mir diese Namenszusammenstellung eine Quelle beständiger Erheitrung, was ich dem genialen Erfinder auch offen aussprach. Während meiner Londoner Tage ward übrigens, worauf ich später kurz zurückkomme, dem »Percy« noch ein Brüderchen geboren. Ob er »Douglas« getauft wurde, weiß ich nicht mehr. Ich muß es übrigens Heymann lassen, daß er ein gescheites Kerlchen war, und kann ihm nur vorwerfen, daß er von seiner Gescheitheit einen etwas weitgehenden Gebrauch machte, sowohl in den Künsten der Debatte wie in seinen Spekulationen. Beide waren von einer seltenen Unverfrorenheit getragen. Am größten aber erwies er sich in der Zeit, wo Mr. Dühring, unser Tiftelgenie, den ganzen Babel-Kreis durch eine von ihm gemachte »großartige« Erfindung in Aufregung und Staunen versetzt hatte. Diese Erfindung bestand in den seitdem allerdings mehr oder weniger berühmt gewordenen Kohlenfiltern. Die Herstellung erfolgte, wenn ich nicht irre, so, daß er faustgroße, aus Sägemehl und Teer oder Pech gemischte Kugeln formte und diese Kugeln bis zur Verkohlung glühte. Für den Hausgebrauch haben sich diese Kugeln, soviel ich weiß, auch leidlich bewährt. Aber solch ein Erfolg im kleinen war nicht, wonach ein Mann wie Dühring, der die Welt aus den Angeln heben und dabei vor allem viel Geld verdienen wollte, dürstete, weshalb er auf den ungeheuerlichen Gedanken kam, die Desinfizierung der Themse mit Hülfe seiner porösen Kohlenkugeln durchzusetzen. Wie man hundertfünfzig Jahre früher vor Gibraltar flache schwimmende Batterien errichtet hatte, so sollte jetzt, am Themse-Kai hin, eine ganze Flotte von Filterflößen aufgefahren werden, und zwar immer an den Mündungsstellen des großen Kanalisationsnetzes. Auf die Weise, so hieß es, komme nur ein wasserklarer Zustrom – einige Begeisterte sprachen sogar von der Möglichkeit des Trinkens – in den Fluß, und alle Lästigkeiten und Fährlichkeiten bei Cholera und ähnlichen Epidemien wären ein für allemal beseitigt. Heymann, ganz aus dem Häuschen, sah auch für sich persönlich endlich die Zeit gekommen, durch einen großen Coup die Citywelt in Erstaunen zu setzen, und übernahm die geschäftliche Seite des Unternehmens. Das nächste war, das »Government« von der epochemachenden Wichtigkeit der Sache zu überzeugen, und Beta, wie immer, wurde heranbeordert, um den nötigen Begeisterungsartikel in die Presse zu lancieren. Er tat es auch mit der ihm eignen Begeisterungsfähigkeit. Ich sah kopfschüttelnd dem allem zu, und als es mir zu arg wurde, raffte ich mich zu dem Satze zusammen, »daß ich dies alles für einen großen Unsinn hielte«. Aber da kam ich schön an, alles drang heftig auf mich ein, am meisten natürlich Heymann, der werdende Massenmillionär, der dann auch auf dem Punkte stand, alle Beziehungen zu mir abzubrechen. Indessen er besann sich wieder, alles klang wieder ein, und als der schon erwähnte zweite »junge Heymann« – seine Geburt war gerade in die »allergrößte Zeit« gefallen – getauft werden sollte, wurden meine Frau und ich, desgleichen Faucher und Frau und, wenn ich nicht irre, auch Mr. Blythe zur Taufe geladen. Diese fand in Savoy-Street – dicht am Strand-, wo sich die deutsche Kapelle befand, statt, und nach dort vollzogenem feierlichen Akt fuhren wir nach einem reizenden Square in Camden-Town, wo Heymann seine Wohnung hatte. Das Mahl war glänzend, und es erschienen Delikatessen, wie sie mir nie wieder vor Augen gekommen sind; ich ließ es mir gut schmecken und war in glänzendster Stimmung. Die ganze Gesellschaft nicht minder. Nach Tisch aber – es dämmerte schon –, als wir uns eben in einen vorgebauten Erker, von dem aus man über den ganzen Square sah, zurückgezogen hatten, zeigte Faucher auf ein paar Gestalten, die mit ernsten Gesichtern vor dem Hause auf und ab schritten. »Das sind Beadles«, sagte er leise zu mir. Denn er hatte, wie fast auf jedem Gebiet, so auch auf diesem, eine feine Sachkenntnis. »Beadle?« fragte ich, stutzig geworden, »ein Beadle ist doch soviel wie ein Exekutor.« »Allerdings«, antwortete Faucher und lachte. »Ja, gilt das uns?«... »Nein, uns nicht, wenigstens nicht Ihnen und mir. Aber unsrem Freunde Heymann. Der arme Kerl ist eingeschlossen; er hat heute nur den einen Trost: ›My home is my castle‹, heraus aber darf er nicht.« Es dauerte denn auch nicht lange mehr, so war alles, was um uns her vorging, in der kleinen Taufgesellschaft ruchbar geworden, und meine Frau kam in ein leises Zittern. Bleiben wollte sie nicht länger, und gehen – ja, dessen getraute sie sich erst recht nicht; sie konnte ja aus Versehen mit verhaftet werden. Schließlich indessen, was half es! Und so durchbrachen wir denn, halb in Schreck und halb in Heiterkeit, den um unsren Freund Heymann gezogenen Kordon.
Dieser Vorgang und fast nicht minder der trotz seiner Verrücktheit eifrig weitergesponnene Plan der »Desinfizierung der Themse« machte es, daß ich mich von der Babel-Gesellschaft etwas zurückzog und eine Zeitlang keines ihrer Mitglieder mehr sah. Auch die befreundeteren nicht. Das wurde denn auch Grund, daß ich einer Festlichkeit nicht beiwohnte, die Freund Faucher gerade damals gab und die seinen ohnehin vorhandenen Ruf als »decidedly clever fellow« in der ganzen deutschen Kolonie noch erheblich steigerte. Diese damals viel besprochene Festlichkeit, die halb – und noch über halb hinaus – ein politischer Akt war, entsprang der mehr und mehr bei Faucher heranreifenden Vorstellung, daß seine Redakteurschaft – er war Redakteur am Morning Star – etwas zu Kleines für ihn sei und daß irgend etwas geschehn müsse, seine gesellschaftliche Position zu verbessern. Nach einigem Nachsinnen darüber, was sich da wohl tun lasse, kam er zu dem Resultat, daß nur der Bischof von Oxford, ein Sohn oder Enkel des berühmten Wilberforce, ihm diesen Dienst gesellschaftlicher Erhebung leisten könne, weshalb all sein Trachten danach ging, ebendiesen Bischof – der in einer Weise, wie wir uns das hierlandes kaum vorstellen können, als ein gesellschaftliches Non plus ultra galt – in sein Haus einzuladen, um ihn hier an einer zu gebenden Soiree teilnehmen zu sehn. Um diese Sache drehte sich nun mehrere Wochen lang Fauchers Hoffen und Bangen. Allem vorauf stand ihm fest, daß eine Soiree, wie die von ihm geplante, in dem mehr als bescheidenen Hause, das er zu jener Zeit bewohnte, nicht gegeben werden könne, weshalb sich als erstes Erfordernis das Mieten einer neuen, in einem möglichst fashionablen Stadtteil gelegenen Wohnung herausstellte. Das Gewünschte fand sich denn auch. Er mietete auf vier Wochen eine glänzend eingerichtete Flucht von Zimmern in Westbourne-Terrace und schritt nun zur Einladung des Bischofs. Und richtig, der Bischof sagte zu. Galonierte Diener wurden engagiert, eine deutsche Sängerin fand sich wie immer, und ein »Confectioner« – Konditor und Traiteur – in Regent-Street übernahm die Versorgung mit Speis und Trank. Um neun brannten alle Kronen, Cabs fuhren vor, Frau Faucher stand im ersten Stock auf dem Vorflur zwischen Treppenmündung und Salon und empfing ihre Gäste, das Gesicht etwas ängstlich verzerrt, denn der, um den das alles inszeniert wurde, war noch immer nicht da. Da, wer beschreibt das Glück, erschien der Bischof von Oxford mit dem ihm eignen wohlwollenden Lächeln, begrüßte die Dame des Hauses, verneigte sich kurz, sowohl gegen Faucher wie gegen die zunächst Stehenden, und schritt dann langsam durch die drei Festräume, die er, nach Ablehnung einer Erfrischung und unter erneuten Verneigungen gegen die Versammlung, in langsamem Tempo wieder verließ. Seine Anwesenheit hatte keine fünf Minuten gedauert, der Zweck aber war erreicht, denn am andern Morgen stand in allen Zeitungen: »Yesterday took place a splendid evening party at Mr. and Mrs. Faucher, Westbourne Terrace; the Bishop of Oxford was present.« Nach diesem Tage wurde Faucher, erdrückt von Verbindlichkeiten, nicht mehr im Bereich seiner von ihm auf vier Wochen gemieteten Prachtwohnung gesehn; er zog vielmehr weit, weit fort, in eine ganz andre Himmelsgegend. Das war im Januar achtundfünfzig.
Um diese Zeit kamen wir uns wieder näher, denn es rückten jetzt die Tage der Vermählung zwischen Kronprinz Friedrich Wilhelm und Prinzeß Victoria heran. Ich