Die Eissphinx. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
östlichen Australien und dem westlichen Amerika, von Hobart-Town nach den Kerguelen, nach Tristan d'Acunha oder den Falklandsinseln, wobei wir immer nur so lange am Land lagen, bis unsere Fracht verkauft war. Manchmal drangen wir auch bis zum antarktischen Meere hinunter... Sie begreifen, daß ein Passagier unter solchen Umständen lästig werden könnte, und wer würde sich auf der »Halbrane« einschiffen wollen, da diese nie einen vorher bestimmten Curs einhält, sondern eigentlich hinfährt, wohin der Wind sie treibt!«
Ich fragte mich, ob der Hochbootsmann sich nicht ein wenig bemühte, seine Goëlette als eine Art geheimnißvollen Fahrzeugs hinzustellen, das planlos umherschweifte und an den Ankerplätzen kaum rastete, als ein Schiff, das unter Führung eines gespensterhaften Kapitäns durch die hohen Breiten irrte. Doch ohne eine dahin zielende Bemerkung zu machen, sagte ich zu ihm:
»Die »Halbrane« wird von den Kerguelen aber doch nach vier bis fünf Tagen absegeln?
– Gewiß...
– Und diesmal steuert sie nach Westen, um Tristan d'Acunha anzulaufen?
– Wahrscheinlich.
– Nun, Hochbootsmann, schon diese Wahrscheinlichkeit genügt mir ja, und da Sie mir Ihre guten Dienste anbieten, ersuche ich Sie, es beim Kapitän Len Guy zu vermitteln, daß er mich als Passagier aufnimmt.
– Das ist so gut wie abgemacht.
– Sehr schön, Hurliguerly, Sie sollen es auch nicht zu bereuen haben.
– O, Herr Jeorling, versicherte dieser seltsame Hochbootsmann, der den Kopf schüttelte, als wäre er eben aus dem Wasser aufgetaucht, ich habe bisher nie etwas zu bereuen gehabt und weiß, daß das auch nicht der Fall sein wird, wenn ich Ihnen eine Gefälligkeit erweise. Nun erlauben Sie mir aber, mich, ohne die Rückkehr des Freundes Atkins abzuwarten, zu verabschieden und nach meinem Schiffe zu begeben.«
Nachdem er sein letztes Glas Wisky auf einen Zug geleert hatte – ich fürchtete dabei, daß das Glas gleich mit dem Inhalte in seiner Kehle verschwinden werde – lächelte mich Hurliguerly noch gönnerhaft an; dann ging er, den mächtigen Rumpf auf dem Doppelbogen der Beine hin und her wiegend und von den scharfen, seiner Pfeife entströmenden Rauchwolken eingehüllt, hinaus und steuerte in nordöstlicher Richtung vom »Grünen Cormoran« davon.
Ich blieb noch mit recht wechselnden Empfindungen am Tische sitzen. Was war im Grunde dieser Kapitän Len Guy? Meister Atkins hatte ihn mir als tüchtigen Seefahrer und braven Mann geschildert. Ich hatte keine Veranlassung, an dem einen oder dem anderen zu zweifeln; jedenfalls war er, nach dem, was mir der Hochbootsmann mitgetheilt hatte, ein origineller Charakter. Nie war mir aber in den Sinn gekommen, daß mein Gesuch, mit der »Halbrane« zu reisen, Schwierigkeiten begegnen könnte, nachdem ich erklärt hatte, nicht auf den Fahrpreis zu sehen und mich der gewohnten Lebensweise an Bord zu fügen. Welchen Grund hatte der Kapitän Len Guy also, mein Gesuch abzuschlagen?... Höchstens könnte ich vermuthen, daß er sich durch die Mitanwesenheit eines Passagiers nicht binden und sich nicht verpflichten wollte, nach einem vorher bestimmten Orte zu segeln, wenn es ihm im Laufe der Fahrt einfiel, nach einem beliebigen anderen zu steuern. Vielleicht hatte er aber auch besondere Gründe, zu vermeiden, daß ein Fremder in seine Art und Weise umherzufahren Einblick bekäme. Führte er etwa Contrebande oder betrieb er Sklavenhandel, ein Geschäft, das jener Zeit in den südlichen Meeren noch lebhaft im Schwange war? Das wäre immerhin möglich, obwohl mein würdiger Gasthalter für die »Halbrane« und ihren Kapitän so warm eintrat. Fenimore Atkins garantierte für die Ehrbarkeit des Schiffes, wie für die seines Befehlshabers!... Das war ja schon etwas werth, wenn er sich nicht in Bezug auf beide täuschte. Er kannte ja den Kapitän Len Guy nicht weiter, als daß er ihn jährlich einmal sah, wenn dieser die Kerguelen anlief, wo er ganz ordnungsgemäße Geschäfte erledigte, die keinerlei Verdacht aufkommen lassen konnten.
Andererseits fragte ich mich, ob der Hochbootsmann, in der Absicht, dem Anerbieten seiner Dienste mehr Bedeutung zu verleihen, die Verhältnisse nicht falsch dargestellt habe. Vielleicht war der Kapitän sehr befriedigt, sehr glücklich darüber, einen so fügsamen Passagier an Bord zu bekommen, wie ich mir einer zu sein vorgenommen hatte, und der gleichzeitig nach dem Fahrpreis nicht groß fragte.
Eine Stunde später traf ich mit dem Gastwirth auf dem Quai zusammen und theilte ihm mit, was ich erfahren hatte.
»Ah, dieser verteufelte Hurliguerly, rief er da, der bleibt doch immer der alte! Seinen Reden nach müßte man glauben, daß der Kapitän sich nicht die Nase putzte, ohne ihn erst um Rath zu fragen! Na, es ist eben ein drolliger Kauz, der Hochbootsmann, mein Herr Jeorling. Weder bösartig, noch dumm, zieht er doch dem Gottseibeiuns die Dollars gern aus der Tasche. Fallen Sie ihm in die Hände, dann Gnade Ihrem Geldbeutel! Knöpfen Sie ja Weste und Hosentasche zu und lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen!
– Danke für den guten Rath, Atkins! Doch sagen Sie, haben Sie mit dem Kapitän schon gesprochen, schon etwas ausgemacht?
– Noch nicht, Herr Jeorling. Dazu haben wir Zeit. Die »Halbrane« ist ja kaum eingelaufen und hat sich vor ihrem Anker noch nicht einmal nach dem Ebbestrom gedreht.
– Mag sein... doch... Sie begreifen, daß ich baldmöglichst wissen möchte, woran ich bin.
– Nur ein wenig Geduld!
– Es drängt mich aber zu erfahren, wie die Sache steht.
– O, Sie haben nichts zu fürchten, Herr Jeorling!... Das macht sich schließlich ganz allein! – Und wenn's die »Halbrane« nicht wäre, kommen Sie auch nicht in Verlegenheit. In der Fangzeit wird Christmas-Harbour bald mehr Schiffe zählen, als rings um den »Grünen Cormoran« Häuser stehen. Verlassen Sie sich getrost auf mich; ich stehe für Ihre Einschiffung ein!«
Das waren freilich auch nur schöne Worte, von dem Hochbootsmann auf der einen und von Meister Atkins auf der andern Seite. Trotz ihrer Versprechungen beschloß ich, mich selbst an den, wenn auch noch so unzugänglichen Kapitän Len Guy zu wenden und ihm mein Anliegen vorzutragen, sobald ich seiner allein habhaft werden konnte.
Diese Gelegenheit bot sich erst am folgenden Tage. Ich war immer am Quai auf und ab gegangen, betrachtete mir den Schooner, ein auffallend gebautes, doch gewiß recht schönes Schiff. Das ist auch nothwendig in diesen Meeren, wo man Eisbergen zuweilen noch diesseits des fünfzigsten Breitengrades begegnet.
Es war am Nachmittage. Bei meiner Annäherung an Kapitän Len Guy bemerkte ich, daß er mir gern ausgewichen wäre.
In Christmas-Harbour versteht es sich von selbst, daß sich die kleine Fischerbevölkerung kaum erneuert. Einzelne Einwohner der Kerguelen mögen wohl gelegentlich auf Schiffen, die in dieser Jahreszeit hier in großer Zahl eintreffen, Dienste nehmen, um fehlende oder davongelaufene Mannschaften zu ersetzen. Im Grunde verändert sich die Bevölkerung aber nicht, und der Kapitän Len Guy mußte gewiß alle Bewohner hier kennen.
Einige Wochen später, wenn die ganze Fischerflotte ihre Besatzungen nach den Quais gehen ließ, wo dann bis zur Beendigung der Saison ein ungewohntes Leben und Treiben herrschte, hätte er sich wohl täuschen können. Heute aber, im Monat August, lag die »Halbrane«, die sich den außergewöhnlich milden Winter zunutze gemacht hatte, allein mitten im Hafen.
Es war demnach unmöglich, daß der Kapitän Len Guy in mir nicht einen Fremden gewittert hätte, selbst wenn der Hochbootsmann und der Gastwirth ihm mein Anliegen noch nicht vorgetragen hatten.
Seine Haltung verrieth mir augenblicklich nur, daß ihm mein Gesuch entweder schon mitgetheilt war und er ihm keine Folge geben wollte, oder daß weder Hurliguerly noch Atkins seit gestern ihm davon gesprochen hatten. Wenn er sich – den letzten Fall angenommen – von mir entfernte, so folgte er dabei nur seiner wenig mittheilsamen Natur und zeigte, daß er zu einem Unbekannten in keine Beziehung treten wollte.
Ich wurde nun allgemach ungeduldig. Wenn dieser Seeigel mich abwies, dann würde ich mich dabei bescheiden. Mich auch gegen seinen Willen an Bord der »Halbrane« einzuschiffen, kam mir gar nicht in den Sinn. Ich war ja nicht einmal ein Landsmann von ihm und überdies gab es auf den Kerguelen keinen amerikanischen Consul oder Agenten, bei dem ich mich hätte beklagen können. Vor allem galt es mir ja zu wissen, woran