Der Gärtner war der Mörder. Wolfgang SchneiderЧитать онлайн книгу.
wo das ältere Ehepaar in Begleitung eines Beamten wartete. Die paar Meter, die sie dabei zurücklegten, kamen Sedlmeyer vor wie eine halbe Ewigkeit. Wie in Zeitlupe steuerten sie über die Uferböschung, so kam es ihm in diesem Moment vor, und fixierten ihr Ziel mit einem Tunnelblick, der das Geschehen um sie herum auszublenden versuchte. Jutta nickte dem Kollegen zu und streckte der älteren Frau die Hand hin:
„Guten Morgen, mein Name ist Hemmers, Mordkommission. Das hier ist mein Kollege, Herr Sedlmeyer. Wir müssten Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn das für Sie in Ordnung ist.“ Die ältere Dame sagte nichts und schüttelte ihr die Hand. Ihr Gesichtsausdruck war verschlossen und gefestigt. Jutta fuhr fort:
„Sie haben die Leiche also gefunden, heute früh gegen sechs Uhr, ist das korrekt?“ Die Dame antwortete:
„Ja, haben wir.“
„Und Sie haben danach sofort bei der Polizei angerufen?“ Der ältere Mann schaltete sich ein:
„Ja freilich. Wissen's, wir wohnen nicht weit weg und gehen Sonntags oft bei Sonnenaufgang in dieser Gegend im Wald an der Isar spazieren, weil's da so schön ruhig ist. Heut' sag ich zu meiner Frau: 'lass uns mal zum Fluss runter gehen' und dort haben wir dann die – äh – Leiche im Gebüsch hängen sehen“. Er schluckte einmal und sah seine Frau an. Jutta sah ihn an und fragte:
„Gut. Ich nehme an, es war Zufall, dass Sie heute genau diese Uferstelle besucht haben? Sie kommen nicht jedes mal beim Spazierengehen hier her?“ Der Mann antwortete:
„Nein, das war wie gesagt reiner Zufall, wir waren hier noch nie, wenn ich mich recht erinnere“ Sedlmeyer schaltete sich ein:
„Sie haben nichts angefasst oder verändert?“ Die Frau antwortete:
„Natürlich nicht!“ Er überlegte aber es fiel ihm nichts mehr ein, was sich noch zu fragen gelohnt hätte, daher sagte er:
„Vielen Dank einstweilen. Ihre Personalien haben wir; es könnte sein, dass wir in den nächsten Tagen noch die eine oder andere Frage an Sie haben, dann würden wir uns bei Ihnen melden.“ Der ältere Mann sah ihn unsicher an:
„Das heißt, wir können jetzt nach Hause gehen?“ Sedlmeyer antwortete:
„Ja, natürlich. Vielen Dank für Ihre Mithilfe!“ Nachdem das Zeugen-Ehepaar entlassen war, schritt Sedlmeyer den gesperrten Bereich ein paarmal ab und sah sich genau um, während Jutta sich mit den Kollegen von der Bereitschaftspolizei unterhielt. Hie und da bog er ein paar Zweige zur Seite, um etwas bestimmtes besser sehen zu können, dann inspizierte er das Gebüsch im Wasser, in dem sich die Tote offenbar verfangen hatte. Er wollte einen intuitiven Eindruck gewinnen, wollte die Fundstelle kennen und „verstehen“ lernen. Eine exakte Spurensicherung hatte er dabei nicht im Sinn, aber dafür sorgte ohnehin die Kriminaltechnik und die waren sehr gut in ihrem Geschäft. Allerdings stellte sich kein Aha-Erlebnis bei ihm ein; ein ganz normaler bewaldeter Uferabschnitt war alles, was es hier zu entdecken gab. Ganz normal bis auf die Tatsache, dass sich verschiedenste Beamte und Spezialisten darauf befanden und sich um eine grässlich entstellte Leiche scharten. Eine Weile ließ er den Fundort ergebnislos auf sich wirken, dann stapfte er mit gesenktem Kopf zurück zu der Toten. Er steuerte auf einen der Kriminaltechniker zu, den er flüchtig unter dem Namen Jansen kannte; der stand neben der Leiche und schrieb etwas auf einen Notizblock. Sedlmeyer wartete, bis der Kollege mit seinen Notizen fertig war, dann fragte er:
„Habt ihr irgend was brauchbares finden können?“ Jansen antwortete:
„Sieht ganz schlecht aus. Der Zustand der Leiche lässt kaum verwertbare Spuren erwarten. Keine Kleidungsstücke. Wir haben einen Ohrring sicherstellen können und einen Ring an der linken Hand, aber das wird euch wohl auch nicht viel helfen.“ Sedlmeyer sah ihn nachdenklich an. Dann sagte er:
„Gibt der Fundort selber was her?“ Jansen sah sich kurz um.
„Aufgrund der Strömungsrichtung der Isar ist klar, dass die Leiche irgendwo südlich von hier ins Wasser gelangt sein muss.“ Dabei sah er auf's Wasser hinaus und zeigte mit dem Finger Richtung Süden. „Wo genau das passiert ist, können wir allerdings auch nicht präzise sagen. Leichen sinken zunächst auf Grund, bevor sie durch Gasbildung im Körper nach einer Weile wieder an die Oberfläche treten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass genau das vor kurzem passiert ist und die Leiche dadurch eine unbestimmte Wegstrecke mit der Strömung getrieben ist, bevor sie sich in diesem Gebüsch verfangen hat.“ Sedlmeyer sah Jansen entmutigt an. Der fuhr fort:
„Wir haben Verbissspuren von Fischen entdeckt. Die dokumentieren wir im Moment noch, eventuell lassen sich daraus Rückschlüsse auf gewisse Besonderheiten im Fischbestand des Flusses ziehen, aber macht euch mal keine allzu großen Hoffnungen deswegen. Dann haben wir noch einige ziemlich seltsame Verletzungen am Oberkörper entdeckt, die von keinem Tier zu stammen scheinen, aber die können wir nicht einordnen, das muss sich die Pathologie dann genauer anschauen. Ich hoffe, die haben mehr zu bieten als wir.“ Sedlmeyer sah kurz zu Jutta hinüber, die sich soeben zu ihnen gesellt hatte, dann fragte er:
„Wie lange braucht ihr hier noch?“ Jansen sah auf seine Armbanduhr, dann sagte er:
„Noch etwa ne halbe Stunde, Stunde, würde ich sagen.“ Sedlmeyer wandte sich Jutta zu:
„Lass uns den Leichentransport her bestellen oder hast du noch irgend eine zündende Idee?“ Sie überlegte kurz, dann sagte sie:
„Nö, Sedi, keine Ideen mehr. Ich organisier das mal eben. Geh du eine rauchen, ich seh's dir an der Nasenspitze an, dass du's nötig hast.“ Sie sah einen Moment niedergeschlagen zu Boden, dann hob sie den Blick, sah ihm einen Moment in die Augen und sagte:
„Drehst du mir auch eine?“ Sedlmeyer zog die Augenbrauen zusammen und sah sie verwundert an. Jutta hatte schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört und Sedlmeyer war nicht bekannt, dass sie seither in irgend einer Form rückfällig geworden wäre.
„Bist du sicher?“ fragte er.
„Ja, heute bin ich sicher.“ Sedlmeyer nickte ihr zu.
„Gut, ich bin dann beim Auto, bis gleich.“ Dann duckte er sich unter dem Absperrband durch und trabte zurück zum Wagen. Dort angekommen, drehte sich eine Schwarze Krauser und dann noch eine für Jutta. Noch nie hatte er sie rauchen sehen. Unter normalen Umständen hätte er ihr die Bitte wahrscheinlich abgeschlagen; nur allzu leicht wird man als ehemaliger Raucher wieder rückfällig, wie er aus leidvoller Erfahrung selber wusste und er hätte nicht derjenige sein wollen, der eine Mitschuld an der Wiederaufnahme der Raucherkarriere eines befreundeten Menschen zu verantworten hatte. In diesem Moment, während er auf Jutta wartete, fiel ihm etwas auf: er war froh darum, in diesem Moment nicht alleine rauchen zu müssen sondern die üble Situation und die gedrückte Stimmung mit jemandem teilen zu können. Die Wasserleiche dieses jungen Mädchens halbverwest und aufgedunsen auf dem Boden liegen zu sehen, das war schon harter Tobak und auch für einen erfahrenen Kriminalbeamten nicht eben leicht zu verdauen. Und als er Jutta dann nach einer Weile durch das Unterholz balancierend auf ihn zukommen sah, erkannte er plötzlich ganz deutlich, dass sie nicht einfach nur eine Kollegin für ihn war, sondern tatsächlich so etwas wie ein Freund. Sie nahm die Zigarette, die er ihr angeboten hatte entgegen und lehnte sich neben ihn an den Wagen. Dann sagte sie:
„Leichentransport ist unterwegs. Haste Feuer?“ Sedlmeyer gab ihr Feuer, dann lehnten sie eine Weile schweigend am Wagen und rauchten.
Pathologie
Sonntag, 8. Juni 2008, 14:25
Sedlmeyer und Jutta bogen ein auf den Parkplatz vor dem Gerichtsmedizinischen Institut. Er parkte den Wagen, sie stiegen aus, dann drückte er eine Taste auf dem Autoschlüssel und schloss mit einem leisen Doppel-Piepton die Zentralverriegelung. Auf der Fahrt hatten sie kaum ein Wort gewechselt; beide waren noch immer einigermaßen mitgenommen vom Anblick der Wasserleiche und insbesondere von der Tatsache, dass hier ein so junges Mädchen in so einem entsetzlich entstellten Zustand tot aus der Isar gezogen werden musste. Sedlmeyer sah sich kurz auf dem Parkplatz um, dann fragte er