Winnetou Band 2. Karl MayЧитать онлайн книгу.
in denen Rosen, Stechpalmen, Oleander,
Birnen, Feigen, Pfirsiche, Orangen und Zitronen wachsen. Dort findet der Bewohner die ersehnte Ruhe
und Beschaulichkeit, nachdem ihn der Lärm der Stadt umtobt hat.
Am Hafen geht es natürlich am regsten zu. Da wimmelt es förmlich von Schiffen und Fahrzeugen aller
Arten und Größen. Da hegen riesige Wollballen und Fässer aufgestapelt, zwischen denen sich Hunderte
von Arbeitern bewegen. Man könnte sich auf einen der Baumwollenmärkte Ostindiens versetzt denken.
So wanderte ich durch die Stadt und hielt die Augen offen - vergeblich. Es war Mittag und sehr heiß
geworden. Ich befand mich in der schönen, breiten Common-Street, als mir das Firmenschild einer
deutschen Bierstube in die Augen fiel. Ein Schluck Pilsener in dieser Hitze konnte nichts schaden. Ich
ging hinein.
Welcher Beliebtheit sich schon damals dieses Bier erfreute, konnte ich aus der Menge der Gäste ersehen,
welche in dem Lokale saßen. Erst nach langem Suchen sah ich einen leeren Stuhl, ganz hinten in der
Ecke. Es stand da ein kleines Tischchen mit nur zwei Sitzplätzen, deren einen ein Mann eingenommen
hatte, dessen Äußeres wohl geeignet gewesen war, die Besucher von der Benutzung des zweiten Platzes
abzuschrecken. Ich ging nichtsdestoweniger hin und bat um die Erlaubnis, mein Bier bei ihm trinken zu
dürfen.
Über sein Gesicht ging ein fast mitleidiges Lächeln. Er musterte mich mit prüfendem, beinahe
verächtlichem Blicke und fragte:
»Habt Ihr Geld bei Euch, Master?«
»Natürlich!« antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.
»So könnt Ihr das Bier und auch den Platz, den Ihr einnehmen wollt, bezahlen?«
»Ich denke es. »
» Well, warum fragt Ihr da nach meiner Erlaubnis, Euch zu mir setzen zu können? Ich kalkuliere, daß Ihr
ein Dutchman seid, ein Greenhorn hierzulande. Der Teufel sollte einen jeden holen, der es wagen wollte,
mich zu verhindern, da Platz zu nehmen, wo es mir gefällt! Setzt Euch also nieder; legt Eure Beine dahin,
wo es Euch beliebt, und gebt demjenigen, der es Euch verbieten will, sofort eins hinter die Ohren!«
Ich gestehe aufrichtig, daß die Art und Weise dieses Mannes mir imponierte. Ich fühlte, daß meine
Wangen sich gerötet hatten. Streng genommen, waren seine Worte beleidigend für mich, und ich hatte
das dunkle Gefühl, daß ich sie mir nicht gefallen lassen dürfe und wenigstens einen Versuch der Abwehr
machen müsse. Darum antwortete ich, indem ich mich niedersetzte:
»Wenn Ihr mich für einen German haltet, so habt Ihr das Richtige getroffen, Master; die Bezeichnung
Dutchman aber muß ich mir verbitten, sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu beweisen, daß ich eben
kein Greenhorn bin. Man kann höflich und doch dabei ein alter Schlaukopf sein.«
» Pshaw!« meinte er gleichmütig. »Ihr seht mir just nicht so schlau aus. Gebt Euch keine Mühe, in Zorn
zu kommen; es würde zu nichts führen. Ich habe es nicht bös mit Euch gemeint und wüßte faktisch nicht,
wie Ihr es anfangen wolltet, Euch mir gegenüber ein Relief zu geben. Old Death ist nicht der Mann, der
sich durch eine Drohung aus seinem Gleichmute bringen läßt.«
9
Old Death! Ah, dieser Mann war Old Death! Ich hatte von diesem bekannten, ja berühmten Westmanne
oft gehört. Sein Ruf war an allen Lagerfeuern jenseits des Mississippi erklungen und auch bis in die
Städte des Ostens gedrungen. Wenn nur der zehnte, der zwanzigste Teil dessen, was man von ihm
erzählte, auf Wahrheit beruhte, so war er ein Jäger und Pfadfinder, vor welchem man den Hut ziehen
mußte. Er hatte sich ein ganzes Menschenalter lang im Westen umhergetrieben und war trotz der
Gefahren, denen er sich ausgesetzt hatte, niemals verwundet worden. Darum wurde er von denen, welche
abergläubisch waren, für kugelfest gehalten.
Wie er eigentlich hieß, das wußte man nicht. Old Death war sein nom de guerre; er hatte denselben wegen
seiner außerordentlich dürren Gestalt erhalten. Der ›alte Tod‹! Als ich ihn so vor mir sitzen sah, leuchtete
es mir ein, wie man darauf gekommen war, ihn so zu nennen.
Er war sehr, sehr lang, und seine weit nach vorn gebeugte Gestalt schien wirklich nur aus Haut und
Knochen zu bestehen. Die ledernen Hosen schwappten ihm nur so um die Beine. Das ebenfalls lederne
Jagdhemde war mit der Zeit so zusammen- und eingeschrumpft, daß ihm die Ärmel nicht viel über den
halben Vorderarm reichten. An diesem letzteren konnte man die beiden Knochen, Elle und Speiche, so
deutlich wie bei einem Gerippe unterscheiden. Auch die Hände waren ganz diejenigen eines Skeletts.
Aus dem Jagdhemde ragte ein langer, langer Totenhals hervor, in dessen Haut der Kehlkopf wie in einem
Ledersäckchen herniederhing. Und nun erst der Kopf! Er schien nicht fünf Lot Fleisch zu enthalten. Die
Augen lagen tief in ihren Höhlen, und auf dem Schädel gab es nicht ein einziges Haar.
Die schrecklich eingefallenen Wangen, die scharfen Kinnladen, die weit hervortretenden Backenknochen,
die zurückgefallene Stumpfnase mit den weiten, aufgerichteten Löchern -wahrhaftig, es war ein
Totenkopf, über den man sich entsetzen konnte, wenn man ihn unerwartet zu Gesicht bekam. Der Anblick
dieses Kopfes wirkte wahrhaftig auch auf meine Nase: ich glaubte, die Dünste der Verwesung, den Odeur
von Schwefelwasserstoff und Ammoniak zu riechen. Es konnte einem dabei der Appetit zum Essen und
Trinken vollständig abhanden kommen.
Seine langen, dürren Füße steckten in stiefelartigen Futteralen, welche je aus einem einzigen Stücke
Pferdeleders geschnitten waren. Über dieselben hatte er wahrhaft riesige Sporen angeschnallt, deren
Räder aus mexikanischen silbernen Pesostücken bestanden.
Neben ihm an der Erde lag ein Sattel mit vollständigem Zaumzeuge, und dabei lehnte eine jener
ellenlangen Kentuckybüchsen, welche jetzt nur noch äußerst selten zu sehen sind, weil sie den
Hinterladern weichen mußten. Seine sonstige Bewaffnung bestand aus einem Bowiemesser und zwei
großen Revolvern, deren Griffe aus seinem Gürtel ragten. Dieser letztere bestand aus einem
Lederschlauche von der Form einer sogenannten ›Geldkatze‹, welcher rundum mit handtellergroßen
Skalphäuten besetzt war. Da diese Skalpe nicht auf den Köpfen von Bleichgesichtern gesessen hatten, so
war zu vermuten, daß sie von ihrem jetzigen Besitzer den von ihm besiegten Indianern abgenommen
worden waren.
Der Boardkeeper brachte mir das bestellte Bier. Als ich das Glas an die Lippen setzen wollte, hielt der
Jäger mir das seinige entgegen und sagte:
»Halt! Nicht so eilig, Boy! Wollen vorher anstoßen. Ich habe gehört, daß dies drüben in Eurem
Vaterlande Sitte