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Die Bluthunde von Paris. Christina GeiselhartЧитать онлайн книгу.

Die Bluthunde von Paris - Christina Geiselhart


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Mädchen geschickt den klobigen Schuh. Obwohl der Fremde dem Aufstieg aufmerksam zugesehen hatte, schien er ihre Behinderung nicht wahrgenommen zu haben. Als Philippine auf dem Pferderrücken saß, sagte er streng:

      „Ich kenne dich nicht! Nenn mir deinen Namen!“

      Sie zögerte und machte Anstalten davon zu reiten. Flink sprang der junge Mann aus dem Fenster und griff nach den Zügeln.

      „Deinen Namen! Warum fürchtest du dich davor, ihn mir zu sagen?“

      „Weil ...,“ sie stockte. Der Blick des Jünglings ließ sie nicht los. Aus ihm sprach nicht mehr Verachtung. Philippine las darin Zorn und Angst. Vor irgendetwas hat er Angst, dachte sie. Davor, dass man seinen Mord aufdeckt?

      „Du willst ihn mir also nicht nennen? Gut, dann antworte mir auf eine andere Frage: Willst du in dieses Haus weiterhin zurückkehren?“

      Heftig nickte das Mädchen.

      „Würdest du dafür alles tun?“

      Wieder nickte es. Diesmal zögernd.

      „Dann verrate niemanden, dass du mich getroffen hast. Versprichst du es!“

      „Ich verspreche es! Es gibt niemanden, dem ich es verraten könnte. Es gibt niemanden, dem ich vertraue. Außer Vraem. Die Stute ist mein treuer Begleiter, meine Freundin, mein Beistand. Nur schade, dass sie nicht sprechen kann!“ Philippine hatte Tränen in den Augen. Erstaunt ließ der junge Mann die Zügel los.

      „Dann geh! Aber komm morgen wieder. Und bring etwas zu Essen mit.“

      „Das werde ich bestimmt tun!“ Zaghaft lächelnd streichelte sie die Mähne des Tieres.

      „Ich kenne dich nicht, du verschweigst deinen Namen, hast keinen Rang und doch glaube ich dir. Missbrauche mein Vertrauen nicht.“ Er gab dem Pferd einen Klaps auf die Kruppe.

      *

      In dieser Nacht konnte Philippine nicht schlafen. Mit offenen Augen starrte sie an die Decke der Schlafkammer, die sie mit Frieda teilte und zuvor auch mit Alberta geteilt hatte. Wieder und wieder erschien ihr der junge Mann, leuchtete hell sein Gesicht unter den dunklen Locken und funkelten die Augen. Er schaute zärtlich. Er lächelte. Nur entsprangen Zärtlichkeit und Lächeln allein ihrer Phantasie. Die Wirklichkeit war anders. Sie schenkte ihr nichts. Schon gar nicht das Lächeln eines vornehmen Herrn. Und wäre es nicht recht kühn von ihr, Freundlichkeit erwarten zu wollen von Menschen, die einer ganz anderen Welt angehörten als sie? Wer war sie denn? Ein Nichts! Sie musste dankbar sein, dass er ihr erlaubt hatte, ins Landhaus zurückzukehren.

      Allmählich kam die Müdigkeit. Auf der Schwelle zwischen Wachen und Schlaf sah sie Alberta. Mit ausgestreckten Armen wie eine Schlafwandlerin ging sie durch den Wald bis zum Weiher. An seinen Ufern sank sie ein. Zuerst die Füße, dann die Beine, der Bauch. Immer tiefer sank sie bis nur noch ihr Gesicht aus dem Schlamm ragte. In dem Augenblick tauchte der junge schöne Mann auf. Er streckte seine Hand aus, um Alberta herauszuhelfen, aber eine andere Hand schlug die seine weg und Alberta versank im Morast.

      „Nein!“, schrie Philippine und schreckte hoch. Um sie herum war es dunkel und still. Frieda atmete gleichmäßig, Aus dem Nebenraum drang das Schnarchen ihres Vaters. Reglos blieb Philippine im Bett sitzen und lauschte. Ein sanfter Wind wehte ums Haus. Hin und wieder kratzten die Äste des Ginsterbusches an der Holzfassade des Hauses.

      Vraem wieherte leise. Sonst regte sich nichts. Philippine legte sich wieder hin. Sie schlüpfte tief unter die Decke und flüsterte: „Nein! Er ist kein Mörder. Aber wovor hat der junge Herr Angst?“

      *

      Noch nie war ihr der Unterricht beim Pfarrer von Saint-Ouen so öde erschienen. Immer wieder tauchte der junge Mann vor ihrem geistigen Auge auf und Pfarrer Roumanet musste sie aus ihren Träumereien rütteln.

      „Was ist mit dir, mein Kind? Selten habe ich dich so unkonzentriert erlebt. Langweile ich dich? Soll ich aufhören?“

      Heftig schüttelte Philippine den Kopf. Oh, nein, sie wollte lernen, viel lernen. Jetzt umso mehr, denn seit gestern Abend gab es ein konkretes Ziel. Hatte sie bisher nur deshalb so fleißig gelernt, um sich von ihrem Elternhaus zu unterscheiden, so tat sie es jetzt, um jemanden zu beeindrucken. Wusste sie bis vor einigen Stunden nicht, ob sie die Kunst des Schreibens und Lesens jemals weiterbringen würde, war sie doch nur die arme Tochter eines Folterers und zudem eine Frau – und gelehrte Frauen hatten ein schweres Los – so wusste sie jetzt wofür der Unterricht gut war. Er gab ihr die Möglichkeit, eine andere, eine hellere Welt zu betreten als es die ihre war. Und sollte sie auch niemals weiterkommen als bis zur Schwelle dieser Welt, so hätte sie doch einmal durch ein kleines Fenster in sie hinein geblickt. Und diesen kurzen, vielleicht nur flüchtigen Blick würde ihr der junge Mann niemals gewähren, wäre sie ein hirnloses, kicherndes Geschöpf.

      „Hast du deine Zunge verloren? Ich habe dich gebeten diesen Absatz zu lesen und du starrst mich fragend an.“ Pfarrer Roumanet knallte seinen Zollstock gegen die Holzbank, an der die beiden arbeiteten und deutete mit seinen krummen Fingern auf eine Stelle im Buch. Philippine schreckte aus ihren Gedanken. Sie entschuldigte sich viele Male, erzählte von der schlaflosen Nacht, der Sorge um Vaters Gesundheit und vom Kummer über die Mutter und die Schwester. Roumanets Augen unter den buschigen Brauen blitzten schockiert. Sein Gesicht wirkte sehr bekümmert mit einem Mal.

      „Oh, ja! Nimm dir kein Beispiel an diesen Menschen. Das Handwerk deines Vaters ist verabscheuenswürdig, aber er ist ein armer Tropf und hat Chancen auf einen Platz im Himmelreich. Die beiden anderen jedoch sind verdorben. Sie sind gottlos, Werkzeuge des Teufels. Hüte dich vor ihnen! Geh deinen eigenen Weg. Lerne! Höre, was ich sage!“ Jeden seiner Sätze unterstrich er mit einem Klopfen gegen die Holzbank, was Philippine gänzlich ernüchterte. Energisch verscheuchte sie ihr Traumgebilde und konzentrierte sich die verbleibenden Stunden auf ihre Aufgaben. Sie hatte noch eine Schriftrolle zu kopieren und ein Gedicht aufzusagen.

      Heute ging es um den direkten Vorgänger des derzeitigen Königs. Es war der Bourbonenkönig Ludwig XV. Anfangs nannte man ihn „le roi bien aimé“, den geliebten König, aber schon in den ersten Jahre seiner Regierungzeit und dem Wechsel einiger Finanzminister zeigte sich, dass der geliebte König nicht fähig war, die horrenden Schulden seines Vorgängers Ludwig XIV zu verringern und die Lebensqualität seines Volkers zu verbessern. Im Gegenteil. Harte Winter, Missernten, der zermürbende siebenjährige Krieg und schlechte Politik verschlimmerten die Zustände im Land. Aus „le roi bien aimé“ wurde „le roi mal aimé“, dessen Eroberungszüge sich auf die Jagd nach Maitressen beschränkte. Aus Roumanets Geschichtsinterpretation hörte Philippine oft Entrüstung und eine leichte Neigung zur Rebellion heraus.

      Gegen Ende der Lehrstunden verließ der Pfarrer dann das Thema Königshaus und Absolutismus und rundete den Unterricht mit einer Episode aus dem Leben eines wirklichen Helden der Französischen Geschichte ab. Darauf freute sich das Mädchen besonders. Begierig hing es an den Lippen des Mannes. Der Fremde im Wald rückte für eine Weile in den Hintergrund.

      „Im siebenjährigen Krieg kämpft Ritter d’Assas gegen die Preußen. In einer Nacht des Jahres 1760 streicht er mit einer Einheit des Regimentes d’Auvergne lautlos an den Ufern des Rheins entlang, geschützt von Büschen und Sträuchern. Mutig leitet er in sicherem Abstand seine Mannen, da wird er plötzlich von preußischen Soldaten eingekreist, sie drücken ihre Bajonette an sämtliche Stelle seines Körpers und zischen: Wenn du ein Wort sagst, bist du ein toter Mann. D’Assas zögert nicht. Er dreht sich um und ruft seinem im Dunkeln verborgenen Trupp zu: Auvergne: schießt! Wir sind vom Feind umzingelt.

      Ritter d’Assas stirbt von unzähligen Bajonetten durchbohrt, aber sein Regiment ist gerettet. Ist das nicht ein furchtloser, verehrenswürdiger Mann, liebes Kind? Solche Männer brauchen wir heute. Wagemutige Männer und nicht solche, die sich hinter Rockschößen verbergen oder Hirsche jagen wie unser König.“ Seine Brauen formten gezackte, schwarze Dreiecke unter denen seine Augen fiebrig glühten. Philippine bekam eine Gänsehaut. Gott sei Dank war der Unterricht zu Ende. Sie durfte aufstehen. Als sie zur Tür ging, rief er:

      „Ach, und dass ich es nicht vergesse! Du sollstest deinen Fuß begutachten


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