Penelope von der Polyantha. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
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Der Decksteward mußte sich geirrt haben. Penelope sagte sich das tausendmal auf der Fahrt zwischen Liverpool und London. Es war doch zu absurd und lächerlich, daß dieser liebenswürdige, nette Herr der Boss einer gemeinen Verbrecherbande sein sollte, die unglückliche Opfer ausplünderte. Mr. Beddle hatte sich ganz bestimmt getäuscht. Mr. Dorbans Gesichtszüge waren nicht besonders charakteristisch, und man konnte ihn leicht verwechseln. Wozu sollte ein Falschspieler auch eine Sekretärin engagieren? Und warum sollte er zurückgezogen in einem Dorf in Devonshire leben? Sie wußte doch, daß Mr. Dorban eine große Erbschaft in Aussicht hatte. Außerdem hatte er so viel zu tun, daß er eine Sekretärin brauchte.
Mr. Dorban und seine Frau hatten sich ziemlich nachlässig und gleichgültig begrüßt. Keiner der beiden schien über das Wiedersehen besondere Freude zu fühlen.
Mr. Dorban hatte in der Bahn ein ganzes Abteil reservieren lassen, so daß sie allein blieben. Penelope wunderte sich, warum sie nicht in den Gang hinausgehen durfte. Sie hätte die beiden gern allein gelassen, damit sie sich nach so langer Trennung ungestört unterhalten konnten, aber sobald sie ihre Absicht andeutete, wurde sie von Cynthia zurückgehalten.
Mr. Dorban war ein interessanter Gesellschafter. Penelope schien es, als ob er die ganze Zeit von Abgang des Zuges bis nach London erzählte. Er sprach mit einer klangvollen, angenehmen Stimme und war sehr unterhaltend.
Er hatte braune Augen, und im allgemeinen liebte Penelope Männer mit braunen Augen nicht. Aber Mr. Arthur Dorban gefiel ihr trotzdem ganz gut. Sie fühlte sich eigentlich mehr zu ihm als zu Cynthia hingezogen. Kanada kannte er freilich nur oberflächlich.
»Ich bin einmal dort gewesen, als ich noch jung war«, sagte er. »Aber ich liebe Seereisen nicht. Ich will lieber freiwillig zehntausend Pfund zahlen als eine Reise über den Atlantischen Ozean machen.«
»Sind Sie früher häufig in Amerika gewesen?« fragte Penelope neugierig.
»Ich habe den Atlantik zweimal überquert«, entgegnete er vergnügt lächelnd. »Ich mußte das zweimal tun, weil ich sonst nicht nach England zurückgekommen wäre, Miss Pitt!«
Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Londoner Hotel, Mrs. Dorban nahm ein Auto und fuhr mit Penelope durch den Hyde Park. Das Mädchen war erstaunt und erfreut. Sie hatte sich London immer als einen Haufen niedriger, schmutziger Ziegelhäuser vorgestellt. Der Park machte einen großen Eindruck auf sie. Hinter dem dunklen Grün der Bäume tauchten die Türme und hohen Gebäude der Stadt auf. Sie war begeistert von dem Anblick der herrlichen Blumenbeete und des silberhellen Wassers.
Am nächsten Morgen fuhren sie mit dem Frühzug nach Torquay und erreichten spät am Mittag Borcombe.
Stone House, der Wohnsitz der Dorbans, lag nach der See zu in einer Talmulde der mit Grün bestandenen Dünen. Das Haus war ziemlich unregelmäßig gebaut. Oben von den roten Steinklippen aus konnte man es nicht sehen, und unten war es nach der Küste zu hinter einer Reihe von Ahornbäumen halb verborgen. Es war Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einem Mann errichtet worden, der sich völlig von der Welt zurückgezogen und nur noch seinen Liebhabereien gelebt hatte.
Ein ziemlich steiler, enger Weg führte von den Klippen abwärts zu dem Gebäude. Seine schwere Zugänglichkeit war schon seit Generationen allen Handelsleuten ein Dorn im Auge.
Penelope erschien dieses Anwesen wie ein Paradies. Auf abschüssigem Gelände zog sich der Garten hin, in dem farbenprächtige Blumen wild wuchsen oder vom Gärtner gezogen wurden. Unten bildete eine Ziegelmauer die Grenze. Durch ein altes Tor kam man von hier aus auf einem Privatweg – es war eigentlich weniger ein Weg als eine Reihe von Steinstufen, die auf einer breiten Felsplatte endeten – zu dem Schuppen, in dem Mr. Dorbans starkes Motorboot untergebracht war. Die Natur hatte hier eine ideale Anlegestelle geschaffen, denn das Bootshaus, dessen Dach von zwei Felsen getragen wurde, lag an der innersten Stelle einer kleinen Bucht und wurde bei stürmischer See durch zwei Felsenriffe geschützt, die ziemlich weit vorsprangen und einen natürlichen Hafen bildeten.
»Entzückend, nicht wahr?« fragte Cynthia gleichgültig. Sie schien sich kaum für solche Dinge zu begeistern oder auch nur zu interessieren, sie war vollkommen auf die praktische Seite des Lebens eingestellt. »Es ist ein langer Weg bis zum Dorf, aber wir haben ein Auto, damit wir nicht hinaufklettern müssen. Können sie eigentlich selbst fahren?«
Penelope nickte.
»Schön. Und jetzt sehen Sie sich Ihr Zimmer an.«
Cynthia führte sie eine breite Treppe empor, dann durch einen langen, dunklen Gang, an dessen Ende das Zimmer lag. Es war klein und einfach eingerichtet, aber es hatte zwei Fenster, durch die man auf die smaragdgrüne See und die dunkelroten Klippen blicken konnte.
Penelope atmete tief ein, als sie diese Schönheit sah.
»Gefällt es Ihnen?« fragte Cynthia und beobachtete sie genau.
»Es ist herrlich!«
Mrs. Dorban lachte kurz auf. »Für mich ist es die Hölle«, sagte sie.
Die Tage vergingen erstaunlich schnell. Penelope fand viel mehr Arbeit vor, als sie zuerst erwartet hatte. Ein Zimmer im Erdgeschoß war als Arbeitszimmer eingerichtet, und gewöhnlich ließ man sie dort allein.
Nach dem Frühstück, das sie in dem dunkelgetäfelten Speisezimmer einnahm, ging sie in das Arbeitszimmer und war dann bis zur Mittagszeit dauernd mit Pachtverträgen und anderen Dokumenten beschäftigt, die sich auf Güter in den verschiedenen Teilen des Landes bezogen.
Es waren keine Originale, sondern beglaubigte Abschriften, die offenbar von einem Londoner Rechtsanwalt beschafft worden waren. Penelope war damit betraut worden, den ungefähren Wert der Liegenschaften und Güter festzustellen. Um ihr diese Aufgabe zu erleichtern, standen unzählige Verkaufskataloge, Auktionsberichte und Statistiken über Landverkäufe zu ihrer Verfügung.
»Natürlich kann ich nicht von Ihnen verlangen, daß Sie den genauen Wert jeder Besitzung ausrechnen«, erklärte Mr. Dorban am ersten Morgen, als sie ihre Arbeit begann. »Es ist verteufelt schwer, ihn auch nur annähernd festzustellen. Aber die Preise sind in England ziemlich gleich, und der Wert eines Gutes in Norfolk entspricht ungefähr dem eines andern von derselben Größe.«
Zu ihrer weiteren Unterstützung erhielt sie noch den Anzeigenteil der Times und anderer Zeitungen, wenn da von Landverkäufen die Rede war. Aber die übrigen Seiten der Zeitungen bekam sie während ihres ganzen Aufenthaltes in Stone House nicht zu sehen.
Sie fand es ein wenig schwierig, Cynthias Angabe, daß ihr Mann Forscher sei, mit den Tatsachen in Einklang zu bringen. Im ganzen Haus entdeckte sie keine zwanzig Bücher. Cynthia war zwar bei einer Leihbibliothek abonniert, und stets wurden die neuesten Bücher geschickt. Aber weder Cynthia noch ihr Mann nahmen je Gelegenheit, hineinzuschauen. Schließlich nahm Penelope an, daß man nur ihr damit eine Unterhaltung verschaffen wollte, und mit dieser Vermutung hatte sie auch recht.
Mit den Dienstboten sprach Penelope niemals, denn sie verstand sie nicht. Alle Angestellten, mit Ausnahme des Gärtners, waren Franzosen, und Penelopes Kenntnisse in dieser Sprache waren gering.
Nachmittags und abends hatte sie frei und konnte tun, was sie wollte. Das stimmte allerdings nicht ganz, denn sie durfte niemals allein zum Dorf gehen. Cynthia oder Mr. Dorban begleiteten sie stets dorthin. Manchmal fuhr sie auch in seinem Wagen in der Gegend spazieren, und manchmal machten die drei eine Fahrt mit dem Motorboot, der ›Princess‹. Aber Penelope hatte das unangenehme Gefühl, stets bewacht zu werden, und dagegen lehnte sie sich auf.
Eines Tages trat eine neue, vielleicht unvermeidliche Verwicklung ein.
Cynthia war nach London gefahren, um einige Besorgungen zu machen. Penelope arbeitete in ihrem Raum, als Mr. Dorban hereinkam. Er war wie gewöhnlich tadellos gekleidet.
»Lassen Sie doch diese verrückten Dinge und kommen Sie mit zum Fischfang hinaus«, sagte er.
Penelope zögerte. Seine Haltung ihr gegenüber war stets einwandfrei und korrekt gewesen. Sie suchte sich zu entschuldigen, aber er ließ