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Weihnachtserzählungen - 308 Seiten. Charles DickensЧитать онлайн книгу.

Weihnachtserzählungen - 308 Seiten - Charles Dickens


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in dieser

       selben Stadt Lancaster, in der ich mich erst zwei Abende lang

       aufhielt, diesen selben Fremden zweimal in der Nähe meiner

       Wagen beobachtet hatte.

       Das versetzte mich in Unruhe. Was es im einzelnen zu bedeuten

       hatte, das ahnte ich ebensowenig, wie ihr es jetzt ahnen könnt,

       aber es machte mir Sorgen. Trotzdem tat ich Pickleson

       gegenüber so, als wäre die Sache nicht ernst zu nehmen, und ich

       verabschiedete mich von ihm mit dem Rat, sein Vermächtnis zur

       Kräftigung seiner Gesundheit zu verwenden und sich seine

       Religion nach wie vor nicht nehmen zu lassen. Gegen Morgen

       hielt ich nach dem Fremden Ausschau, und – was mehr war –

       ich sah ihn. Er war ein gutgekleideter, hübscher junger Mensch.

       Er ging ganz nahe bei meinen Wagen hin und her, so als ob er sie

       bewachte, und kurz nachdem es Tag geworden war, drehte er

       sich um und ging davon. Ich rief hinter ihm her, aber er fuhr

       weder zusammen noch drehte er sich um und nahm auch nicht

       die geringste Notiz davon.

       Etwa ein oder zwei Stunden später verließen wir Lancaster, um

       nach Carlisle zu fahren. Am nächsten Morgen gegen

       Tagesanbruch hielt ich wieder nach dem fremden jungen Mann

       Ausschau. Ich bekam ihn nicht zu sehen. Aber am folgenden

       Morgen 24

       paßte ich abermals auf, und diesmal war er wieder da. Ich rief

       wiederum hinter ihm her, aber, wie das erstemal, gab er nicht das

       geringste Zeichen, daß er irgendwie betroffen war. Das brachte

       mich auf einen Gedanken. Ich folgte meinem Einfall und

       beobachtete ihn in verschiedener Weise und zu verschiedenen

       Zeiten – die Einzelheiten tun nichts zur Sache –, bis ich

       herausfand, daß dieser fremde junge Mann taubstumm war.

       Diese Entdeckung brachte mich ganz aus dem Häuschen. Ich

       wußte, daß in einem Teil der Anstalt, wo sie gewesen war, junge

       Männer untergebracht waren (einige darunter in guten

       Verhältnissen), und ich dachte mir: »Wenn sie ihn vorzieht, wo

       bleibe dann ich? Und wo bleibt alles, wofür ich Pläne gemacht

       und gearbeitet habe?«

       In der Hoffnung – ich muß gestehen, daß ich so selbstsüchtig war

       –, daß sie ihn nicht vorzöge, machte ich mich daran, die

       Wahrheit herauszufinden. Schließlich wurde ich zufällig Zeuge

       einer Zusammenkunft zwischen ihnen. Es war im Freien, und ich

       stand hinter einer Fichte verborgen, ohne daß sie von meiner

       Anwesenheit etwas ahnten. Es war ein rührendes

       Zusammentreffen für uns alle drei. Ich verstand jede Silbe, die

       zwischen ihnen gewechselt wurde, ebensogut wie sie selbst. Ich

       belauschte sie mit meinen Augen, die es gelernt hatten, eine

       Taubstummenunterhaltung ebenso rasch und sicher aufzufassen,

       wie meine Ohren gesprochene Worte verstanden. Er war im

       Begriff, als kaufmännischer Angestellter nach China zu gehen zu

       Begriff, als kaufmännischer Angestellter nach China zu gehen zu

       einer Firma, wo früher sein Vater beschäftigt gewesen war. Sein

       Einkommen erlaubte es ihm, eine Frau zu ernähren, und er

       wollte, daß sie ihn heiraten und mit ihm gehen sollte. Sie sagte

       hartnäckig nein. Er fragte sie, ob sie ihn nicht liebe. Doch, sie

       liebe ihn von ganzem Herzen, aber sie könnte niemals ihrem

       geliebten, guten, edlen, großmütigen und ich weiß nicht was noch

       alles Vater (damit meinte sie mich, den fahrenden Hausierer in

       der Ärmelweste) die Enttäuschung bereiten, ihn zu verlassen, und

       sie wolle bei ihm bleiben, der Himmel segne ihn!, und wenn ihr

       das Herz darüber bräche.

       Hier fing sie bitterlich zu weinen an, und damit war mein

       Entschluß gefaßt.

       Solange ich mir über ihre Gefühle zu diesem jungen Mann im

       unklaren gewesen war, hatte ich eine so unvernünftige Wut auf

       Pickleson gehabt, daß es gut für ihn war, sein Vermächtnis gleich

       ausgezahlt gekriegt zu haben. Denn ich hatte oft gedacht:

       »Wenn dieser schwachköpfige Riese nicht gewesen wäre, so

       wäre es vielleicht nie dazu gekommen, daß ich mir wegen dieses

       jungen Mannes den Kopf zerbreche und die Seele aus dem Leib

       ärgere.« Aber, sobald ich einmal wußte, daß sie ihn liebte –

       sobald ich gesehen hatte, wie sie Tränen um ihn vergoß – da war

       es eine ganz andere Sache. Ich bat Pickleson auf der Stelle im

       Geiste alles ab, und nahm mich zusammen, um allen gegenüber

       Geiste alles ab, und nahm mich zusammen, um allen gegenüber

       das Rechte zu tun.

       Inzwischen hatte sie den jungen Mann verlassen (denn es dauerte

       einige Minuten, bevor ich mich gänzlich zusammengenommen

       hatte), und er stand gegen eine andere Fichte gelehnt und hatte

       das Gesicht auf den Arm gepreßt. Ich berührte ihn am Rücken.

       Er blickte auf, und als er mich wahrnahm, sagte er in der

       Taubstummensprache: »Seid nicht böse.«

       »Ich bin nicht böse, guter Junge. Ich bin Euer Freund. Kommt

       mit mir.«

       Ich ließ ihn an den Stufen des Bibliothekswagens stehen und ging

       allein hinauf. Sie wischte sich die Augen.

       25

       »Du hast geweint, mein Kind.«

       »Ja, Vater.«

       »Weshalb?«

       »Mir tut der Kopf weh.«

       »Nicht das Herz?«

       »Ich sagte der Kopf, Vater.«

       »Doktor Marigold muß für diesen Kopfschmerz ein Rezept

       ausstellen.«

       Sie nahm das Buch mit meinen »Rezepten« auf und hielt es mit

       einem gezwungenen Lächeln in die Höhe. Da sie mich aber so

       ernst und ruhig sah, legte sie es sacht wieder hin, und ihre Augen

       blickten mich mit größter Aufmerksamkeit an.

       »Das Rezept ist nicht da drin, Sophy.«

       »Wo ist es denn?«

       »Hier, mein Kind.«

       Ich führte ihren jungen Gatten herein, und ich legte ihre Hand in

       die seine, und die einzigen Worte, die ich noch an die beiden

       richten konnte, lauteten:

      


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