Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf SteinerЧитать онлайн книгу.
der Welt anzuerkennen: die eine, welcher die Ausdehnung eigen ist, und die andere, welcher das Denken eigen ist und in der die Menschenseele wurzelt. Die Tiere, welche im Sinne des Descartes nicht in innerer, auf sich gestützter Tätigkeit sich erfassen können, sind demnach bloße Wesen der Ausdehnung, Automaten, Maschinen. Auch der menschliche Leib ist eine bloße Maschine. Die Seele ist mit dieser Maschine verbunden. Wird der Leib durch Abnutzung und dergleichen unbrauchbar, so verlässt ihn die Seele, um in ihrem Element weiter zu leben.
Descartes steht schon in einer Zeit, in welcher ein neuer Impuls im Weltanschauungsleben sich erkennen lässt. Die Epoche vom Beginn der christlichen Zeitrechnung bis ungefähr zu Scotus Erigena verläuft in der Art, dass das Gedankenerleben von einer Kraft durchpulst ist, welche wie ein mächtiger Anstoß in die Geistesentwicklung hereintritt. Der in Griechenland erwachte Gedanke wird von dieser Kraft überleuchtet. Im äußeren Fortgang des menschlichen Seelenlebens drückt sich das in den religiösen Bewegungen und dadurch aus, dass die jungen Volkskräfte West- und Mitteleuropas die Wirkungen des älteren Gedankenerlebens aufnehmen. Sie durchdringen dieses Erleben mit jüngeren elementareren Impulsen und bilden es dadurch um. Es zeigt sich darin einer der Fortschritte der Menschheit, welche dadurch bewirkt werden, dass ältere vergeistigte Strömungen der Geistesentwicklung, die ihre Lebenskraft, nicht aber ihre Geisteskraft erschöpft haben, fortgesetzt werden von jungen Kräften, die aus der Natur des Menschentums auftauchen. Man wird in solchen Vorgängen die wesentlichen Gesetze der Menschheitsentwicklung erkennen dürfen. Sie beruhen auf Verjüngungsprozessen des geistigen Lebens.
Die errungenen Geisteskräfte können sich nur weiter entfalten, wenn sie in junge natürliche Menschheitskräfte eingepflanzt werden. Die ersten acht Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung stellen ein Fortwirken des Gedankenerlebens in der Menschenseele so dar, dass wie in einem tief Verborgenen das Heraufkommen neuer Kräfte noch ruht, die bildend auf die Weltanschauungsentwicklung wirken wollen. In Descartes zeigen sich diese Kräfte bereits in einem hohen Grade wirksam. In dem Zeitalter zwischen Scotus Erigena und (ungefähr) dem fünfzehnten Jahrhundert dringt der Gedanke in seiner Eigenkraft wieder hervor, die er in der vorangehenden Epoche nicht offenbar entfaltet hat. Doch tritt er von einer ganz anderen Seite hervor als im griechischen Zeitalter. Bei den griechischen Denkern wird er als Wahrnehmung erlebt; vom achten bis zum fünfzehnten Jahrhundert kommt er aus den Tiefen der Seele herauf; der Mensch fühlt: In mir erzeugt sich der Gedanke. Bei den griechischen Denkern erzeugt sich noch unmittelbar ein Verhältnis des Gedankens zu den Naturvorgängen; in dem angedeuteten Zeitalter steht der Gedanke als Erzeugnis des Selbstbewusstseins da. Der Denker empfindet, dass er die Berechtigung des Gedankens erweisen müsse. So fühlen die Nominalisten, Realisten; so fühlt auch Thomas von Aquino, der das Gedankenerleben in der religiösen Offenbarung verankert.
Das fünfzehnte, sechzehnte Jahrhundert stellen einen neuen Impuls vor die Seelen hin. Langsam bereitet sich das vor, und langsam lebt es sich ein. In der menschlichen Seelenorganisation vollzieht sich eine Umwandlung. Auf dem Gebiete des Weltanschauungslebens bringt sich diese Umwandlung dadurch zum Ausdrucke, dass der Gedanke nun nicht als Wahrnehmung empfunden werden kann, sondern als Erzeugnis des Selbstbewusstseins. Es ist diese Umwandlung in der menschlichen Seelenorganisation auf allen Gebieten der Menschheitsentwicklung zu beobachten. In der Renaissance der Kunst und Wissenschaft und des europäischen Lebens, sowie in den reformatorischen Religionsbewegungen tritt sie zutage. Man wird sie finden können, wenn man die Kunst Dantes und Shakespeares nach ihren Untergründen in der menschlichen Seelenentwicklung erforscht. Hier kann dies alles nur angedeutet werden; denn diese Ausführungen wollen innerhalb des Fortganges der gedanklichen Weltanschauungsentwicklung bleiben.
Wie ein anderes Symptom dieser Umwandlung der menschlichen Seelenorganisation erscheint das Heraufkommen der neueren naturwissenschaftlichen Vorstellungsart. Man vergleiche doch den Zustand des Denkens über die Natur, wie er durch Kopernikus, Galilei, Kepler entsteht, mit dem, was vorangegangen ist. Dieser naturwissenschaftlichen Vorstellung entspricht die Stimmung der Menschenseele im Beginne des neueren Zeitalters im sechzehnten Jahrhundert. Die Natur wird von jetzt an so angesehen, dass die Sinnesbeobachtung über sie zum alleinigen Zeugen gemacht wird. Bacon ist die eine, Galilei die andere Persönlichkeit, in denen dies deutlich zutage tritt. Das Naturbild soll nicht mehr so gemalt werden, dass in demselben der Gedanke als von der Natur geoffenbarte Macht empfunden wird. Aus dem Naturbilde verschwindet allmählich immer mehr, was nur als ein Erzeugnis des Selbstbewusstseins empfunden wird. So stehen sich die Schöpfungen des Selbstbewusstseins und die Naturbeobachtung immer schroffer, immer mehr durch einen Abgrund getrennt gegenüber. Mit Descartes kündigt sich die Umwandlung der Seelenorganisation an, welche das Naturbild und die Schöpfungen des Selbstbewusstseins auseinanderzieht. Vom sechzehnten Jahrhundert ab beginnt ein neuer Charakter im Weltanschauungsleben sich geltend zu machen. Nachdem in den vorangegangenen Jahrhunderten der Gedanke so auftrat, dass er als Erzeugnis des Selbstbewusstseins seine Rechtfertigung aus dem Weltbild verlangte, erweist er sich seit dem sechzehnten Jahrhundert klar und deutlich im Selbstbewusstsein auf sich allein gestellt. Er hatte vorher noch in dem Naturbilde selbst eine Stütze für seine Rechtfertigung erblicken können; nunmehr tritt an ihn die Aufgabe heran, aus seiner eigenen Kraft heraus sich Gültigkeit zu schaffen. Die Denker der nun folgenden Zeit empfinden, wie in dem Gedankenerleben selbst etwas gesucht werden müsse, das dieses Erleben als berechtigten Schöpfer eines Weltanschauungsbildes erweist.
Man kann das Bedeutsame dieser Wandlung des Seelenlebens erkennen, wenn man erwägt, in welcher Art noch Naturphilosophen wie H. Cardanus (1501-1576) und Bernardinus Telesius (1508-1588) über die Naturvorgänge sprechen. In ihnen wirkt das Naturbild noch weiter, das durch die Entstehung der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart des Kopernikus, Galilei und anderer seine Kraft verliert. Für Cardanus lebt in den Naturvorgängen durchaus noch etwas, das er sich nach Art des Menschlich-Seelischen vorstellt, wie das auch im griechischen Denken möglich gewesen wäre. Telesius spricht von Gestaltungskräften in der Natur, welche er nach dem Bilde denkt, das er aus der menschlichen Gestaltungskraft gewinnt. Galilei muss bereits sagen: Das, was der Mensch zum Beispiel als Wärmeempfindung in sich hat, ist als solches in der äußeren Natur ebensowenig vorhanden, wie der Kitzel, den der Mensch an der Fußsohle empfindet, in der Außenwelt vorhanden ist, wenn er mit einer Vogelfeder berührt wird. Telesius darf noch sagen: Wärme und Kälte sind die treibenden Kräfte der Weltvorgänge; Galilei muss schon behaupten: Der Mensch kennt die Wärme als Erlebnis seines Innern nur; in dem Naturbilde kann nur gedacht werden, was nichts von diesem Innern enthält. So werden Vorstellungen der Mathematik und der Mechanik zu dem, was das Naturbild allein gestalten darf. An einer Persönlichkeit wie Leonardo da Vinci (1452-1519), der als Denker eine ebenso überragende Größe hat wie als Künstler, erkennt man das Ringen nach einer neuen Gesetzmäßigkeit des Naturbildes. Solche Geister fühlen die Notwendigkeit, zur Natur einen Weg zu finden, der dem griechischen Denken und seinen Nachwirkungen im Mittelalter noch nicht gegeben war. Der Mensch muss ablegen, was er an Erlebnissen über sein eigenes Innere hat, wenn er den Zugang zur Natur gewinnen will. Er darf die Natur nur in Vorstellungen abbilden, welche nichts von dem enthalten, was er als Wirkungen der Natur in sich selbst erlebt.
So stellt sich die Menschenseele aus der Natur heraus, sie stellt sich auf sich selbst. Solange man noch denken konnte, in der Natur ströme etwas von dem, was auch im Menschen unmittelbar erlebt wird, konnte man ohne Bedenken sich berechtigt fühlen, über Naturvorgänge den Gedanken sprechen zu lassen. Das Naturbild der neueren Zeit zwingt das menschliche Selbstbewusstsein, sich mit dem Gedanken außerhalb der Natur zu fühlen und so ihm eine Geltung zu schaffen, die er durch seine eigene Kraft gewinnt.
Vom Beginne der christlichen Zeitrechnung bis zu Scotus Erigena wirkt das Gedankenerleben so fort, dass seine Gestalt bestimmt wird durch die Voraussetzung einer geistigen Welt derjenigen der religiösen Offenbarung –; vom achten bis zum sechzehnten Jahrhundert ringt sich das Gedankenerlebnis aus dem Inneren des Selbstbewusstseins los und lässt neben seiner Keimkraft die andere der Offenbarung bestehen. Von dem sechzehnten Jahrhundert an ist es das Naturbild, welches das Gedankenerlebnis aus sich hinausdrängt; es sucht fortan das Selbstbewusstsein aus seinen eigenen Kräften dasjenige zu holen, was ein Weltanschauungsbild mit Hilfe des Gedankens gestalten kann. Vor dieser Aufgabe fand sich Descartes. Es fanden sich vor ihr die Denker der neuen Weltanschauungsepoche.
Benedict Spinoza (1632-1677) fragt sich: Wie muss dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung