Der blaurote Methusalem. Karl MayЧитать онлайн книгу.
man es für möglich halten! – seine »Oboe«, welche aber eigentlich ein Fagott war. Das Instrument war aber so überblasen, daß es nur noch quiekende Töne von sich gab, weshalb er es mit dem Namen der höher tönenden Oboe bezeichnete. Der wackere Gottfried war so unzertrennlich von der alten Pfeife, daß es ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, sich zu fragen, ob das Instrument ihm in China nützlich oder lästig sein werde. Er hatte es eben ganz selbstverständlich eingepackt, und seinem Herrn war es gar nicht eingefallen, eine Bemerkung darüber zu machen.
Hinter diesem Schild- und Pfeifenträger kam Richard Stein. Er trug die grüne Gymnasiastenmütze und war in Beziehung auf seine übrige Bekleidung das getreue Abbild des Methusalem, der ihn vor der Abreise in genau denselben »Wichs« geworfen hatte.
Als sie die Landungsbrücke überschritten hatten, wendete sich Turnerstick nach rechts, wo er das Dampfschiff vermutete, mit welchem sie nach Kanton fahren wollten. Aber der Methusalem rief ihm zu: »Halt! Wohin, Master?«
»Zum Steamer natürlich,« antwortete der Kapitän, indem er stehen blieb.
»Jetzt noch nicht. Erst muß eins getrunken werden. Wir müssen unsern Einzug feiern. In der Sahara trinkt man Wasser, nämlich wenn man welches hat; im Reiche der Mitte aber muß sich das Spundloch befinden, welches ja bei jedem Fasse in der Mitte liegt. Wollen also sehen, welchen Stoff man hier verzapft!«
»Aber wir verlieren Zeit!«
»Pah! Man verliert überall und bei allem Zeit, beim Fahren und Sitzen, beim Kneipen und Arbeiten, beim Lachen und beim Weinen. Uebrigens muß ich unbedingt unsern hiesigen Konsul aufsuchen, um mich ihm vorzustellen und mir verschiedene Auskünfte holen. Ich führe euch also nach dem Hongkonghotel, wo ihr warten könnt, bis ich zurückkehre.«
» Well! Ist mir auch recht. Aber wie kommen wir durch dieses Gedränge? Was diese Leute nur von uns wollen!«
»Was sie wollen? Ich will Ihnen mit einem schönen Studentenverse antworten und dabei nur den Namen ändern, nämlich:
›Da kommt ein Untier hergerannt.
Turnerstick wird es genannt,
Und 's steht ein Haufe Volk davor.
Wie die Kuh vor dem neuen Thor!‹«
Das Bild, welches er anwendete, war gar nicht so übel gewählt, nur daß er anstatt den Namen des Kapitäns seinen eigenen hätte nennen sollen, da man ihn, Gottfried und Richard weit mehr anstaunte als Turnerstick.
Drei so gekleidete Menschen hatte man hier noch nie gesehen. Sobald sie über die Landebrücke waren, hatten sich alle im Gesichtskreise befindlichen Männlein und Weiblein beeilt, herbei zu kommen und einen Halbkreis um sie zu bilden. Männer in allen Farben und Trachten, untermischt mit schmutzigen Kuliweibern und noch viel schmutzigeren Kindern, standen da und starrten die unerhörten Erscheinungen an. Aber ihr Staunen war ein respektvolles. Man sah, daß sie die drei Personen für ganz besondere, hochstehende Leute hielten, wozu die würdevolle Haltung derselben das meiste beitrug.
Während diese thaten, als ob sie die von ihnen erregte Aufmerksamkeit gar nicht bemerkten, erweckte dieselbe den Stolz des Kapitäns. Er war überzeugt, daß die Bewunderung vorzugsweise ihm gelte, und so kam ihm der Gedanke, sich als hohen Mandarin zu zeigen. Darum sagte er zu den andern: »Es schickt sich nicht für uns, nach dem Hotel zu gehen. Leute wie wir, mit achtzehnhundert Li um den Hals, müssen fahren oder sich wenigstens eines Palankin bedienen. Dort sehe ich Sänftenträger stehen, mieten wir sie!«
Er deutete auf eine Gruppe von Kulis, welche mit ihren Sänften in der Nähe hielten.
»Habe keine Lust,« antwortete der Methusalem. »Bin so lange auf dem Schiffe gewesen, daß ich mich ordentlich darauf freue, mir die Beine einmal vertreten zu können.«
»So fehlt es Ihnen an der standesbewußten Segelkunst. Was mich betrifft, so bin ich Generalmajor und laufe nicht.«
»Ganz wie Sie wollen, Sir. Lassen Sie sich also vorantragen! Wir folgen Ihnen zu Fuße und treffen Sie im Hotel.«
»Schön! Sie werden sich selbst die Schuld zuzuschreiben haben, wenn man Sie dann nicht mit der Hochachtung behandelt, welche uns gebührt.«
Der Methusalem antwortete nicht darauf. Er fragte einen der Kuli nach dem Hongkonghotel, und als er aus die in englischer Sprache ausgesprochen Erkundigung eine in derselben Sprache gegebene Auskunft erhalten hatte, schritten die drei mit dem Hunde in der bisherigen Reihenfolge davon.
Dabei spielte um die Lippen des Studenten ein eigenartiges Lächeln. Er war vielleicht der Ansicht, daß er zu Fuße das Hotel wohl besser erreichen werde als der Kapitän in seiner Sänfte. Und daß er sich da nicht geirrt habe, sollte er schon nach wenigen Augenblicken erkennen.
Turnerstick war nämlich zu der Gruppe der Kulis getreten und hatte zu zweien derselben, welche die hübscheste Sänfte besaßen, gesagt: »Was kosting es, mich von hier bis zum Hotelung Hongkong zu trageng?«
Sie sahen ihn verwundert an, schüttelten die Köpfe und einer antwortete: »Yes, Sir; You are in Hongkong.«
Er hatte nur das Wort Hongkong verstanden und war der Ansicht, Turnerstick wolle wissen, ob er sich in Honkong befinde. Daß er ihn Sir nannte, war ein sicheres Zeichen, daß er ihn trotz der chinesischen Kleidung nicht für einen Sohn der Mitte hielt. Das erregte den Zorn des Kapitäns; er setzte den Klemmer auf sein Vorlukennäschen, warf dem Kuli durch denselben einen möglichst impertinenten Blick zu und sagte: »Ich muß mir ausbitting, daß Ihr mit mir chinesisch sprechengt! Ich bin ein Mandaring der obersten Klassong und habe keine Lust, fremde Dialekting zu duldung! Also was habe ich von hier bis ins Hotel zu zahleng?«
»Hotel?« fragte der Kuli, welcher jetzt dieses eine Wort verstanden hatte.
»Ja, Hotel Hongkong.«
»Ah, we shall to bear to Hongkong-Hotel?«
»Ja, dorthing will ich getrageng seiang. Wieviel habeng ich dafür zu bezahlong?«
Da er bei dem »Ja« zustimmend nickte, so wurde er verstanden. Bei seiner letzten Frage machte er die Pantomime des Geldzählens, welche in aller Herren Länder ganz dieselbe ist. Darum wußte der Kuli, was er meine, und antwortete: »Fifteen Fen or Candarins.«
»Fünfzehn Fen sind hundertfünfzig Li, also eine ganze Mark; das ist zu viel!« brummte der Kapitän vor sich hin. Und laut setzte er hinzu: »So viel zu bezahling kann mir nicht einfalleng. Ich bin chinesischer Mandaring und lasse mich von keinem Kuli überteuerong. Ihr sollt hundert Li bekommung, aber keinen Pfennig mehr!«
Er knüpfte eine der Schnüre auf, zählte hundert Li ab und gab sie dem einen der Kuli. Dieser zählte nach, schüttelte den Kopf und sagt: »Hundred-fifty Li, not hundred!«
»Ich gebe hundert; dabei hat's zu bleibing,« beharrte Turnerstick.
Der Kuli sah aus der Miene des Kapitäns, was dieser meinte, und entgegnete: »Sir, do You are a miser, a niggard, a churl?«
»Was, ich solling ein Geizhals seiung? Ein Knicker? Das ist stark! Das ist im höchsteng Grade beleidigingd! Gebt mir mein Geld zurück! Ich werde mich von andern trageng lassung!«
Er rief das so laut und zornig, daß die zahlreichen Zuschauer sich in Erwartung einer Scene näher herandrängten. Die beiden Kulis wechselten einige halblaute chinesische Sätze, musterten Turnerstick noch einmal und zwar genauer als vorher, und wollten ihm dann Bescheid sagen. Er aber kam ihnen zuvor, indem er, um ihnen zu imponieren, seinen riesigen Fächer öffnete, und, auf die goldenen Zeichen deutend, sie anherrschte: »Solltet ihr mir nicht anseheng, wer ich eigentlich bing, so lest hier meine Visitingkartong! Turningsticking, kuongan ta-fu-tsiang! Ich bing Generalmajoring! Verstanding? Euch soll der Teufling holang, wenn ihr nicht pariereng wollt! Ihr tragt mich für hundert Li, sonst werde ich euch bei den Ohreng nehmang!«
Um dieser seiner Drohung Nachdruck zu geben, faßte er den Kuli beim Ohre und schüttelte ihn. Die Umstehenden ließen ein Gemurmel des Unwillens hören. Der Kuli aber beruhigte sie mit einigen chinesischen Worten, welche Turnerstick nicht verstand, und sagte unter