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Diamantentropfen. Manfred QuiringЧитать онлайн книгу.

Diamantentropfen - Manfred Quiring


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Borja später an diese Fahrt nach Moskau zurückdachte, war er jedes Mal aufs Neue verwundert, dass er sie überlebt hatte, dass er nicht irgendwo zwischen Torschok und Podmoskowje sein Leben in einem Haufen teuren Blechs ausgehaucht hatte. Denn Sascha, davon war Borja schon nach den ersten Kilometern überzeugt, war einfach verrückt. Er trieb die deutsche Maschine mit irrer Lust auf Höchstgeschwindigkeiten. Er überholte immer und überall, selbst dort, wo auch der Leichtsinnigste wenigstens kurzzeitig vom Gas gegangen wäre. Unübersichtliche Kurven, Anstiege? Sascha tat, als existierten sie nicht. Lässig steuerte er auf der Gegenfahrbahn auf die entgegenkommenden LKW zu, um in allerletzter Sekunde doch noch eine Lücke in der Fahrzeugschlange auf der rechten Fahrbahnseite zu finden.

      Borja saß verkrampft im ergonomisch geformten Schalensessel, suchte mit verschwitzten Händen irgendwo Halt. Er fühlte sich wie ein Frosch im Fußball. Nur nicht so sicher. Dezente Hinweise darauf, er habe es nicht gar so eilig, nach Moskau und in den Himmel zu kommen, beantwortete Sascha mit der Bemerkung, „mach dir keine Sorgen, alles wird gut“. Und gab Gas.

      „Mir kann überhaupt nichts passieren“, plauderte der Fahrer munter vor sich hin. „Das heißt vielmehr, mir kann nur dann etwas passieren, wenn Gott das so will. Doch dann kann ich eh nichts machen, dann ist das Sein höherer Ratschluss.“ Mit der rechten Hand deutete er auf ein goldenes Kreuzchen, das mit bunten Steinen besetzt war und am Rückspiegel hing. Auch eine Ikone schmückte das Cockpit. Aber er wisse sehr genau, dass seine Zeit, die Gott ihm zugemessen habe, noch nicht abgelaufen sei. Woher? „Vor ein paar Tagen bin ich mit meinem Wagen mit 160 km/h frontal gegen eine Mauer geknallt. Natürlich Totalschaden, musste mir einen neuen Wagen besorgen. Aber mir ist nichts passiert! Da wusste ich – du bist ganz in Gottes Hand, was auch immer du tun magst. Das gibt mir Vertrauen“, versicherte Sascha, wobei er einen alten Wolga-Pkw seitlich fast die Böschung hinunter drückte.

      Ob es nicht angezeigt wäre, Gott ein wenig dabei zu unterstützen, ihn am Leben zu erhalten, wandte Borja vorsichtig ein. Beispielsweise, indem er, Sascha, einen Sicherheitsgurt anlegte? Oder nicht mehr so dreist gegen jede auch noch so sinnvolle Verkehrsregel verstieß? Der wilde Fahrer, der gerade ein entgegenkommendes Fahrzeug per Lichthupe auf den Sommerweg getrieben hatte, reagierte geradezu entsetzt. Das sei doch ein Frevel, geradezu eine Gottlosigkeit. „Wer sind wir denn, dass wir glauben, mit einem banalen Riemen ins Räderwerk des allmächtigen Schöpfers hineinpfuschen zu können? Er alleine entscheidet alles!“

      Borja war beeindruckt von der religiösen Logik, aber nicht ganz überzeugt. Was wäre, wenn Gott mit ihm, Borja, etwas anderes vorhabe? Vorausgesetzt, Er würde überhaupt einen Gedanken an zwei unbedeutende Figuren auf der Fernverkehrsstraße nach Moskau verschwenden?

      „Vielleicht soll ich heute auf dieser Straße heute sterben, in deinem Wagen? Wer weiß schon, was der da oben in seinem unergründlichen Ratschluss plant? Dann wärst Du einfach ein Kollateralschaden“, grinste Borja.

      Das hätte er nicht sagen sollen. Sascha, von diesem unerwarteten Aspekt heftig geschockt, hielt mit quietschenden Reifen an, warf den Anhalter raus und verschwand im Abendrot. Borja, den Rucksack in der Hand, schaute nachdenklich auf eine Werbetafel auf der anderen Seite der Straße, die hier in der Nähe der Metropole sechsspurig ausgebaut war. Der Moscow Country Club empfahl sich mit Annehmlichkeiten wie Golfplatz, Innenpool, Fitnessstudio, Sauna und Dampfbad. Das überschritt seine finanziellen Möglichkeiten bei Weitem, ein anderes Beförderungsmittel musste her. Nach Moskau waren es noch 29 Kilometer.

      Kapitel 3 - Schurik erforscht die menschliche Reproduktion

      Schurik brannten die Augen. Müde strich er sich über das Gesicht. Auch diese Versuchsreihe hatte nicht das erhoffte Ergebnis gebracht. Gestern der 384., heute der 385. Und 386. Test und morgen…, morgen war Sonnabend und kein Ende abzusehen. Den Luxus eines freien Wochenendes konnte er sich eigentlich nicht leisten. „Arbeiten, arbeiten, arbeiten“, hatte ihm Walentin Gennadjewitsch gönnerhaft empfohlen, als er in einer Institutssitzung angelegentlich von den Mühen der Ebene zwischen Pipetten, Mikroskopen und Petrischalen berichtet hatte.

      „Der wissenschaftliche Erfolg besteht zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration.“ Der Alte war sich wirklich für keinen Spruch zu schade, egal, ob er nun von Lenin oder von Einstein stammte. Als ob er je bei der Arbeit geschwitzt hätte! Transpiration kannte der doch nur als Folge des Beischlafs mit jungen Studentinnen, fauchte Schurik vor sich hin. Voller Neid über die willigen, karrieregeilen Mädchen im Dunstkreis des Direktors, die für ihn, Schurik, unerreichbar blieben. Aber auch über die Leichtigkeit, mit der Walentin Gennadjewitsch Klobow, genannt „der Bulle“, an die Spitze des renommierten Instituts für menschliche Reproduktion gelangt war.

      In Festtagsreden verwiesen die Laudatoren gerne auf die „Dynastie“ der Klobows, wo wissenschaftliches Genie von Generation zu Generation weitervererbt worden sei. Von wegen Genie! Schurik spülte verdrossen das Ergebnis seines 385. Fehlversuchs in den Ausguss. Das mochte auf Nikita Maximowitsch Klobow, den Großvater des Bullen, noch zutreffen. Der hatte sich tatsächlich um Genetik, Vererbungslehre, aber auch ganz praktisch um Probleme von Zeugung und Schwangerschaft verdient gemacht. Doch das war lange, sehr lange her. Der alte Klobow hatte schon geforscht, als der Scharlatan Trofim Lyssenko noch sein falsches Spiel trieb. Es war Lyssenko, der Stalin den Vorwand dafür lieferte, die Genetik gewissermaßen in die Verbannung zu schicken. Für Jahrzehnte.

      Immerhin, sinnierte Schurik, war der alte Klobow taktisch geschickt gewesen. Mit Rückendeckung einiger hochrangiger Vertreter der Mächtigen wandelte er sein Genetik-Institut, scheinbar dem Zug der Zeit folgend, in eine Einrichtung zur Erforschung der menschlichen Fortpflanzung um. Worte sind geschmeidig, Papier ist geduldig. Das kam gut an, der Diktator brauchte Soldaten. Dass sich Klobow I. in seinem kleinen Privatlabor auch mit Genetik beschäftigte, fiel dabei nicht weiter auf.

      Mit zunehmendem Alter muss bei ihm dann wohl die genetische Disposition zum Schutz der eigenen Sippe über den Hang zur Wissenschaft gesiegt haben. In einem Anfall von Schwäche, anders konnte es sich Schurik nicht erklären, bewog Nikita Maximowitsch die Verantwortlichen in Staat und Partei, seinen wissenschaftlich nur mäßig fähigen Sohn Gennadi Nikititsch zu seinem Nachfolger zu ernennen.

      Und nun die dritte Generation. Eine totale Katastrophe. Der einzige Beitrag des jetzt herrschenden Bullen bestand in einer weiteren Umbenennung: allrussisches Wissenschafts-Zentrum zur Reproduktionsforschung hieß die Einrichtung jetzt.

      Und er, Schurik, gehörte zu den Opfern. Als bester Absolvent seines Jahrgangs hatte ihn der Bulle geholt, um das zu bewerkstelligen, was er selbst nicht konnte, was die Geldgeber in der Regierung aber erwarteten. Er sollte die russischen Frauen fruchtbarer, die Männer zeugungsfähiger machen und das russische Volk vor dem Aussterben bewahren. Den Herren und Damen Politiker schwebte so etwas wie eine Fruchtbarkeitspille für die Frau vor, für die Männer ein russisches Pendent zu Viagra, nur viel besser. Diese Kombination schien ihnen die Lösung für das Bevölkerungsproblem zu sein. Schurik grinste leise. Es war erstaunlich, wie heutzutage Leute in die Politik gelangten, deren Intelligenzquotient kaum über dem eines dressierten Affen lag.

      Das alles wäre noch irgendwie zu ertragen gewesen, wenn die Aussichten gestimmt hätten. Man konnte es sich mit den Dotationen aus dem Staatsetat durchaus auf lange Sicht gut gehen lassen. Mangelnde Erfolge ließen sich bestens hinter einer wissenschaftlichen Terminologie verbergen, die die Geldgeber nicht verstanden. Solange man mit ihnen auf gutem Fuße stand, war der Zufluss der Finanzen gesichert.

      Doch die Aussicht, eines schönen Tages den Bullen zu beerben und die Leitung des Zentrums zu übernehmen, hatte sich jäh zerschlagen. Schurik stöhnte auf. „Dummes Weib“, grollte er lautstark durch das menschenleere Labor. Ira, die einzige legitime Tochter des Bullen und Garantin für seine, Schuriks Familienanbindung, hatte ihm den Laufpass gegeben.

      Seit einer Woche zog sie mit einem Milliardärssohn durch die Moskauer Clubs und Bars, ließ sich von ihm in einem silberfarbenen Mercedes-Jeep durch die Stadt kutschieren. Und da dieser Sergej Smirnow kürzlich, wenn auch mit mäßigem Erfolg, noch ein Medizinstudium absolviert hatte, war nun er der heiße Anwärter auf den Posten des Institutschefs. Ira, Papas Liebling, würde schon dafür sorgen. Wenn Smirnow


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