Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten. Frank RehfeldЧитать онлайн книгу.
Erste, was Miranya bei ihrem Aufwachen wahrnahm, waren die schlimmsten Kopfschmerzen, die sie je in ihrem Leben verspürt hatte. Sie wusste nicht, wo sie sich befand und was geschehen war, nicht einmal, wer sie war. Der Schmerz lähmte ihr gesamtes Denken, und als sie eine unvorsichtige leichte Bewegung machte, beschränkte er sich nicht länger nur auf ihren Kopf, sondern breitete sich wie flüssiges Feuer in ihrem ganzen Körper aus, als ob jeder einzelne Nerv in Flammen stünde. Sie konnte nicht einmal schreien. Nur ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, und sie wünschte sich, wieder in die sanfte, schmerzfreie Schwärze der Bewusstlosigkeit zurücksinken zu können, doch auch das gelang ihr nicht.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Schmerz so weit nachließ, dass sich zumindest ihre Gedanken wieder ein wenig klärten. Irgendetwas stimmte nicht, soviel wurde ihr bewusst. Ihr Erwachen unter diesen Umständen war nicht normal; etwas musste vorher passiert sein. Langsam, wie ein dünnes Rinnsal, kehrten einige ihrer Erinnerungen zurück. Vage erinnerte sie sich an die Reise, die sie mit Maziroc und einigen anderen Begleitern unternommen hatte, und an die Zwerge, die sich ihnen nach dem Überfall durch die Hornmänner als Begleitschutz angeschlossen hatten. Das Bild einer Stadt tauchte vor ihr auf: Therion. Zusammen mit ihren Begleitern war sie in einem Gasthaus eingekehrt und dann ... dann ...
Nichts.
Es war, als würden ihre gedanklichen Fühler, mit denen sie nach ihrer Erinnerung zu tasten versuchte, immer wieder gegen eine Wand prallen und daran abgleiten, so sehr sie sich auch bemühte. Verbittert wollte sie den Kopf schütteln, erinnerte sich aber gerade noch rechtzeitig daran, dass dies vermutlich sofort eine neue Welle von Schmerz auslösen würde, und verzichtete darauf.
Nach einiger Zeit waren die Qualen auf ein Maß herabgesunken, dass Miranya es wagte, ihre Augen zu öffnen. Die Lider waren verklebt und lösten sich nur widerwillig. Vorsichtig blinzelte sie durch winzige Schlitze hindurch, darauf gefasst, dass jeder Lichtstrahl den schrecklichen Schmerz neu anfachen würde, doch sie wurde angenehm enttäuscht. Es war fast dunkel um sie herum; lediglich durch einen Spalt in einer nicht ganz geschlossenen Tür fiel ein schwacher Lichtschein aus dem Nebenzimmer herein, der jedoch nicht einmal reichte, sie Einzelheiten ihrer Umgebung erkennen zu lassen.
Dafür bekam sie mit Nachlassen des Schmerzes allmählich ein besseres Gefühl für ihren Körper. Sie lag auf einer harten Unterlage, soviel konnte sie spüren. Nur ganz langsam und vorsichtig wagte Miranya es, sich zu bewegen. Ihre Arme befanden sich in einer unbequemen Haltung hinter ihrem Rücken. Sie versuchte sie dahinter hervorzuziehen, doch es gelang ihr nicht, da sie an den Handgelenken gefesselt war. Noch immer wusste sie nicht, wie sie hierhergekommen war, doch war sie sich nun völlig sicher, dass etwas nicht stimmte. Man hatte sie offenbar entführt, und sie glaubte nicht, dass der Schmerz nur darauf zurückzuführen war, dass man sie niedergeschlagen oder sonst wie betäubt hatte.
Miranya kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, weil in diesem Moment die Tür ganz geöffnet wurde. Das Licht kam ihr im ersten Moment grell vor, und sie musste ein paarmal blinzeln, aber es tat ihr nicht so weh, wie sie befürchtet hatte. Ein Mann trat ein, den sie gegen den hellen Hintergrund zunächst nur als Silhouette sehen konnte. Erst als er direkt neben der Pritsche stand, auf der sie lag, konnte sie sein Gesicht erkennen.
Es war Scruul.
Im gleichen Moment zerbarst die Wand in ihrem Geist wie eine Staumauer, und aus dem dünnen Rinnsal, mit dem Bilder, Namen und Geschehnisse zuvor in ihr Gedächtnis zurückgekehrt waren, wurde plötzlich ein breiter Strom, als sämtliche Erinnerungen an das, was geschehen war, mit der Wucht einer Flutwelle über sie hereinbrachen.
"Scruul!", stieß sie hasserfüllt hervor. Ihr Mund und ihre Kehle waren trocken, und das Sprechen fiel ihr so schwer, dass sie nur dieses eine Wort herausbrachte.
"Du bist wach, gut", sagte er. "Willkommen im Land des Bewusstseins und der Schmerzen. Wahrscheinlich fühlst du dich ziemlich schlecht, aber das ist eine Nebenwirkung, die sich leider nicht vermeiden ließ. Immerhin kannst du überhaupt noch etwas fühlen. Ein paar Stunden lang habe ich schon befürchtet, wir hätten dich verloren. Es sah ganz danach aus, als würdest du es nicht überstehen."
"Überstehen?", wiederholte Miranya, nachdem sie ein paarmal geschluckt hatte und das Sprechen ihr etwas leichter fiel. "Was ... hast du mit mir gemacht?"
"Ich? Gar nichts", behauptete Scruul. "Aber einer meiner Freunde, wie ich selbst ein Caer-Sharuun, hat versucht, dein Gedächtnis ein wenig zu manipulieren. Alles wäre viel leichter gewesen, wenn du dich nicht mehr daran erinnern würdest, dass ich hinter dieser kleinen Intrige stecke. Aber leider hat sich dein Verstand als zu stark für eine solche Beeinflussung erwiesen. Wir mussten aufgeben, sonst hätten wir dich getötet, und es war so schon hart an der Grenze. Möchtest du etwas Wasser?"
Miranya rang einen Moment mit sich, dann sah sie ein, dass falscher Stolz ihr in der momentanen Situation gar nichts helfen würde. Widerstrebend nickte sie. Scruul verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit einem Becher zurück. Er schob einen Arm unter ihrem Oberkörper hindurch und half ihr, sich in eine halb sitzende Position aufzurichten, dann setzte er ihr den Becher an die Lippen. Gierig trank sie das Wasser. Das Brennen in ihrem Hals ließ rasch nach.
"Es tut mir wirklich leid, dass wir dir einige Unannehmlichkeiten bereiten müssen", sprach Scruul weiter und ließ sie wieder auf die Pritsche zurücksinken. "Aber das hast du dir selber zuzuschreiben. Du hättest nicht so neugierig sein sollen, dann hättest du dir eine Menge ersparen können."
"Du lügst", behauptete Miranya. "Ich habe genug gehört, um zu wissen, dass du mich sowieso entführen wolltest."
"Das schon", bestätigte er. "Aber dann hättest du nicht gewusst, dass ich dahinterstecke, und wir hätten dich freilassen können, sobald sich Kenran'Del in unsere Hand begeben hätte. Da du es nun aber weißt und dein Gedächtnis sich nicht genügend beeinflussen ließ, werden wir dich bei dem Austausch leider töten müssen, sobald wir haben, was wir wollen. Es kann nicht schaden, wenn Maziroc mir noch eine Weile vertraut."
Miranya bemühte sich, sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen. Sie war nicht einmal wirklich überrascht. Schon seit Scruul ihr erzählt hatte, dass seine Mitverschwörer erfolglos ihr Gedächtnis zu manipulieren versucht hätten, war ihr klar gewesen, dass er sie töten würde, damit er Maziroc gegenüber seine bisherige Rolle weiterspielen konnte. Aber es so direkt aus seinem Mund zu hören, schürte dennoch die Angst in ihr.
Bevor sie zu dieser Reise aufgebrochen war, hatte sie sich noch niemals in richtiger Lebensgefahr befunden. Sie war behütet im Turm der Hexen aufgewachsen, behütet und umsorgt nicht nur von ihrer Mutter, sondern von allen dort lebenden Vingala. Seit sie nach Cavillon gereist war und sich zur Teilnahme an dieser Expedition entschlossen hatte, hatte sich dies jedoch vollständig geändert. Beim Überfall der Hornmänner hatte sie zum ersten Mal echte Todesangst kennengelernt, und nun, kaum eine Woche später, befand sie sich erneut in tödlicher Gefahr.
Dabei fühlte sie sich weder besonders mutig noch besonders tapfer, und schon gar nicht fühlte sie sich zur Heldin geboren. Im Grunde hatte sie sich Maziroc auch nicht aufgrund irgendwelcher hehren Ideale angeschlossen. Sicher, seine Aufgabe mochte äußerst wichtig sein, mochte möglicherweise sogar über das Leben zahlloser Menschen entscheiden, doch in erster Linie hatte sie sich der Gruppe aus einer Mischung aus Abenteuerlust und Neugier angeschlossen.
Nun, ihr Bedarf an Abenteuern war vorläufig gedeckt, und was ihre Neugier betraf, so war diese anscheinend eher eine charakterliche Schwäche, die sie letztlich auch in diese unangenehme Lage erst hineingebracht hatte.
Sie bedauerte, dass sie neben ihrer Heilkunst keine speziellen magischen Fähigkeiten oder wenigstens einige Skiils besaß, mit denen sie sich in einer Situation wie dieser verteidigen könnte. Anderseits, hätte sie solche Skiils besessen, hätte Scruul sie ihr mit Sicherheit abgenommen. Gefesselt, wie sie war - nicht nur an den Hand, sondern auch den Fußgelenken, wie sie inzwischen entdeckt hatte - war sie ihm jedoch wehrlos ausgeliefert. Ihre einzige, wenngleich äußerst geringe Chance bestand darin, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
"Du bist verrückt", behauptete sie. "Völlig wahnsinnig, unter den gegebenen Umständen, wo uns allen