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Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May


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Strahlen der Sterne herab, um, wie alles Himmlische, wenn es die Erde berührt, sichtbare Gestalten anzunehmen, sobald sie das ihnen verbotene Land erreicht haben. Sie hoffen, in diesen Körperformen vor ihren Feinden sicher zu sein. Sie trennen sich. Die eine Wahrheit geht in Tiergestalt als Fabelwesen durch Wald und Feld, kommt vielleicht auch in Haus und Hof des Menschen, um ihm im Bilde mitzuteilen, was ihm in anderer Weise zu sagen ein Wagnis ist. Die andere ist kühner. Sie nimmt die Form des bekannten Körpers an, der als das Ebenbild Gottes so berühmt geworden ist, und sucht die Städte und Dörfer auf, wo sie sich für ein bescheidenes Märchen ausgiebt, welches man passieren lassen kann. Sie hat scheinbar so gar nicht viel zu sagen, daß man sie gern hier und da zu Worte kommen läßt. Sobald sie spricht, denkt man sich zunächst nichts dabei. Doch wenn sie fortgegangen ist, beginnt man unwillkürlich nachzusinnen. Dann kommt es freilich an den Tag, daß dieses sogenannte Märchen ein Himmelskind gewesen ist, welches, wenn man dies gewußt hätte, fortgewiesen worden wäre. Nun hat es aber doch gesprochen, und was es sprach, sitzt fest! – — Du lächelst, Effendi! Warum?«

      »Weil du ein Freund dieser himmlisch reinen und irdisch doch so pfiffigen Wahrheiten zu sein scheinst,« antwortete ich. »Auch ich habe sie sehr lieb. Sprich weiter!«

      »Kennst du,« fuhr er fort, »das Märchen von dem Sonnenstrahl, der hier auf Erden König wurde und so mild und gut regierte, daß alle seine Unterthanen, sobald sie starben, sich in helle Sonnenstrahlen verwandelten und zum Himmel stiegen?«

      »Ich kenne es.«

      »Auch das andere Märchen, von dem Schatten des Strahles?«

      »Nein.«

      »Der Schatten wollte es dem Lichte gleichthun. Er fiel in ein tieferliegendes Land und nahm dort ganz genau die Gestalt des andern Herrschers an. Auch er machte sich zum Könige und ahmte alles wörtlich nach, was der gute Herrscher da oben that und sprach. Aber er war leider nur der Schatten dieses Herrn. Weißt du, Effendi, was ein Schatten ist?«

      »Er ist das dunkle Kehrseitenbild derjenigen irdischen Wesen, welche im Lichte des Himmels stehen,« antwortete ich.

      Das war freilich keine physikalisch genaue Definition, sollte das aber auch gar nicht sein. Ich ahnte, was der Ustad sagen wollte, und gab ihm die Erklärung, die er dazu brauchte.

      »Richtig, sehr richtig!« stimmte er bei. »Der Schatten setzt das Licht voraus. Er ahmt die Gestalt nach, welche in diesem Lichte steht. Aber die Nachahmung ist dunkel, so treu und so genau sie im übrigen auch ausfallen mag. Die Farbenbrechungen des himmlischen Lichtes entgehen dem Schatten ganz und gar. Er ist der finstere, herz- und gewissenlose Doppelgänger von allem Lebenden, was es auf Erden giebt. Ob es wohl in der Geistes- oder Seelenwelt ebenso Schatten giebt wie in der Welt der Körper? Was meinst du wohl, Effendi?«

      »Natürlich giebt es sie.«

      »Wie denkst du dir das?«

      »Stelle etwas Geistiges oder Seelisches an das Licht, um es zu sehen, so wird sich sofort der betreffende Schatten einfinden. Hinter jeder Tugend steht dann das betreffende Laster, welches eine ganz genaue, aber kehrseitige Nachahmung aller ihrer Vorzüge ist. Hinter der weisen Sparsamkeit erscheint dann der Geiz, hinter der Freigebigkeit die Verschwendung, hinter der Wahrheitsliebe die grobe Rücksichtslosigkeit, hinter dem edlen Erwerbsinne der ordinäre Betrug und Diebstahl, hinter der Vorsicht die Feigheit, hinter dem Mute die Unbedachtsamkeit, hinter der Beredsamkeit das Schwätzertum, hinter der Verschwiegenheit die Starrköpfigkeit. Aber ich sehe auch noch andere Schatten stehen: Die rücksichtslose Tyrannei hinter der segensreichen Macht, das Schmeichlertum hinter dem Gehorsam, die Empörung hinter der Freiheit, den Mord hinter der Notwehr, die Scheinheiligkeit hinter der Frömmigkeit, die Schleicherei hinter der Demut, die Prahlsucht hinter der Selbsterkenntnis, den Völler hinter dem Esser, den Säufer hinter dem Trinkenden, den Vagabunden hinter dem Wanderer, den Verleumder hinter dem Richter. Soll ich noch weiter fortfahren, Ustad?«

      »Nein; es ist genug,« antwortete er. »Deine Aufstellung war sehr interessant, wahrscheinlich ohne daß du weißt, warum ich dies meine. Du brachtest Tugenden und Untugenden, Zustände und Regungen. Wie kommt es, daß du hieran dann Personen geschlossen hast? Ist das absichtlich geschehen? Wolltest du etwa hiermit aus dem Gebiete »des Geistes« hinüber nach dem Reiche »der Geister« deuten? Hast du an das für uns unsichtbare Land gedacht, an dessen Pforte die sterbende Unwissenheit ihre letzten Worte »Von hier giebt es keine Wiederkehr« ruft? Stand dir jenes Reich vor Augen, welches der Aberglaube mit Gespenstern bevölkert, obgleich er, er, er das allereinzigste Gespenst ist, welches existiert?«

      »Ich gab Beispiele,« erwiderte ich. »Eine Unterscheidung lag mir fern.«

      »Wohl! Schauen wir also nicht hinüber, sondern bleiben wir bei den Menschen! Jeder, der in der Sonne steht, kann, wenn er sich von ihr abwendet, seinen Schatten sehen. Das ist physikalisch. Aber es giebt auch noch andere Schatten. Ich will ihre Arten nicht aufzählen. Aber eine von ihnen, welche ich die mythologische nenne, möchte ich dir doch zeigen. Sie wurden im alten Griechenland entdeckt und als Erinnyen oder Furien bezeichnet. Sind dir diese Schemen bekannt, Effendi, die höllischer sind, als die Hölle selbst?«

      »Nur aus der Mythologie,« sagte ich.

      »Du irrst dich. Du hast sie auch im wirklichen Leben gesehen. Sie laufen da allüberall herum! Du hast sie nur nicht durchschaut, nicht definiert. Wenn die Sonne genau in deinem Zenite steht, so hast du keinen Schatten. Der, den du giebst, liegt unter deinen Füßen; man sieht ihn nicht. Aber sobald sie den Gipfelpunkt verläßt, kommt der Schatten unter dir hervorgekrochen und wird umso größer, je weiter sie sich von dir entfernt. In dem Augenblicke, an welchem dein Tag dahinzusterben und die Sonne für immer von dir zu gehen scheint, ist dieser dein Schatten so weit »über alles Menschliche hinausgestiegen«[11], daß er die ganze hinter dir liegende Fläche bedeckt und so vollständig verdunkelt, als ob es hier niemals in deinem Leben Licht gegeben habe. Das kannst du bei jedem Sonnenuntergange beobachten. Es giebt aber auch noch andere Sonnenuntergänge. Soll ich dir einen beschreiben? Den meinigen? Und den Riesenschatten, der da hinter mir entstand?«

      Er schaute in die kleine, leise hin und her wehende Flamme des brennenden Lichtes, dann schloß er die Augen, als ob er selbst den nur matten Schein desselben jetzt nicht ersehen könne, und sprach dann weiter:

      »Mein Morgen war vergangen. Ich hatte Mittagszeit. Die Sonne stand grad über mir. Rund um mich her lag Helligkeit. Es wurde mir zu heiß, so schattenlos in solchem Licht zu stehen. Ich sah mich um. Meine ganze Welt schien Glück und Frieden auszustrahlen. Nur Freundesaugen sahen mich an. Nur Freundeshände griffen nach meiner Rechten. Nur Freundesworte drangen an mein Ohr. Aber es war mir unmöglich, dieses so gänzlich ungetrübten Sonnenscheines in meinem Innern froh zu werden. Ich kannte die alte Sage von jenem neidischen »Erdengotte«, der es nicht duldet, daß der Sterbliche sich glücklich fühle. Ich schaute besorgt empor zur Spenderin all dieses grellen Lichtes. Sie lächelte mir, wie eben noch, in heller Wonne zu. Aber ich sah, daß sie ihre Stellung zu mir aufgegeben hatte. Die Linie von ihr zu mir war schief geworden. Und da begann der »Erdengott«, sich unter mir zu regen. Er hatte sich zu meiner Mittagszeit mit meiner Person so vollständig einverstanden erklärt, daß er seine Dunkelheit gänzlich aufgegeben zu haben schien. Da bemerkte ich, daß die freundlichen Blicke mich verließen und nach unten glitten. Sie schauten hinter mich. Ich blickte an mir herab, bis tief zu meinen Füßen. Was sah ich da?! Einen Kopf, der unter mir hervorgekrochen kam! Er ahmte die Bewegung des meinen nach. Wollte er mich verspotten? Oder haben die Köpfe der Schatten so gar keine Spur von eigenem Gehirn, daß sie, um existieren zu können, auf die Nachäffung lichtdenkender Menschen angewiesen sind? Werden sie, die vollständig gedanken- und urteilslosen, von jenem »Erdengotte« gezwungen, diesen Menschen jede geistige Form und jede intellektuelle Bewegung abzustehlen und sie im Bodenschmutze zu verzerren, um selbst auch einmal für »Etwas« gehalten zu werden? Der Kopf kam immer weiter und immer deutlicher hinter mir hervor. Er bemühte sich, dem meinen möglichst ähnlich zu werden. Es war sogar das Bestreben zu erkennen, meine Gesichtszüge wiederzugeben. Aber so oft ich ihm das Gesicht auch zukehrte, ich sah doch nur, daß ihm dies nicht gelang. Diese Schemen haben ja ein- für allemal darauf verzichtet, ein menschenwürdiges Antlitz zu besitzen! Je mehr die Sonne sich von mir entfernte, um so dreister zeigte sich das Phantom. Die Schultern,


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<p>11</p>

Siehe Schiller, dir Kraniche des Ibykus: »So schreiten keine irdischen Weiber....«

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