Durch das Land der Skipetaren. Karl MayЧитать онлайн книгу.
ist nicht nötig. Deine Gerechtigkeit reicht aus, um diese Frage zu beantworten.«
»So will ich es mir überlegen.«
»Dazu habe ich keine Zeit und auch keine Lust. Ich gebe zu, daß der Kaftan zerrissen worden ist, und – —«
»O,« unterbrach er mich, »du gibst es zu? So sind wir ja fertig, du bezahlst ihn.«
»Warte noch! Ich frage dich: Ist das Stück aus dem Kaftan gerissen worden, oder ist der Kaftan von dem Stück weggerissen worden? Ich stand still und hielt fest; der Bascha aber riß sich und den Kaftan los.«
Der »Staatsanwalt« blickte sinnend zur Erde, dann rief er laut:
»Hört, ihr Einwohner von Ostromdscha, ihr sollt erfahren, wie gerecht eure Richter sind. Ich entscheide im Namen des Gesetzes, welches im Kuran enthalten ist, daß der Kaftan von dem Stück losgerissen worden ist. Seid auch ihr derselben Meinung?«
Ein vielstimmiges »Ja« antwortete.
»So sollst du mir, Effendi, noch eine Frage beantworten. Du solltest den Kaftan bezahlen, weil wir meinten, daß du ihn zerrissen hättest. Meinst du nicht, daß ihn überhaupt derjenige zu bezahlen hat, welcher ihn zerriß?«
»Ganz gewiß!« antwortete ich, innerlich erfreut über diese unglaubliche Wendung, denn ich ahnte seine Absicht.
»Wer aber hat ihn zerrissen?«
»Der Kodscha Bascha,«
»Wer also hat ihn zu bezahlen?«
»Er selbst.«
»Und wohin kommt das Geld?«
»In die Kasse des Gerichtes.«
»Und wie viel muß er zahlen?«
»So viel, wie der Kaftan im unzerrissenen Zustand wert gewesen ist.«
»So ist‘s richtig. Du sollst ihn nun selbst taxieren. Wie hoch schätzest du ihn?«
»Er war sehr alt und schmierig; ich würde nicht mehr als fünfzehn Piaster dafür bieten.«
»Effendi, das ist zu wenig!«
»Er war nicht mehr wert.«
»Was sind fünfzehn Piaster für eine Kasse des Padischah!«
»Der Padischah nimmt gern auch die kleinsten Beträge an.«
»Du hast vollkommen recht. Aber ist es eines Kodscha Bascha würdig, einen solchen schmierigen Kaftan zu tragen?«
»Wohl kaum.«
»Gewiß nicht. Die Würde seines Amtes erfordert, daß er einen sehr guten langen Rock trägt, und es sollte ein neuer sein. Wie viel aber kostet ein neuer Kaftan?«
»Ich habe im Bazar von Stambul solche Kleidungsstücke zum Preis von dreihundert und auch fünfhundert Piaster gesehen.«
»Das sind noch lange nicht die teuersten. Ein Kaftan für dreihundert Piaster mag einem armen Basch Kiatib genügen; ein Kodscha Bascha aber muß wenigstens einen zu fünfhundert Piaster haben. Meinst du nicht?«
»Ich stimme dir bei.«
»Soll ich nun den Kodscha Bascha nach seinem Rang oder nach demjenigen eines Basch Kiatib taxieren und bestrafen?«
»Nach seinem eigenen.«
»So erteile ich ihm hiermit einen strengen Verweis, daß er seines Amtes so wenig geachtet hat, einen solchen schmierigen Kaftan zu tragen, und verurteile ihn, seiner Würde gemäß, zur Bezahlung eines neuen im Preis von fünfhundert Piaster. Wenn er das Geld nicht bar hat, so werde ich die Summe an seinem Eigentum pfänden und sie an die Kasse abführen. Das habe ich bestimmt und verordnet auf Grund des heiligen Kuran, der unsere Richtschnur ist. Und nun soll der Kodscha Bascha nebst seinen beiden Knechten gefangen genommen und eingesperrt werden. Die Strenge des Gesetzes wird ihn zermalmen.«
Der Bascha erhob kreischend Widerspruch. Ich aber hatte genug; ich mochte nichts mehr hören, kein Wort. Ich winkte meinen drei Gefährten und entfernte mich. Die beiden tapferen Wirte, welche so todesmutig auf ihrem Posten ausgehalten hatten, folgten uns.
Draußen an dem Tore stand eine Frau, welche sogleich auf mich zutrat, als sie mich erblickte. Es war die Nebatja.
»Herr,« sagte sie, »ich habe auf dich gewartet; ich hatte Angst.«
»Um wen? Um mich etwa?«
»O nein. Ich glaube nicht, daß dir etwas Böses widerfahren kann; aber ich sorgte mich um mich selbst.«
»Warum?«
»Ich fürchte die Rache der Herren vom Gericht. Hast du es verraten, daß ich dir alles mitgeteilt habe?«
»Nein, kein Wort.«
»Ich danke dir! So kann ich also ruhig sein?«
»Ganz ruhig. Ich werde auch noch anderweit dafür sorgen, daß deine Not ein Ende hat. Wenn es Tag geworden ist, besuche ich dich.«
»Effendi, du bist mir hoch willkommen, denn dein Erscheinen ist mir wie der Aufgang der Sonne gewesen. Allah gebe dir einen ruhigen Schlaf und glückliche Träume!«
Sie ging von dannen. Da aber dachte ich an etwas, was mir schon da oben auf dem Berg in den Sinn gekommen war. Ich rief sie zurück und fragte:
»Kennst du die Pflanze, welche Hadad (Bocksdorn) genannt wird?«
»Ja, sehr gut. Sie ist dornig und hat bittere Beeren von der Gestalt des Pfeffers.«
»Wächst sie hier?«
»Hier nicht, aber gegen Banja hin.«
»Schade! Ich brauche Blätter dieser Pflanze.«
»Die kannst du bekommen.«
»Von wem denn?«
»Von dem Apotheker, welchem ich Bocksdorn habe holen müssen.«
»Gegen welche Krankheiten verwendet er sie?«
»Als Pflaster gegen Geschwüre. Die Abkochung hilft gegen kranke Ohren und faules Zahnfleisch, gegen das Dunkel der Augen und das Schrunden der Lippen.«
»Ich danke dir! Ich werde mir davon kaufen.«
»Soll ich es dir bringen, Effendi?«
»Nein, ich hole es selbst.«
Die Pflanze hat eine eigenartige Wirkung, welche ich an mir in Anwendung bringen wollte. Nur war ich ungewiß, ob ich dieser Wirkung auch trauen dürfe.
Auf dem Heimweg erzählten die beiden Wirte viel von den Heldentaten, die sie getan hätten, wenn die vier Gesuchten ihnen in den Weg gekommen wären. Ich achtete nicht auf ihr Geschwätz. In unserer Herberge angekommen, stieg ich mit Halef hinauf in unsere Kammer; allein es wurde uns nicht leicht, sofort einzuschlafen. Der verflossene Tag war ein so einflußreicher gewesen, daß der aufgeregte Geist nur schwer zur Ruhe kam.
»Sihdi,« sagte der Hadschi, »wie lange werden wir hier bleiben?«
»Ich habe gar keine Lust, in diesem Nest länger zu verweilen als unbedingt notwendig ist.«
»Ich auch nicht, Sihdi. Ich habe einen Ekel gegen diese Menschen bekommen. Wollen wir nicht am liebsten schon morgen fortreiten?«
»Morgen? Du meinst doch heute, denn der Morgen ist schon nahe, woran ich gar nicht gedacht habe. Schlafen wir aus; dann besuche ich die Nebatja, nachher reiten wir fort.«
»Wenn man uns nicht zwingt, zu bleiben!«
»Ich lasse mich nicht halten.«
»War es recht, daß ich dem Kodscha Bascha die Nilhautpeitsche zu kosten gab?«
»Hm!«
»Oder hätten wir seine Beleidigung etwa ruhig hinnehmen sollen?«
»Nein; in dieser Beziehung gebe ich dir recht. Er hatte die Hiebe redlich verdient.«
»Ein Anderer ebenso!«
»Wen meinst du, Halef?«
»Diesen Kasa-Mufti. Er ist ein Halunke wie der andere. Wie wollte ich mich