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Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Waldröschen I. Die Tochter des Granden - Karl May


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der Notar leise wieder vorgeschoben hatte, und leuchtete hinein. Das geschah jedoch in der Weise, daß die Diener keinen Blick in das Innere werfen konnten.

      »Der Mensch schläft, oder er stellt sich nur so!« sagte er, die Tür wieder schließend. »Es ist am besten, man stört ihn nicht.«

      Mit diesen Worten drehte er sich langsam um und stieg die Treppe empor.

      Unterdessen hatte sich der Notar mit dem Gefangenen fortgeschlichen. Sie gelangten unbemerkt aus dem Schloß und schritten leise und wortlos in das Dunkel der Nacht hinein. Endlich, als sie keine Überraschung mehr zu befürchten hatten, blieb der Advokat stehen und sagte mit harter Stimme:

      »Du hast deinen Auftrag ausgezeichnet ausgeführt mein Bursche. Soll ich dir den Preis auszahlen?« – »Verzeihung, Señor!« antwortete der andere. »Man kann auch einmal unglücklich sein in einem Unternehmen.« – »Aber in keinem so wichtigen. Der Capitano scheint mir lauter Feiglinge geschickt zu haben.«

      Da trat der Brigant um einen Schritt näher heran und sagte mit flüsternder, aber dennoch sehr scharfer Stimme:

      »Wollt Ihr mich beleidigen, Herr?« – »Bah! Wenn so viele gegen einen stehen und ihn doch nicht niedermachen, so sind sie Feiglinge!« – »Oho, Señor! So schlagt ihn doch selbst nieder! Wenn einer mit einem anderen den ganzen Tag zusammenlebt und täglich zehnmal Gelegenheit hat, sich seiner zu entledigen, und sich dennoch an andere wendet, so ist er ein Feigling. Merkt Euch das, Señor! Dir seid weder ein Capitano noch sonst ein Mann, von dem ich ein Wort, das mir nicht paßt, anhören muß. Ihr seid nichts Besseres als ich; wenn ich Euch verrate, so seid Dir verloren, und darum solltet Ihr vorsichtig sein, mich zu beleidigen. Es gibt nicht einen einzigen Feigling unter meinen Kameraden.« – »Warum habt ihr diesen Menschen dann nicht überwältigt?« – »Wer konnte es ahnen, daß er eine solche Stärke besitzt und ein solcher Teufel ist, Señor!« – »Ihr waret ja in der Mehrzahl.« – »Aber wir sollten ihn nur mit dem Messer angreifen, so hattet Ihr uns geboten. Ein guter Schuß war das sicherste, das aber habt Dir nicht gewollt, und so tragt nur Ihr allein die Schuld an dem Mißlingen des Unternehmens.« – »Ach so!« lachte der Notar. »Du wirst mir wohl gar die Bezahlung abverlangen, gerade so, als ob ihr eure Schuldigkeit getan hättet.« – »Allerdings tue ich das! Ihr tragt allein die Schuld, und meine Kameraden sind getötet. Ihr werdet zahlen müssen.« – »Nicht eher, als bis dieser deutsche Doktor tot ist!« – »So versucht es selbst, ihn zu töten – wenn es Euch gelingt!« – »Dazu seid ihr da!« zürnte der Notar. – »Jetzt nicht mehr, Señor! Wir haben nach Eurer Anweisung gehandelt. Daß diese Anweisung schlecht war und uns die Sache verdarb, dafür können wir nicht. Ich fordere das Geld. Gebt Ihr es nicht, so werdet Ihr noch viel mehr bezahlen müssen, denn der Hauptmann wird dann für unsere Toten eine Entschädigung verlangen.« – »Geht zum Teufel, ihr Schurken!« – »Gut, ich gehorche und gehe!« lachte der Räuber höhnisch und war im nächsten Augenblick im Dunkel der Nacht verschwunden.

      Das hatte der Advokat nicht erwartet. Er rief so laut, als es die Vorsicht ihm gestattete, erhielt aber keine Antwort. Dies brachte ihn in die größte Verlegenheit. Wie nun, wenn er von den Briganten verraten wurde? Dann war mit ihm selbst auch sein groß angelegter Plan verloren, an dem er seit so vielen Jahren mit allen Kräften gearbeitet hatte.

      Er kehrte mit sorgenvollem Herzen nach dem Schloß zurück, wo er sich schlafen legte, aber keine Ruhe fand. Es war nicht das böse Gewissen, das ihn peinigte, denn ein Gewissen hatte dieser Mann nicht, sondern er schlug sich mit wirren Gedanken, wie er jedem ihm drohenden Unheil begegnen könne.

      So hatte er noch kein Auge geschlossen, als am anderen Morgen sich im Schloß ein unruhiges Hin- und Herlaufen bemerkbar machte. Cortejo vernahm untermischte Ausrufe, die darauf schließen ließen, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sei, und erhob sich. Das war kaum geschehen, so klopfte es an die Tür seines Schlafzimmers, und der Domestike, der ihn zu bedienen hatte, fragte von außen:

      »Ruht Ihr noch, Señor Cortejo?« – »Ja«, antwortete er aus Vorsicht. – »So erhebt Euch schnell. Don Emanuel verlangt, mit Euch zu sprechen.« – »So früh? Weshalb?« – »Es ist etwas Unangenehmes geschehen. Der Räuber ist während der Nacht entflohen.« – »Nicht möglich!« rief der Advokat mit künstlichem Staunen in seinem Ton. »Ich werde sogleich kommen.«

      Kaum zwei Minuten später verließ er sein Zimmer und begab sich zum Grafen. Er fand bei demselben die Gräfin Rosa, die fromme Schwester Clarissa und den jungen Grafen Alfonzo.

      »Señor, habt Ihr bereits gehört, um was es sich handelt?« wurde er von Don Emanuel gefragt. – »Ja«, antwortete er. »Aber ich halte die Sache für einen Irrtum!« – »Es ist kein Irrtum; der Brigant ist wirklich entkommen!« – »Das ist ja gar nicht möglich! Er wurde ja von zwei Männern scharf bewacht.« – »Dennoch ist er entkommen, oder vielmehr, er ist spurlos verschwunden, auf eine so unbegreifliche Weise, daß wir uns den Fall nicht erklären können.« – »Hm!« brummte der Notar mit einer Miene des allerhöchsten Erstaunens. »Hat Ihnen Don Alfonzo gesagt daß er selbst sich noch während der Nacht von der Sicherheit des Gefängnisses überzeugt hat?« – »Allerdings. Mein Sohn hat das Gefängnis inspiziert und dabei bemerkt daß der Gefangene schlafend am Boden lag. – »So müssen die Diener ihm zur Freiheit verholten haben. Es ist kein anderer Fall denkbar.« – »Das bezweifle ich. Diese beiden Männer waren so ganz außerordentlich bestürzt, daß ich an ihrer Unschuld gar nicht zweifeln kann.« – »Auch ich bin überzeugt, daß nicht die mindeste Schuld sie trifft«, bemerkte Rosa mit warmem Nachdruck. »Diese Leute sind treu, das kann ich behaupten!« – »Aber, meine gnädigste Condesa, wie hat dann der Räuber ohne ihr Wissen oder gar ohne ihre Hilfe das Gefängnis verlassen können?« fragte der Advokat. – »Das wird wohl die Untersuchung ergeben. Der Vater hat Euch rufen lassen, um Euch an derselben zu beteiligen.« – »So wollen wir hoffen, daß sie nicht erfolglos ist. Ich werde mich sofort an Ort und Stelle begeben.«

      Was sich voraussehen ließ, geschah. Die Nachforschung hatte nicht das mindeste Ergebnis.

      Auch Sternau wurde durch die im Schloß herrschende Unruhe aus dem Schlaf geweckt. Als er später den Korridor betrat, stieß er auf den kleinen Kastellan, dessen Gesicht ein einziger Ausdruck der höchsten Bestürzung war.

      »Señor, wißt Ihr es schon«, fragte er hastig, »daß dieser Spitzbube, dieser Mörder, ausgerissen ist?« – »Unmöglich!« rief der Arzt erschrocken. – »Oh, sehr möglich, Señor!« antwortete der Kastellan. »Er ist fort, über alle Berge; das sagt meine Elvira auch!« – »Aber wie denn? Wie konnte es ihm gelingen, zu entkommen?« – »Das weiß kein Mensch, sogar meine Elvira nicht Señor!« – »Ist er denn nicht bewacht worden?« – »Sogar sehr! Ich habe ja zwei Knechte an seine Tür gestellt. Auch der gnädige Graf Alfonzo ist bei ihnen gewesen, um sich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen. Er hat gesehen, daß der Gefangene sich in dem Gefängnis befand. Heute früh aber, als die Knechte öffneten, um dem Menschen Wasser zu geben, war er fort.« – »Das ist ja erstaunlich! Das muß untersucht werden! Ist der Mann entwischt, so ist mit ihm auch die Hoffnung verschwunden, über den gestrigen Mordanfall eine Aufklärung zu erlangen!« – »Leider, Señor! Nun werden die Gerichte kommen, um die Untersuchung zu beginnen, und die Hauptperson, der Mörder, ist fort. Das ist fatal; das ist sogar blamierend für uns; das sagt meine Elvira auch. Aber ich stehe hier und habe doch zu tun! Ich muß mich sputen, denn der Wagen wird angespannt, und ich habe die gute Condesa Rosa nach Pons zu begleiten.«

      Alimpo eilte weiter, denn er hatte jetzt vor allen Dingen eine sehr ehrenvolle Pflicht zu erfüllen, er mußte seine junge Herrin unter seinen starken Schutz nehmen, damit ihr unterwegs kein Leid widerfahre. Das machte ihn stolz; das schwellte die Muskeln seines kleinen Körpers und gab ihm den Mut eines Löwen. Und wenn er auch nicht gerade das Schwert des alten Urahn-Ritters umschnallte, so fühlte er sich doch ganz und gar als der treueste und tapferste Ritter der schönsten Doña im schönen Spanien. Übrigens, was das Schwert betrifft, so wäre es ihm gar nicht gut möglich gewesen, seine Hüften damit zu umgürten, da es sonst ebensolang war wie er selbst.

      8. Kapitel

      »Ich suche dich, o Vaterhaus,

      Von dem mich finstere Mächte trennen.

      Ich


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