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Das Mormonenmädchen Erster Band. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Das Mormonenmädchen Erster Band - Balduin Möllhausen


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rathsam, anders, als in größeren Gesellschaften die schrecklichen Wüsten jagend oder forschend zu durchkreuzen. Selbst den vereinigten Kräften treu zusammenhaltender Gefährten gelingt es oft kaum, dem drohenden Untergange zu entrinnen, der den Wanderer jener Regionen in den verschiedenartigsten und gräßlichsten Gestalten beständig angrinst. Bald sind es der Wassermangel und das Verschmachten und Dahinsterben der dem Reisenden unersetzlichen Lastthiere, bald die durch Heißhunger zur Tollwuth gereizten wilden Bestien, bald die, in ihren Neigungen sich kaum noch von den Thieren des Waldes unterscheidenden Eingeborenen, oder der von dem Sturmwind in dichten Wolken emporgewirbelte erstickende Flugsand, lauter Schrecknisse, die auch den kühnsten Geist zu beugen, den wildesten Muth zu brechen vermögen. —

      Wenn nun die Reise ganzer Karavanen durch die unwirthlichen Theile des »großen Beckens« mit einem steten Kampf um das nackte Leben verglichen werden darf, um wie viel mehr ist der einzelne Wanderer, der dorthin verschlagen wurde, dem Verderben ausgesetzt! Und dennoch – —

      Ungefähr drei Tagereisen weit westlich von der südlichen Spitze des »Großen Salzsees,« also vielleicht doppelt so weit von der Mormonenstadt, scheiden die Pah-o-tom- oder Cederberge, eine von Südwesten nach Nordosten laufende Felsenkette, das »Quell-« oder »einsame Felsen-Thal« von der unabsehbaren, sich gegen Westen ausdehnenden sandigen Einöde. Eine alte, wenig befahrene Emigrantenstraße führt durch einen Paß dieses Gebirges und verliert sich schon nach kurzer Zeit in halb zugewehten Spuren von Wagenrädern und Packthierpfaden, die sich wieder in verschiedene Richtungen von einander trennen und, je weiter nach der Wüste hinein, um so schwächer und undeutlicher werden, bis sie endlich ganz in dem losen Sande verschwinden. Es geht daraus hervor, daß vielfach nach einem geeigneten Wege durch die wasserarme muldenförmige Sandsteppe geforscht wurde, daß die Bemühungen sich größtentheils als fruchtlos erwiesen, und daß man endlich zu der Ansicht gelangte, schwere und langsam reisende Trains lieber auf einem Umwege auf der Nordseite des Salzsees herumziehen zu lassen, als deren Existenz in einer näheren, aber gefährlicheren Richtung auf das Spiel zu setzen. —

      Es war in den Frühstunden eines klaren, sonnigen Herbsttages, als eine einsame Wanderin aus der letzten Biegung des eben bezeichneten Passes trat und den Punkt erreichte, von welchem aus sie die erste Aussicht auf die gefürchtete Wüste gewann.

      Der trostlose, vielleicht kaum geahnte Anblick mußte überaus niederdrückend auf sie einwirken, denn in dem Grade, in welchem das traurige Panorama sich immer weiter und weiter vor ihr ausdehnte, wurde der rüstige Schritt, in welchem sie sich genähert hatte; langsamer und unsicherer. Als aber endlich die schreckenerregende Landschaft in ihrer todtenähnlichen Stille und Regungslosigkeit vor ihr lag, ihre zagenden Blicke ungehindert auf der Linie des Horizonts herumirrten und auf weiter nichts trafen, als auf Wüstensand und auf ferne, duftig schimmernde Felsgruppen, die wie verloren aus der gelben Ebene emportauchten, da schien ein unüberwindliches Grauen sich ihrer zu bemächtigen und die Kraft ihrer Füße zu lähmen.

      Sie stand still, und indem sie nach der nordwestlichen Richtung über Meilen und Meilen hinwegschaute, füllten ihre Augen sich mit Thränen. Die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatte, erweckte jetzt offenbar Furcht und Entsetzen in ihr, denn zagend und schüchtern blickte sie rückwärts in den Paß hinein, von woher sie eben erst gekommen war.

      Sie mochte ihrer Heimath in der Mormonenstadt gedenken, die sie vor wenigen Tagen erst verlassen hatte, denn bange Zweifel bewegten gar seltsam ihre bleichen, abgehärmten Züge, während ein bitterer Seelenschmerz ihre Brust krampfhaft hob und senkte.

      Doch nur wenige Minuten dauerte dieser Kampf; wie ein drohendes Gespenst schien es in ihrer Erinnerung aufzutauchen, und indem ein Schauder ihre schlanke Gestalt erschütterte, wendete sie sich hastig der Richtung zu, in welcher ihr Ziel lag.

      »Ich werde es nicht ausführen können,« flüsterten ihre noch jugendfrischen Lippen, und in dem leisen Ton ihrer Stimme offenbarte sich eine ganze Welt voll Zweifel und Schmerz. »Meine Kräfte reichen nicht aus – und dennoch müssen sie ausreichen!« fuhr sie lauter fort, und ihre Worte zitterten vor inniger, wehmüthiger Bewegung, als die Bürde, welche sie in einer Decke gehüllt vor sich trug, Leben verrieth. »O, sie müssen ausreichen, für mein armes Kind – und sie werden es, denn die Mutterliebe ist stark. Und wäre die Wüste noch zehnmal so breit, ich würde meinen Engel sicher hinübertragen. Wer aber würde es wohl wagen, ihm Leid zuzufügen? Weder die Wölfe, noch die grausamen Indianer. O, die Indianer, auch sie haben Kinder, und wenn sie meinen süßen Knaben sehen, so werden ihre Herzen sich beim Anblick der lieblichen Erscheinung erweichen; sie werden ihn beschützen und ihn mir tragen helfen, mein liebes, liebes einziges Kind!«

      Indem die junge Frau so sprach, hatte sie die Bürde, welche von einer andern, auf ihrem Rücken hängenden im Gleichgewicht gehalten wurde, behutsam vor sich auf die Erde gelegt. Dann bei derselben niederknieend, öffnete sie die leichte Hülle vollständig, worauf sie ihre Blicke mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Seligkeit an den großen blauen Augen eines etwa ein Jahr alten Knaben haften ließ, der neugierig und zufrieden zu ihr emporschaute.

      Es war ein rührendes, Wehmuth erzeugendes Bild, die junge Mutter, die nur noch Blicke und Gedanken für ihr Kind hatte und in ihrer Sorge um dasselbe die ganze übrige Welt, selbst ihren tiefen, unheilbaren Kummer vergaß. Ihr feines, regelmäßig schönes Antlitz war wohl abgehärmt, und ein eigenthümlicher Zug um den Mund verlieh demselben das Gepräge lange erduldeter Leiden; allein indem sie mit Stolz ihren Liebling betrachtete, hatten ihre etwas eingefallenen Wangen sich vor innerer Aufregung wieder hoch geröthet, und selbst als glückliches, harmlos tändelndes junges Mädchen konnte sie kaum anziehender und bezaubernder gewesen sein, als jetzt, da Mutterwürde ihre ganze Erscheinung verschönte und veredelte.

      Ihre starken gelbblonden Haare waren nachlässig in einen Knoten am Hinterkopf zusammengeschürzt; einzelne Strähnen aber hatten sich während der Wanderung aus dem Knoten losgestohlen und hingen, indem sie sich über das Kind hinneigte, als lange seidenweiche Locken zu demselben nieder, welches dann lallend und schäkernd nach den beweglichen Ringen haschte. Die großen hellblauen Augen, beschattet von blonden Brauen und Wimpern, hatten einen schwermüthigen Ausdruck, jedoch mehr in Folge der gegenwärtigen trostlosen Lage, als weil ihnen derselbe vielleicht ungeboren gewesen wäre, und nur so lange, wie sie auf dem vollen Antlitz des kleinen Knaben ruhten, strahlten sie im innigsten Entzücken, um gleich darauf wieder um so trauriger in die Ferne zu spähen.

      In ihrer übrigen Erscheinung, in den schmalen Händen und Füßen, wie in der ganzen Haltung verrieth die junge Frau, daß sie den höheren Ständen entstamme. Ihre Gestalt war groß und kräftig gebaut, und dabei trug sie dieselbe mit einer gewissen Anmuth, die auf eine sehr sorgfältige Erziehung deutete und weder durch Beschwerden und Entbehrungen, noch durch Erschöpfung hatte gänzlich verwischt werden können.

      In ihrer Bekleidung war, wenn man die große Entfernung von der verfeinerten Civilisation berücksichtigte, Wohlhabenheit unverkennbar, denn Alles bestand aus so kostbaren Stoffen, wie sie in der Salzsee-Stadt wohl nur unter bedeutenden Geldopfern zu erschwingen gewesen; dagegen hatte der Staub die Farben des Zeuges schon sehr entstellt und die letzte Probe von Schwärze von den starken, festbesohlten Schuhen mit fortgenommen.

      Die Ausrüstung der einsamen Wanderin bestand aus einem Bündel Kleidungsstücke, einer wollenen Decke, einem Säckchen mit einer Mischung von braunem Zucker und feingeriebenem Mais- und Weizenmehl, dem bekannten, sehr nahrhaften Pinole, und einem mäßig großen Lederschlauch mit Wasser. Wenn zu diesem aber noch der kräftige Knabe hinzugefügt wurde, so bildete das Ganze eine Last, die auf die Dauer auch für den stärksten Mann zu viel hätte werden müssen, zumal auf einem Boden, auf welchem die Füße bei jedem Schritt tief in das lose Erdreich einsanken, oder auch streckenweise gegen scharfes Gestein und dornenreiches Gestrüpp zu kämpfen hatten.

      Doch was jeden andern ruhig überlegenden Menschen mit Besorgniß und Grauen erfüllt hätte, das beschäftigte nur zeitweise den Geist der jungen Mutter, und wenn das Bewußtsein ihrer hülflosen Lage wirklich zuweilen ihren letzten Muth zu brechen drohte, dann brauchte sie nur rückwärts zu schauen, um ihren wankenden Entschluß wieder zu befestigen und die sich ihr entgegenstellenden Hindernisse vor ihrer wild erregten Phantasie verschwinden zu machen. Hatte sie doch auf ihrer Flucht von der Mormonenstadt absichtlich, um einer Verfolgung zu entgehen, und die ihr Nachsetzenden


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