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Das Mormonenmädchen Erster Band. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Das Mormonenmädchen Erster Band - Balduin Möllhausen


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Wildniß, die sie nur dem Namen nach kannte? Sie wußte, welche Richtung sie beizubehalten hatte, um weiter oberhalb wieder in die Emigrantenstraße zu gelangen, die zur Zeit noch von Auswanderern belebt sein mußte, und das war ihr genug. Fort, weit fort vom Salzsee drängte es sie; fort von dem Lande, wo sie ein Paradies zu finden erwartete, und wo sie schmählich hintergangen worden war; fort, gleichviel, ob mit Gefahr ihres Lebens, wenn nur ihr Kind, ihr lieblicher Engel, gerettet wurde. —

      »Ja, ich trage Dich durch diese Wüste,« wiederholte sie fest und muthig, indem sie die niederhängenden Locken aus dem Gesicht des kleinen Knaben tanzen ließ, daß dieser jubelnd und kreischend mit beiden Händchen um sich schlug. »Du bist nicht schwer – doch, Du bist sehr schwer und wohlgenährt, aber nicht zu schwer für Deine Mutter, und auf der Emigrantenstraße werden wir barmherzige Menschen finden, die sich unserer annehmen und uns nach Kalifornien bringen. Dort aber will ich arbeiten und sparen, bis ich die Mittel zusammen habe, die Rückreise nach der lieben süßen Heimath jenseit des Oceans antreten zu können. – O Heimath! Wäre ich ihm doch nie gefolgt! Er war gut, er war edel, bis die neue Lehre ihn verdarb. Armes, armes Kind, was wirst Du dereinst sagen, wenn Du erfährst, wie Dein Vater an mir, Deiner bedauernswerthen Mutter, gehandelt? Im Vertrauen auf seine Liebe und durchdrungen von den scheinbar geläuterten christlichen Lehren gab ich meine glückliche Heimath auf, um ihm zu folgen. Ahnungslos und mit treuer Hingebung begleitete ich ihn auf der weiten Wanderung nach dem so verlockend geschilderten Ziel, um hier zum Bewußtsein einer schrecklichen Lage zu gelangen!«

      Hier schwieg die junge Frau, und bittere, heiße Thränen rollten über ihre bleichen Wangen auf den lächelnden Knaben hinab. Die Worte, die sie anfangs, als ob er sie verstanden hätte, an ihren Liebling richtete, waren allmälig in ein Selbstgespräch übergegangen, oder vielmehr in laute Betrachtungen, die sie leiser und leiser vor sich hinmurmelte.

      Nach einer kurzen Pause fuhr sie, wie aus einem Traume erwachend, heftig empor; ihre Wangen rötheten sich schnell wieder, und in seltsamem Feuer leuchteten ihre sonst so milden Augen.

      »Ich, seine vor Gott und den Menschen rechtmäßig angetraute Gattin, ich, die ich an weiter nichts dachte, als ihm das Leben zu versüßen, ich mußte es dulden, daß er, heidnischen Gebräuchen huldigend, noch eine zweite Frau durch die Banden der Kirche an sich fesselte!« rief sie glühend vor Scham und Zorn aus, indem sie ihre Hände über dem Kinde krampfhaft in einander ballte. »Getäuscht, betrogen, schändlich betrogen, wie so viele meines Geschlechts, die in blindem Vertrauen ihren Gatten hieher nachfolgten! Betrogen und verhöhnt, und mir bleibt nur die Schande, oder der Tod in der Wüste!«

      »Wasser!« stammelte der Knabe, und reckte der verzweifelnden Mutter die Aermchen entgegen.

      »Nein, nein, nicht der Tod,« begütigte die junge Frau, über ihre eigenen Worte erschreckt zusammenfahrend; »nein, lieber alle Schande, allen Hohn der Welt ertragen. Hast ja sonst Niemand mehr als Deine Mutter, Deine Mutter, die über Dich wachen und für Dich sorgen wird,« fügte sie liebreich hinzu, indem sie den Schlauch entkorkte und von dem klaren Quellwasser in eine blecherne Tasse laufen ließ.

      »Trinke, mein süßes Kind,« sagte sie dann, den Knaben aufrichtend und die Tasse an seinen Mund haltend, »trinke nach Herzenslust, auch ich will ein Schlückchen nehmen, damit ich nicht entkräftet werde.«

      Der Knabe trank mit vollen Zügen; die junge Frau dagegen betrachtete unterdessen mit einem Seitenblick den noch vollen Schlauch. Sie hatte ihn erst in der Frühe an einer Gebirgsquelle gefüllt, und mochte darüber nachsinnen, wo und wann sie die nächste Gelegenheit finden würde, sich mit einem neuen Wasservorrath zu versehen.

      »Wenn der Inhalt nicht ausreichte,« flüsterte sie unbewußt, und ein leises Beben ergriff sie; »aber er muß ausreichen, wenn ich enthaltsam bin und mir nur den Gaumen netze. Das Wild wird mir schon rechtzeitig eine andere Quelle zeigen. Drei Tagereisen von hier soll ein Bach am Rande der Wüste dahinrieseln; gebrauchte ich auch vier, fünf Tage, so würde mein Knabe noch keine Noth leiden —«

      In diesem Augenblick gab das Kind zu verstehen, daß es sich zur Genüge gelabt habe. Es waren noch einige Tropfen in der Tasse zurückgeblieben. Die Mutter netzte mit denselben, wie sie eben gesagt hatte, ihren Gaumen, und dann ihre geringen, aber unschätzbaren Habseligkeiten wieder vorsichtig zusammenpackend, traf sie Anstalt, ihre Wanderung fortzusetzen. Als sie aber ihren Knaben von der Erde aufheben wollte, da weigerte sich dieser, ihr Folge zu leisten. Ein leiser Wind war von Südwesten her aufgesprungen und trieb spielend lange Streifen leichter loser Sandtheilchen über den trügerischen Erdboden dahin. Die beweglichen Sandtheilchen aber hatten des Kindes Aufmerksamkeit erregt, und wie jüngst die Locken der Mutter, so suchte es jetzt diese sich anzueignen.

      »Komm, mein Kind,« sagte die Mutter zärtlich, und ihr gramerfülltes Antlitz erhellte sich zu einem flüchtigen Lächeln, »komm, die Frühstunden eignen sich am besten zur mühevollen Wanderung; nachher, wenn wir erst eine größere Strecke zurückgelegt haben, dann wollen wir rasten und mit dem Sande spielen.«

      »Spielen, spielen!« rief das Kind, sich eigenwillig auf die Seite werfend.

      Die Mutter lächelte wieder, hob den Kleinen trotz seines heftigen Sträubens empor, befestigte ihn so vor sich in die Decke, daß er um sich zu schauen vermochte, und nachdem sie sodann ihren breitrandigen Strohhut etwas seitwärts gezogen, um dem Kinde Schutz gegen die hellen Strahlen der Sonne zu gewähren, ergriff sie ihren langen Wanderstab, und ohne Seufzer oder Klage, aber stets noch plaudernd mit dem Kinde, schritt sie gerade in die Wüste hinein. —

      Die Sonne war um diese Zeit vollständig hinter der östlichen nackten Bergreihe hervorgetreten, und indem sie ein blendendes falbes Licht über die Ebene und die dünenartigen Sandanhäufungen nahe der Felsenkette verbreitete, erwärmte sie schnell die nahe dem Erdboden lagernden Luftschichten, daß diese, sich langsam mit den oberen kühleren vermischend, sichtbar in wellenförmiger Bewegung flimmerten und bebten. Der Wind strich leise dahin, und immer weiter dehnten sich die tanzenden Flugsandstreifen aus, auch in größerer Entfernung leicht erkennbar an der helleren Farbe.

      Außer der wandernden Mutter mit ihrem Kinde war im weitesten Umkreise kein lebendes Wesen zu entdecken. Kein Laut, kein Ton, ob nun drohend oder jammernd, deutete darauf hin, daß die Natur auch in diesem traurigen Erdenwinkel vereinzelte ihrer Geschöpfe untergebracht habe. Es war, als habe ein Fluch auf der ganzen Landschaft geruht, ein Fluch, der jedes organische Leben schon im Keime erstickte, und nur das kümmerliche Gedeihen der den Menschen und Thieren feindlichen Dornengewächse gestattete.

      Doch blind für alles dieses verfolgte die Wanderin ihren Weg. Sie hatte den nebelähnlichen Gipfel eines am nordwestlichen Horizont auftauchenden Berges zu ihrem Ziel gewählt, und unbekümmert um die tödtliche Einsamkeit, lenkte sie ihre Schritte auf denselben hin. Die zunehmende Wärme und die schwere Last trieben den Schweiß in Perlen von ihrer Stirn, allein sie achtete nicht darauf. Sie fühlte sich noch stark, so stark, als ob ihre Kräfte nie zu erschöpfen gewesen wären. Ihr Kind war eingeschlafen; vorsichtig vermied sie jede Bewegung, die dasselbe hätte wecken können, und mit innerer Zufriedenheit bemerkte sie, daß der Sand immer lustiger und höher vor dem wachsenden Winde dahinstäubte. Sie hoffte, ihren erwachenden Kleinen mit dem sonderbaren Schauspiele zu erfreuen; gewährte es ihr doch selbst einige Unterhaltung, zu beobachten, wie die weißen Streifen sich bald verlängerten, bald verkürzten, oder sich auch zu großen regsamen Flächen vereinigten und dann wieder schnell in kleine Felder auseinanderrissen.

      Plötzlich fuhr sie, indem sie zur Seite schaute, erschreckt zusammen. Ihre Blicke waren auf einen klaren See gefallen, der seine zitternden Fluthen mit reißender Schnelligkeit bis auf etwa hundert Schritte an sie heranwälzte und sich dann zu beiden Seiten von ihr ausdehnte. Sie faßte sich indessen schnell wieder, und die Hand auf ihre Brust legend, wie um das heftige Pochen des Herzens zu beruhigen, blickte sie, ohne die Eile ihrer Schritte zu mäßigen, eine Zeit lang mit besorgnißvoller Theilnahme auf den trügerischen Wasserspiegel.

      »O, wenn es doch Wasser wäre,« sagte sie mit einem tiefen Seufzer, »süßes, klares Wasser; ich brauchte dann nicht zu sparen. Aber es ist Täuschung, für den Durstigen bittere, martervolle Täuschung,« fuhr sie fort, als sie bemerkte, daß der See mit seiner leicht gekräuselten Oberfläche gleichen Schritt mit ihr hielt und, wenn sie sich ihm zu nähern trachtete, neckisch vor ihr


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