Mann und Weib. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
Lebzeiten ihrer Mutter war Anne das lieblichste liebenswürdigste Kind gewesen. Später unter der Obhut der Freundin ihrer Mutter, waren ihre Mädchenjahre so harmlos und glücklich verlaufen, daß es scheinen konnte, als ob die in ihr schlummernden Leidenschaften niemals erwachen würden.
So hatte sie fortgelebt, bis sie zur Jungfrau herangereift war, um dann, als sich ihr Leben zu seiner schönsten Blüthe entfaltet hatte, es in einen einzigen verhängnißvollen Augenblick an den Mann, der jetzt vor ihr stand, wegzuwerfen – —
Mie war das möglich gewesen? – Sie hatte ihn mit andern Augen angesehen, als sie ihn jetzt ansehen mußte, sie hatte ihn gesehen als den Helden einer Wettruderfahrt, als den Sieger in einem Kampfe, in welchem Kraft und Geschicklichkeit den Ausschlag gaben, und der ganz England in Begeisterung versetzte, sie hatte ihn als den Mittelpunkt des Interesses, als das Ideal der Begeisterung und des Beifalls der Massen gesehen. Sein waren die Arme, deren Muskeln in den Zeitungen verherrlicht wurden; er war der erste unter den Helden, der als der Stolz und die Blüthe Englands von zehntausend jubelnden Kehlen begrüßt wurde. In diese Atmosphäre des glühendsten Enthusiasmus der Vergötterung der physischen Kraft nun denke man sich ein Mädchen versetzt. Darf man da verständiger und billiger Weise erwarten, daß sie sich kaltblütig fragt: »welchen moralischen und intellectuellen Werth hat das Alles?« Und noch dazu, wenn dieser Mann, der Gegenstand der allgemeinen Vergötterung ihr vorgestellt wird, wenn er Geschmack an ihr findet und sie vor allen Anderen auszeichnet?!
Jetzt stand sie da, von dem Bewußtsein ihres Geheimnisses gemartert, des schrecklichen Geheimnisses, welches sie vor dem unschuldigen Mädchen, an dem sie mit schwesterlicher Zärtlichkeit hing, verbarg. Erst jetzt, wo es zu spät war, durchschaute sie den Mann und erkannte sie seinen ganzen Unwerth. Erst jetzt, wo sie nur von ihm Rettung vor Schande erhoffen konnte, mußte sie sich fragen, was liebenswerth an einem Manne sei, der sie so behandeln konnte, wie er es eben jetzt that.
Es entstand eine Pause peinlichen Schweigens im Garten-Pavillon. Aus der Ferne erklang das heitere Lärmen der Spielenden auf dem Rasen. Draußen muntere Stimmen, Lachen aus jugendlichen Kehlen, das Stoßen des Hammers auf den Ball, – drinnen ein Weib, das die bitteren Thränen des Kummers und der Schmach zurückdrängt – und ihr gegenüber ein Mann, der kein Hehl daraus macht, daß er ihrer überdrüssig ist.
Endlich raffte sie sich auf, sie war die Tochter ihrer Mutter und trug einen Funken des mütterlichen Muthes in sich; ihre Zukunft hing von dem Ausgange dieser Zusammenkunft ab. Sie durfte, da ihr weder Bruder noch Vater zur Seite stand, einen letzten Versuch an sein besseres Ich nicht unterlassen; sie drängte ihre Thränen gewaltsam zurück und sagte in milderem Tone:
»Seit drei Wochen bist Du jetzt auf dem Landsitz Deines Bruders, nicht zehn Meilen von hier entfernt, Geoffrey, und nicht ein einziges Mal bist Du herübergeritten, um mich zu sehen! Du wärest auch heute nicht gekommen, wenn ich nicht in einem Billet an Dich, darauf bestanden hätte; habe ich eine solche Behandlung von Dir verdient?«
Sie hielt inne. Er antwortete nicht.
»Hörst Du mich nicht?« fragte sie vortretend und Ihre Stimme erhebend.
Er schwieg noch immer.
Das überstieg das Maß des Ertragbaren. Die Vorzeichen eines Unwetters wurden deutlich auf ihrem Gesicht erkennbar. Er kam dem Ausbruch desselben mit eiserner Stirne zuvor. Während ihn der Gedanke an diese Zusammenkunft, vorhin im Rosengarten unbehaglich gestimmt hatte, war er jetzt, wo er ihr gegenüberstand, wieder vollkommen Herr seiner selbst. Er hatte Gemüthsruhe genug, sich zu erinnern, daß er seine Pfeife nicht wieder in ihr Etui gesteckt hatte, Gemüthsruhe genug, diese Versäumniß in aller Gelassenheit nachzuholen, bevor er sich mit etwas Anderem beschäftigte. Er zog das Etui aus der einen und die Pfeife aus der andern Tasche.
»Fahre fort, ich höre!«
Sie schlug ihm die Pfeife ans der Hand. Wenn sie Kraft genug besessen hätte, würde sie ihn selbst auf den Boden des Garten-Pavillons niedergestreckt haben.
»Wie darfst Du es wagen, mich so zu behandeln?« brach sie heftig aus, »Dein Benehmen ist niederträchtig, vertheidige es, wenn Du es kannst.«
Er mochte gar keinen Versuch, sich zu vertheidigen. Mit dem Ausdruck einer unverhohlenen Besorgniß blickte er aus seine am Boden liegenden Pfeife, die ihn 10 Schilling gekostet hatte! »Ich will erst meine Pfeife vom Boden aufnehmen«, sagte er.«
Sein Gesicht erheiterte sich, er sah schöner aus als je, als er den kostbaren Gegenstand unversehrt fand und wieder in sein Etui steckte. »Wie gut«, sagte er bei sich, »daß sie mir die Pfeife nicht zerbrochen hat.«
»Ich appellire an Dein eigenes gesundes Urtheil«, sagte er jetzt in ruhigem und verständigem Tone, »wozu nützt es, daß Du Dich so heftiger Ausdrücke gegen mich bedienst; wünschest Du, daß die da Draußen Dich hören? Aber so seid Ihr Frauen Alle; man kann es anfangen wie man will, man bemüht sich vergebens, Euch ein bischen Vorsicht beizubringen.«
Hier hielt er inne und erwartete eine Antwort Von ihr.
Sie ihrerseits aber forderte ihn auf, fortzufahren.
»Sieh’«, sagte er, »Du hast gar keinen Grund, mir zu zürnen; ich will ja mein Wort nicht brechen, aber was kann ich thun, ich bin nicht der älteste Sohn meines Vaters, sondern hänge ganz und gar von ihm ab und stehe schon ohnedies auf schlechtem Fuße mit ihm; siehst Du jetzt, wie die Sache liegt? Du bist eine Dame, das weiß ich recht gut, aber Du bist doch nur eine Gouvernante. Es ist so gut in Deinem Interesse wie in meinem, wenn ich warte, bis mein Vater für mich gesorgt hat, mit einem Wort, wenn ich Dich jetzt heirathe, bin ich ein ruinirter Mensch.«
Diesmal blieb sie ihm die Antwort nicht schuldig.
»Du Schurke, und wenn Du mich nicht heirathest, bin ich ein zu Grunde gerichtetes Mädchen.«
»Was willst Du damit sagen?«
»Das weißt Du! Sieh mich nicht so an.«
»Wie kann ich ein Mädchen, das mich einen Schurken schilt, anders ansehen?
Plötzlich aber änderte sie ihren Ton.
Das in jedem Menschen schlummernde Element der Bestialität, zu dessen Bewältigung die Erziehung grade« dieses Mannes am Wenigsten geeignet gewesen war, fing an, sich in dem Ausdruck seiner Augen und in seiner Stimme leise zu zeigen.
Es war klar, daß Einer von Beiden nachgeben mußte.
Für das Weib stand am meisten auf dem Spiel und sie war es daher, die sich fügte.
»Sei nicht so hart gegen mich«, bat sie, »ich will auch nicht hart gegen Dich sein.«
»Der Zorn hat mich überwältigt, Du kennst meine heftige Gemüthsart, es thut mir leid, daß ich mich vergessen habe!«
»Geoffrey! meine ganze Zukunft liegt in Deiner Hand, willst Du mir nicht Gerechtigkeit angedeihen lassen?«
Sie trat nahe an ihn heran und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Hast Du mir kein Wort zu sagen?«
Keine Antwort, nicht einmal ein Blick.
Sie wartete noch einen Augenblick, dann aber ging wieder eine merkwürdige Veränderung mit ihr vor.
Sie wandte sich um und ging langsam auf die Thür des Garten-Pavillons zu.
»Es thut mir leid, daß ich Sie gestört habe, Mr. Delamayn, ich will sie nicht länger incommodiren.«
Er sah sie an. Sie hatte die Worte in einem Tone gesprochen, den er an ihr nicht kannte; in ihren Augen leuchtete ein unheimliches Feuer.
Mit, einer plötzlichen und gewaltigen Bewegung streckte er die Hand nach ihr aus und hielt sie zurück.
»Wo willst Du hin?« fragte er.
Ihm gerade in’s Gesicht sehend, antwortete sie:
»Wohin seht viele junge Mädchen vor mir gegangen sind, fort aus dieser Welt!«
Er zog sie sanft an sich heran und sah ihr scharf in’s Auge. Selbst sein Verstand reichte hin, zu erkennen, daß er sie aufs Aeußerste gebracht hatte.
»Du willst Dir das Leben nehmen?«
»Ja,