Der kleine Fürst Staffel 8 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
kann es dir jetzt nicht erklären – bitte, ich habe mein Wort gegeben, dass ich meinen Mund halte. Und eigentlich habe ich auch versprochen, mich mit niemandem in Verbindung zu setzen, aber ich drehe hier langsam aber sicher durch, Albert.«
»Kann ich dir helfen?«
»Ja, rede mit mir. Irgendwas. Sag mir zum Beispiel, dass du immer noch mein Freund bist, obwohl du denken musst, dass ich den Verstand verloren habe.«
»Das habe ich keine Sekunde lang gedacht. Lara denkt das auch nicht, übrigens. Und mach dir keine Gedanken wegen dieses Fotos in der Zeitung – falls du das überhaupt gesehen hast …«
»Ich habe es gesehen«, erklärte Lorenz, behielt aber für sich, dass das Foto erst den Anstoß für seinen Anruf gegeben hatte.
»Zwar weiß ich nicht, warum sie mit diesem Kerl ausgegangen ist, aber es hat sicherlich nichts damit zu tun, dass er ihr gefällt. Allerdings kocht jetzt natürlich die Gerüchteküche, das kannst du dir ja denken. Die meisten vermuten, dass sie es jetzt allen zeigen will: Einer hat mich sitzen gelassen, aber ich habe noch andere Verehrer. Ich halte das allerdings für Unsinn. Ach ja, falls du es immer noch hören willst: Natürlich bin ich noch dein Freund. Ich hoffe, du hast nicht daran gezweifelt?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Du hast ein neues Handy, oder? Deine alte Nummer ist das jedenfalls nicht.«
»Ja, alles ist neu«, erklärte Lorenz. »Die Gegend, die Wohnung, das Handy, der Wagen. Ich habe mich unauffindbar gemacht, Albert. Jetzt sollte ich aufhören, mit dir zu telefonieren. Sag niemandem etwas von unserem Gespräch – ich könnte ziemlichen Ärger bekommen, wenn etwas davon den falschen Leuten bekannt würde.«
»Auch Lara nicht?«
»Vor allem Lara nicht, Albert!« Nach diesen Worten beendete Lorenz das Gespräch, ohne seinem Freund die Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben.
Eine Weile starrte er danach noch auf das Foto von Lara und Michael von Angern, dann fiel sein Blick auf den Briefumschlag, den der alte Bauer ihm gegeben hatte. Er schlitzte ihn auf und fand darin den Namen, die Adresse und mehrere Telefonnummern eines Instrumentenverleihs. Mit gelbem Filzstift markiert war die Zeile: Elektronische Klaviere.
Unvermittelt traten ihm Tränen in die Augen. Er machte gerade eine sehr schlimme Phase seines Lebens durch, aber er konnte nicht umhin, festzustellen, dass es dennoch Menschen gab, die ihm zu helfen versuchten, obwohl sie keinen Grund hatten, ihm zu vertrauen. Friedhelm Karl war so ein Mensch – und offenbar gehörten ja auch die Nachbarn des alten Bauern dazu, die ihn, den Gast, freundlich grüßten und niemals auf die Idee gekommen wären, einem Journalisten einen Tipp zu geben.
Nur: Was half ihm das alles, wenn er ohne seine große Liebe leben musste?
*
»Danke, Chris, dass ich dich begleiten durfte«, sagte Lara, als der kleine Fürst und sie den Familienfriedhof wieder verließen. Togo, der sie begleitet hatte, war bereits weit vorausgelaufen, um verführerischen Spuren zu folgen. »Es war mir ein Bedürfnis, deinen Eltern einen Besuch abzustatten.« Sie blieb stehen und sah sich noch einmal um. »Es ist ein sehr schöner Ort«, setzte sie hinzu.
»Ja, das finde ich auch, ich bin gerne hier«, erklärte Christian. »Nicht nur, weil es schön ist, sondern auch, weil ich mich meinen Eltern hier am nächsten fühle. Kannst du das verstehen?«
»Ja, natürlich kann ich das. Du redest mit ihnen, nicht wahr?«
Er nickte. »Manche finden das verrückt, glaube ich. Wie kann man mit Menschen reden, die tot sind? Aber ich tue es ja nur in Gedanken, und wenn ich mich dann ganz stark auf sie konzentriere, sehe ich sie manchmal deutlich vor mir. Vor allem weiß ich, dass sie mich hören können. Sie begleiten mich weiterhin durch mein Leben – nur anders als zuvor.«
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Übrigens reden viele Menschen mit Verstorbenen, die sie sehr geliebt haben – so ungewöhnlich ist das gar nicht. Außerdem finde ich, dass jeder das so machen muss, wie es für ihn am besten ist.«
Sie gingen den schmalen Weg hinunter in den Schlosspark. Togo war nicht mehr zu sehen, aber ab und zu hörten sie ihn kurz bellen. Lara lächelte. »Er ist in seinem Element, scheint mir.«
»Ja, ich glaube, Togo ist ein ziemlich glücklicher Hund: Der Schloss-park gehört ihm, der angrenzende Wald auch – und das Schloss sowieso. Jedenfalls ist das seine Meinung.«
Sie lachten beide und setzten ihren Weg zurück zum Schloss eine Weile schweigend fort, bis der kleine Fürst zögernd sagte: »Wir wissen nicht richtig, wie wir mit dir umgehen sollen, Lara. Willst du aufgeheitert oder lieber in Ruhe gelassen werden? Dürfen wir Lorenz erwähnen oder nicht?«
»Ach, Chris«, seufzte Lara. »Ich kann dir diese Fragen gar nicht richtig beantworten. Lieber rede ich im Augenblick nicht über Lorenz – einfach, weil es nichts zu reden gibt. Man kann ja nur Vermutungen anstellen, da niemand etwas weiß. Aber wenn ihr euch ständig bemüht, seinen Namen nicht in den Mund zu nehmen, wird die Stimmung bald völlig verkrampft sein, und davon hat niemand etwas. Wenn ihr mich aufheitern wollt, dann tut das ruhig, aber eigentlich denke ich, dass es nicht nötig ist. Ich bin nicht am Boden zerstört, wirklich nicht.«
»Nein?«, fragte er verwundert. »Aber wieso denn nicht? Immerhin wolltet ihr heiraten, ihr wart sehr verliebt ineinander, und jetzt …«
»Wir sind sehr verliebt ineinander«, korrigierte sie. »Ich glaube nicht, dass sich daran etwas geändert hat.«
Er warf ihr einen verunsicherten Blick zu, den sie jedoch nicht bemerkte. »Ich würde gern wissen, was da passiert ist«, fuhr sie fort. »Er muss einen guten Grund für sein Verhalten gehabt haben, das ist alles, was ich weiß. Und jetzt, mein lieber Chris, wechseln wir das Thema, ja?« Sie berührte bei diesen Worten ganz leicht seinen Arm.
»Danke, Lara.«
»Wofür?«
»Dass du versucht hast, meine Fragen zu beantworten. Jedenfalls sehe ich jetzt etwas klarer. Wir müssen uns also nicht verbiegen, um nur ja nichts Falsches zu sagen – richtig?«
»Richtig!«, bestätigte sie mit fester Stimme.
Eberhard Hagedorn öffnete das Hauptportal und empfing sie mit der Ankündigung, dass in wenigen Minuten Tee und Gebäck auf der Terrasse serviert würden.
*
»Ich bin jetzt gleich in Sternberg, Herr Wolle«, sagte Ulrich von Wandel. Er war dankbar für die Freisprechanlage in seinem Wagen, sonst hätte er jetzt nicht telefonieren können. »Sollte es etwas Wichtiges geben, rufen Sie mich jederzeit an. Falls nicht, gönnen Sie mir bitte ein freies Wochenende, ja?«
»Klar, Chef«, erwiderte Andreas Wolle mit einem Unterton von Neid in der Stimme. »Sie haben es wirklich gut …«
»Bitte, keine Klagen, Herr Wolle, ja? Seit Monaten habe ich jedes Wochenende gearbeitet, nun gönnen Sie mir auch mal ein paar freie Tage. Wir sehen uns am Montag im Büro!« Energisch beendete Ulrich das Gespräch und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Den ersten Blick auf Schloss Sternberg hatte
er schon genossen: Elegant thronte es auf seiner Anhöhe, im leichten Gegenlicht einem Schattenriss äh-nelnd. Sobald er die Straße erreichte, die sich die Anhöhe hinaufschlängelte, verschwand das Schloss aus seinem Blickfeld.
Er ließ sich Zeit. Auf die vor ihm liegenden Tage freute er sich sehr, denn was er zuvor gesagt hatte, traf tatsächlich zu: Er hatte seit Monaten kein freies Wochenende mehr gehabt, seine Überstundenliste war ellenlang. Aber so war das wohl, wenn man mit seiner Arbeit verheiratet war.
Er hatte den Hügel erklommen, die lange Auffahrt zum Schloss begann. Als er den Wald verließ, ragte es vor ihm auf. Unwillkürlich verlangsamte er die Fahrt wieder, um die Schönheit des Gebäudes auf sich wirken zu lassen. Seine Vorfreude wuchs. Gleich darauf stellte er den Wagen auf dem Vorplatz ab und stieg aus.
»Hallo!«, rief eine helle Stimme hinter ihm. »Sie müssen der Kriminalrat sein.«
Verwundert