Familie Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Leitner hatte inzwischen dafür gesorgt, daß das schwangere Mädchen einen wärmenden Schlafanzug aus dem Krankenhausfundus erhalten hatte. Danach hatte er weitere Untersuchungen durchgeführt, konnte aber keine Anzeichen für eine Gestose feststellen. Offenbar hatte die Aufregung, in der sie sich befand, als Fee sie gefunden hatte, die Bauchschmerzen und schließlich auch die Ohnmacht hervorgerufen.
»Willst du mir nicht verraten, wie du heißt?« fragte er fürsorglich, nachdem die Blutentnahme beendet war.
Schorsch saß an ihrem Bett und blickte gerührt in das verstörte Gesicht. Sie könnte meine Tochter sein, schoß es ihm einen Moment durch den Kopf.
Seitdem Fee und Daniel die Klinik verlassen hatten, hatte das Mädchen kein Wort mehr gesprochen, und auch jetzt schüttelte es nur den Kopf. Schorsch seufzte. »Wie du willst. Früher oder später werden wir es schon herausfinden«, erklärte er und erhob sich. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, und die Müdigkeit steckte ihm in den Knochen. Da betrat Schwester Klara mit ernstem Gesicht das Zimmer.
»Herr Dr. Leitner, es kommt noch ein Notfall. Frau Gordon hat das Kind verloren«, erklärte sie mit betretener Miene.
»O nein, auch das noch!« stöhnte er auf. Er warf einen letzten Blick auf das Mädchen und verließ mit einem knappen Gruß das Zimmer, um sich um Marlene und Sascha Gordon zu kümmern.
»Ich habe mein Kind verloren«, erklärte Marlene tonlos. Sie hatte keine Tränen mehr und sah Hans-Georg Leitner traurig an.
»Darf ich Sie untersuchen?« fragte er, obwohl er an dem Blut sah, daß sie zweifellos recht hatte.
Sie nickte wortlos, und so schob die Schwester das Bett, auf dem Marlene inzwischen lag, in ein Untersuchungszimmer. Während Sascha draußen wartete, übermannten ihn die Gefühle, die er bis dahin verdrängt hatte. Er schlug die Hände vors Gesicht und dachte an sein Kind, das sie verloren hatten.
»Warum, Herr Dr. Leitner, warum?« fragte Marlene inzwischen immer wieder. Die Ultraschalluntersuchung hatte letzte Sicherheit gebracht, der Fötus war tatsächlich abgegangen.
»Ich habe Ihnen erklärt, daß die Fruchtwasseruntersuchung gewisse Risiken birgt. Aber ich gehe eher davon aus, daß das Kind nicht gesund war. Sicher ist es ein Zufall, daß es nach der Untersuchung passiert ist«, versuchte Schorsch die verzweifelte Frau zu trösten, obwohl es ihm unendlich schwerfiel. Lange Zeit hatte er bereits mit dem sympathischen Paar gebangt und sich nach den letzten Fehlgeburten mit den beiden gefreut. Doch jetzt schienen alle Hoffnungen zerstört. In Marlenes Alter gab es kaum noch eine Chance auf eine weitere Schwangerschaft.
»Ich möchte das Untersuchungsergebnis der Amniozentese trotzdem haben«, erklärte Marlene leise. »Es wäre gut für mich zu wissen, daß ich das Kind nicht durch die Untersuchung verloren habe. Sonst muß ich mir mein ganzes Leben lang Vorwürfe machen.«
»Das dürfen Sie nicht, Frau Gordon«, bat Schorsch eindringlich, versprach aber, ihr die Ergebnisse mitzuteilen, als er ihren flehenden Blick sah. »Leider kann ich es Ihnen nicht ersparen, jetzt noch eine Ausschabung zu machen, um eine Infektion zu vermeiden«, fuhr er dann schweren Herzens fort.
»Es ist mir egal, was Sie tun«, erklärte Marlene unbeteiligt, und so blieb Herrn Dr. Leitner nichts anderes übrig, als den diensthabenden Arzt und eine Schwester über den bevorstehenden Eingriff zu informieren.
*
Als Fee am nächsten Morgen erwachte, wußte sie gleich, daß sie krank war. Ihr Kopf war schwer wie Blei, und sie konnte nur mit Mühe die Augen öffnen. Im Hals verspürte sie ein unangenehmes Kratzen.
»Jetzt habt ihr euch soviel Mühe mit mir gegeben, und ich bin trotzdem krank geworden«, flüsterte sie, als Daniel sie sorgenvoll betrachtete.
»Ich hätte mich zuerst um dich kümmern sollen, als um dieses Mädchen«, schimpfte Daniel, doch Fee legte ihre heiße Hand auf seinen Arm.
»Woher willst du wissen, daß sie nicht wirklich in Schwierigkeiten ist? Es tut mir gut, sie in Sicherheit zu wissen. Warte nur ab, in ein paar Tagen bin ich wieder auf dem Damm, dann wirst du froh sein, daß wir uns um sie gekümmert haben.«
»Du hast ja recht. Trotzdem ärgere ich mich. Ich hätte dich zuerst nach Hause bringen sollen.« Unwillig schüttelte er den Kopf.
»Erstens hätte ich das nicht zugelassen, und zweitens brauchen wir darüber nicht mehr nachzudenken«, lächelte Fee gequält. Es ging ihr schlechter, als sie zugeben wollte, doch sie wollte Daniel nicht beunruhigen.
»Also gut. Du bleibst heute schön im Bett, und Lenni wird dafür sorgen, daß du deine Ruhe hast. Wenn es dir heute mittag nicht bessergeht, verordne ich dir ein paar Medikamente«, erklärte Daniel streng.
»Jawohl, Herr Doktor«, entschlüpfte es Fee.
Er gab ihr einen Kuß auf die Wange.
Fee schloß erleichtert die Augen, als er das Zimmer verlassen hatte. Ein bißchen Ruhe würde ihr wirklich guttun.
Doch Daniel war ernsthaft in Sorge. Da Fee keinerlei Widerstand geleistet hatte, als er ihr Bettruhe verordnete, mußte es ihr wirklich sehr schlecht gehen.
»Fee ist krank«, murmelte er gedankenvoll, als er Lenni in der Küche traf, die zu einer Schlagermelodie aus dem Radio summte. Sofort stellte sie die Musik leiser.
»Hab’ ich es mir doch gedacht. Sie hatte heute nacht schon so schlecht ausgesehen«, erklärte diese. »Aber machen Sie sich keine Sorgen, Herr Doktor. Ich kümmere mich um die Kinder, damit sie rechtzeitig in die Schule kommen.«
»Das ist lieb von Ihnen. Die beiden Kleinen bringe ich mit dem Wagen in den Kindergarten und hole sie heute mittag auch wieder ab.«
»Dann ist ja alles in Butter«, stellte Lenni zufrieden fest, während sie Tee für Fee kochte. »Sie können schon frühstücken, Herr Doktor. Es ist alles fertig.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und stellte das Radio wieder lauter. Es war sieben Uhr und die Nachrichten wurden gesendet, die sie nicht verpassen wollte. Auch Daniel blieb interessiert in der Küche stehen. Die Geschehnisse der vergangenen Nacht standen plötzlich wieder vor ihm, und er lauschte gebannt, ob das Verschwinden eines schwangeren Mädchens gemeldet wurde. Als er schon dachte, daß er umsonst gewartet hatte, ertönte endlich die ersehnte Nachricht.
»Und hier noch eine Suchmeldung der Polizei. Seit gestern morgen ist die fünfzehnjährige Yasmin Pecher aus dem Kinderheim abgängig. Das hochschwangere Mädchen ist circa einen Meter fünfundsechzig groß, hat braunes langes Haar und ist bekleidet mit einer Jeans und dunkelblauem Pullover. Sie benötigt dringend ärztliche Hilfe. Sachdienliche Hinweise melden Sie bitte der nächsten Polizeidienststelle.«
Daniel war zufrieden. »Da haben wir es ja«, erklärte er triumphierend. »Ich hätte nicht gedacht, daß es so einfach ist.«
Lenni sah ihn verständnislos an, doch es blieb ihm keine Zeit für Erklärungen. Eilig ging er die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, wo Fee gerade wieder eingeschlafen war. Sie schreckte hoch, als er eintrat.
»Was ist, wo bin ich?« fragte sie und blickte sich verwirrt um.
»Entschuldige, daß ich dich noch einmal störe, aber ich habe eine interessante Neuigkeit für dich.« Er wartete auf Fees Reaktion. Es dauerte eine Weile, bis seine Worte zu ihr durchdrangen, dann blickte sie ihn fragend an.
»Was ist passiert?«
»Das Mädchen in der Klinik heißt Yasmin Pecher und ist aus einem Kinderheim ausgerissen. Sie benötigt dringend ärztliche Hilfe«, erklärte er.
»Also doch!« murmelte Fee matt und ließ den Kopf wieder in die Kissen sinken. »Du mußt mit Schorsch sprechen. Er darf sie auf keinen Fall abholen lassen.«
»Mach dir keine Sorgen, Schatz. Ich werde mich darum kümmern, daß alles so geschieht, wie du möchtest.«
»Du bist so lieb. Aber jetzt muß ich schlafen. Ich bin so müde.« Sie schloß die Augen, und nach kurzem Zögern verließ er sie, entschlossen, Lenni ein fiebersenkendes Mittel dazulassen, das sie ihr