Im Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Du musst sie verstehen, Onkel Paul. Vati ist erst ein paar Wochen tot. Es war für uns alle ein schwerer Schock.«
»Ich will sie doch nicht drängen, ich möchte doch nur für sie sorgen. Sei ehrlich, Roli, sie hat es doch nie leicht gehabt!«
»Nein, aber ich glaube, Mami gehört zu den Frauen, die es gar nicht leicht haben wollen. Sie ist eine Kämpfernatur. Eigentlich seid ihr euch ähnlich. Ich habe manchmal gedacht, was Vati ohne sie wohl gemacht hätte. Er war ein wundervoller Vater, Onkel Paul. Du darfst mich jetzt nicht missverstehen. Aber der Motor war immer Mami.«
»Das weiß ich nur zu gut, Roli. Sie ist noch jung. Sie soll endlich leben, nicht mehr sorgen.«
»Wie sehr musst du sie lieben, dass diese Liebe Jahrzehnte überdauert hat.«
»Mein Kind«, sagte er gepresst, »ich wusste, dass du mich verstehst. Bitte, lass mich nicht im Stich! Ich setze meine ganze Hoffnung auf dich, weil nur du es ganz verstehen kannst.«
»Weil ich auch liebe«, flüsterte sie und lehnte ihre Stirn an seine Schulter. »Lass Mami ein wenig Zeit. Sie muss Abstand gewinnen. Man kann sie nicht zwingen. Sie muss von selbst wollen. Vielleicht denkt sie jetzt auch, dass du es so deuten könntest, als wolle sie dich ausnützen. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ist es nicht so, Onkel Paul, dass eine große Zuneigung unabhängig sein will von materiellen Dingen?«
»Bei uns ist es ja wohl doch ein wenig anders. Hilfst du mir, Roli?«
»So weit ich kann. Ich mag dich auch, Onkel Paul. Aber da ist Harald schon.«
»Dann verziehe ich mich.«
»Warum denn? Begrüßen kannst du ihn doch wenigstens«, lächelte Carola.
Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten. Dann aber trat Paul Deuring den Heimweg an.
Carola hatte Harald viel zu erzählen. Er war froh, dass wenigstens die Angelegenheit mit Helga zu einem guten Ende gekommen war.
Paul Deurings Vorhaben, die ganze Familie mit nach Amerika zu nehmen, betrachtete er allerdings auch skeptisch.
»Du sollst ja auch mitkommen, Harald«, erklärte Carola.
»Willst du denn? Lockt dich Amerika?«
»Ich will sein, wo du bist.«
Er küsste sie innig. »Ich bin hier schon verwurzelt, Liebes, was aber nicht bedeuten soll, dass ich nicht anderswo auch Fuß fassen könnte. Onkel Paul ist noch jung, und bis er sich mal zur Ruhe setzt, ist Peter erwachsen.«
Er sah sie unsicher an, als fürchte er ihren Widerspruch. Aber Carola lächelte.
»Und hier steht das Haus, das du in weiser Voraussicht so diskret erstanden hast.«
»Du weißt es?«, fragte er verlegen. »Woher?«
»Eine gute Privatsekretärin weiß alle Geheimnisse ihres Chefs«, scherzte sie. »Aber Spaß beiseite, ich habe es ganz zufällig von Fritzi erfahren, die wohl keine Ahnung hatte, dass du es mir verschwiegen hast.«
»Das Haus könnte man ja auch wieder verkaufen«, räumte er ein.
»Dieses nicht. Es bedeutet mir unsagbar viel, und ich weiß, dass wir darin sehr glücklich sein werden.«
»Roli, mein Liebes!«, flüsterte er, und dann hielten sie sich minutenlang stumm umschlungen.
*
Die Tage gingen dahin. Franziska ließ sich nicht beirren. Jeden Morgen suchte sie ihre Arbeitsstätte auf, wie auch Carola.
Peter und Volker fuhren in die Schule, während Helga im Hinblick darauf, dass sie in Amerika ein College besuchen sollte, davon befreit war.
Sie durchstreifte mit Onkel Paul die Umgebung, lernte Land und Leute richtig kennen und kam auch zu der Überzeugung, dass der Abschied nicht leichtfallen würde.
Aber nun stand es schon fest.
Nächste Woche würden sie fliegen.
Die Plätze waren bereits gebucht. Onkel Paul musste sich wieder um seine Fabrik kümmern.
Sehr unterschiedlich hatten Peter und Volker auf dieses Vorhaben reagiert.
Peter war durchaus nicht abgeneigt gewesen, mit ihnen zu gehen, aber da Franziska so konsequent blieb, äußerte er seine Meinung nicht.
Volker stellte sich noch immer auf die Hinterbeine.
»Du wirst schon sehen, Mami, dass Helga bald wiederkommt«, meinte er zuversichtlich.
»Onkel Paul kann doch alles verkaufen und auch herkommen. Es werden ja noch ein paar Häuser gebaut.«
»Und was soll er hier anfangen?«
Das wusste Volker allerdings auch nicht, denn er konnte sich keinen Begriff von dem Ausmaß der Fabrik machen, die Paul Deuring mit unerhörtem Fleiß vergrößert hatte und die vielen Menschen Arbeit gab.
Immerhin konnte man sagen, dass er sich jetzt auch recht gut mit Onkel Paul verstand, nachdem dieser ihm das heißersehnte Fahrrad gekauft hatte. Kinder seines Alters waren nun mal bestechlich.
Für Franziska war das ein unbehaglicher Gedanke. Sie wusste sehr gut, dass Paul die Wünsche der Kinder nicht aus purer Berechnung erfüllte, aber er nahm nun schon einen Platz unter ihnen ein, der leer bleiben würde, wenn er nicht mehr bei ihnen weilte.
Mit Erschrecken wurde sie sich ihrer Gedanken bewusst, und Wehmut beschlich sie, als der Tag des Abschieds vor der Tür stand.
Helga war so vom Reisefieber gepackt, dass sie solchen wehmütigen Gedanken nicht nachhängen konnte.
Für sie stand es fest, dass sie bald wieder vereint sein würden.
»Du musst uns aber ausführlich schreiben, wie es dort ist«, verlangte nun auch Volker nachdrücklich.
»Und dann werdet ihr uns in den Sommerferien besuchen«, schlug Onkel Paul vor.
Die standen nun ohnehin vor der Tür. Eigentlich, so meinte Peter, und insgeheim schloss sich auch Volker ihm an, hätten sie doch gleich mitfliegen können, wenigstens zu einem Besuch.
Franziska aber beharrte eigensinnig darauf, dass sie sich eben erst eingearbeitet hätte. Nein, in den Sommerferien würden sie bestimmt nicht kommen.
Dann Weihnachten, meinte Helga. Ein Schatten fiel über ihr Gesicht; denn nun dachte sie daran, dass es das erste Weihnachten ohne den Vater war, ein Weihnachtsfest, das sie fern von Mutter und Geschwistern verbringen wollte.
»Carola wird im Dezember heiraten«, sagte Franziska. Sie sah Paul dabei nicht an.
»Nun, dann werden wir ja auf jeden Fall kommen, und …« Er unterbrach sich und griff nach Franziskas Hand. Eine stumme Bitte lag in dieser Geste.
»Und dann feiern wir Weihnachten hier alle zusammen«, freute sich Volker.
*
Noch einmal waren Helga und Onkel Paul auf dem Friedhof gewesen und hatten das Grab mit Blumen geschmückt.
Nun, als das Flugzeug sie schon über das Meer trug, stand Franziska hier. Wie schnell doch die Zeit verging!
Die kleine Zwergtanne neben dem Grabstein, der nur den schlichten Namenszug trug, war eingewurzelt. Das Leben geht weiter, dachte sie, und es ist gut so.
Plötzlich stand Volker neben ihr und lehnte seinen Kopf an ihren Arm.
»Wir hatten früher Schule aus. Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finden würde, Mami«, sagte er leise. »Es ist mächtig heiß heute, aber nächste Woche beginnen ja die Ferien.«
Für die Kinder gilt es noch mehr, dass das Leben weitergeht, dachte Franziska. Sie wollen nicht an das Sterben erinnert werden, nicht daran denken, wer der Nächste sein könnte.
»Wo sind Helga und Onkel Paul jetzt?«, fragte er weiter.
Ȇber