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Tokio - Berlin: Von der japanischen zur deutschen Kaiserstadt. Jintaro OmuraЧитать онлайн книгу.

Tokio - Berlin: Von der japanischen zur deutschen Kaiserstadt - Jintaro Omura


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zweiten Tage vormittags um 9 Uhr lief das Schiff in den Hafen von Kobe ein. Ich hatte die Absicht, nach Kioto zu fahren, um Sr. Durchlaucht dem Prinzen Konoye, unserm Präsidenten, der sich zur Zeit dort aufhielt, einen Besuch abzustatten; da aber der Dampfer wider Erwarten nur bis zum Abend vor Anker lag, so mußte ich diesen Plan aufgeben. Ich beschränkte mich daher auf Anraten meines Reisegefährten, des Herrn Dr. Erdmannsdörffer – früher Lehrer am Gymnasium in Kumamoto und später an der Kadettenschule in Tokio – einen berühmten Porzellanladen Bankinzan zu besichtigen. Ich sah dort viele schöne Porzellane, welche sämtlich in der Provinz Satsuma weiß gebrannt und in Kobe fein bemalt unter dem Namen Satsumayaki sehr viel verkauft werden. Besonders fiel mir ein kleines Tellerchen auf, das mit tausenden von Schmetterlingen bemalt war, und zwar so fein, daß man sie nur mit Hilfe einer Lupe beobachten konnte, ebenso ein kleiner Becher mit vielen hunderten spielender Knaben. Diese in Kobe bemalten Satsumaporzellane sollen in Europa einen hohen Liebhaberwert haben, meinem Geschmack sagen sie aber wenig zu, denn sie sind, meiner Ansicht nach, zu überladen. Die ungeheuer mühevolle Arbeit ist ohne Zweifel daran bewundernswert, aber das, was uns gefällt, ist das einfach Vornehme.

      Mit der Besichtigung war ich gegen Mittag fertig. Es blieb mir daher noch ein halber Tag übrig; ich nutzte die Zeit am besten so aus, daß ich einen Abstecher nach Osaka machte. Osaka ist eine sehr belebte Fabrikstadt, damit ist aber auch alles gesagt. Dem Auge bietet sie nichts Besonderes dar: eine Menge Schornsteine – enge Gassen – Gräben – Kanäle – hölzerne Brücken – großes Leben auf den Straßen... das ist Osaka. – Von dem vielen Umherlaufen müde, langte ich abends in Kobe wieder an und ging sofort an Bord, wo sich zu meiner großen Freude unsere japanische Kolonie um einen Landsmann vermehrt hatte. Mit dem neuen Ankömmling, Herrn E. Otani, dem jüngeren Bruder des gleichnamigen Grafen von Higaschihonganji, waren wir also jetzt im ganzen zehn Japaner.

       Nagasaki.

       Inhaltsverzeichnis

      Das berüchtigte Genkainada oder die schwarze See, der gefährlichste Teil des japanischen Meeres, war diesmal glatt wie ein Spiegel. Das volkstümlich gewordene Lied, daß selbst Vögel nicht imstande seien, über dieses schwarze Meer hinwegzufliegen – Torimo kayowanu Genkainada – traf diesmal Gott sei Dank nicht zu, denn wir kamen schon am 6. April früh morgens wohlbehalten in Nagasaki an. Hier sahen wir im Hafen je einen deutschen, französischen und russischen Kreuzer liegen; ein paar andere Kriegsschiffe ankerten so weit entfernt, daß wir die Flaggen nicht erkennen konnten. Fast gleichzeitig mit unserem Dampfer lief auch eine englische Fregatte ein, deren eherner Gruß von den im Hafen liegenden Schiffen erwidert wurde. Der Donner der Kanonen und der aufsteigende Pulverdampf, in dessen Mitte wir uns befanden, galt für uns als eine erquickende Unterbrechung der eintönigen Wasserfahrt und wir ließen unsere Augen gern an diesem Schauspiel weiden.

      In Nagasaki besah ich mit meinen Landsleuten die Schiffswerft des Mitzubishikaisha, eine Privatanstalt des Baron Iwasaki. Ein Dampfer von 6000 Tonnen, der als Schwesterschiff des Sanukimaru für den Nippon-Yusenkaisha bestimmt ist, war gerade im Bau begriffen. Der Kiel war schon gelegt und die Hälfte des riesigen Rumpfes stand fertig da. Im Dock lag ein französisches Kanonenboot zur Ausbesserung. Nachdem wir die Gießerei, Schlosserei, Drechslerei, Tischlerei, kurz, alle Werkstätten der Reihe nach angesehen hatten, führte man uns in eine Schule, die eigens für die Knaben der zu dieser Schiffswerft gehörenden Beamten und Arbeiter errichtet ist. Das steinerne massive Schulgebäude ist nach englischem Muster aufgeführt und sah weit schöner aus, als manche Staatsschulen in Tokio. Die Ausstattung (Tische, Bänke, physikalische und chemische Apparate, Wandkarten u. s. w.) war gut geordnet und entsprach im großen und ganzen modernen Anforderungen. Was die Personalverhältnisse anbelangt, so konnte ich bei der Kürze der Zeit nichts Genaueres erfahren; die Schule selber scheint so gedacht zu sein, daß sie außer der Einprägung des allgemeinen Wissens die Heranbildung künftiger Fachleute für die Schiffswerft ins Auge faßt. Hoffentlich wird die Schule sich noch weiter entwickeln und gedeihen.

      Blick auf Nagasaki.

      Zu Mittag aßen wir in einem Teehause Geiyoro mit gutem Humor und gutem Appetit die echt japanisch zubereiteten Speisen; diese dürften wohl auf zwei Jahre die letzten sein. Wir langten also tüchtig zu und würzten das Mahl mit ein paar Fläschchen Sake. Auch das Auge blieb nicht unbefriedigt, denn uns zu Füssen dehnte sich die Stadt und weiter hin das Meer aus. Vor uns lag stolz und majestätisch auf der Rhede unser »König Albert«, der sich in der Umgebung der anderen Schiffe wie ein gewaltiger Riese ausnahm. Ob es uns auch so ergehen wird, wenn wir von Europa aus unser Vaterland betrachten? Ob unser Vaterland mit anderen europäischen Ländern verglichen uns recht groß erscheinen wird und seine Schönheiten ihnen gegenüber noch mehr hervortreten werden?

      Ehe wir an Bord gingen, stampften wir wie zum letzten Gruße mit festem Tritt den heimatlichen Boden, denn Nagasaki ist ja der letzte japanische Hafen. Früh morgens, den 10. April, wurde der Anker gelichtet, und bald hatten wir das prächtige Panorama hinter uns – da plötzlich ..... ja, was war das? Welch' eine süße Weise dringt an mein Ohr? Ich blicke umher und sehe nicht allzuweit von unserem Schiff einen englischen Kreuzer vorbeifahren und auf seinem Verdeck spielt die Musik ein Lied:

      »Hotaruno Hikari Madono Yuki

      Fumiyomu Tsukihi kasanezuzu.«

       Ein japanisches Lied – auf dem englischen Schiffe? Wie kommt denn das aber? Mein Reisegefährte, Herr Musiklehrer Taki, kam mir zu Hilfe und sagte mir, daß das wohlbekannte japanische Lied nach der Melodie der englischen Nationalhymne komponiert sei. Wie in Andacht versunken stand ich auf dem Verdeck und hörte wonnetrunken den holden Klängen zu. O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder, die ich zu Hause so manchesmal von der fröhlichen Jugend habe singen hören! »Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja vielmehr je älter sie ist, je gewohnter man sie ist, desto mehr wirkt sie«, hat Goethe gesagt und er hat recht; denn die Melodie, an welche mein Ohr so lange gewöhnt ist, übte jetzt auf mich eine so große Wirkung aus – mag sie auch nach der englischen komponiert sein oder nicht, der Erfolg ist und bleibt für mich derselbe. Jetzt, wo wir von der lieben Heimat Abschied nehmen – ein japanisches Lied zu hören! Mit Entzücken lauschte ich der mehrmals wiederholten Melodie und unwillkürlich kamen mir die Worte in den Sinn, die einst Schiller gesungen:

      »Was ahnungsvoll den tiefen Busen füllet,

      Es spricht sich nur in meinen Tönen aus;

      Ein holder Zauber spielt um deine Sinnen,

      Ergieß ich meinen Strom von Harmonien;

      In süßer Wehmut will das Herz zerrinnen,

      Und von den Lippen will die Seele fliehen;

      Und setz' ich meine Leiter an von Tönen,

      Ich trage dich hinauf zum höchsten Schönen.«

      (Huldigung der Künste.)

       Der Kreuzer war längst meinen Blicken entschwunden, längst war die liebe Weise verhallt und nun blickte ich zurück, wo im Osten noch die grünen Gipfel der heimatlichen Berge emporragten, als ob sie mit ihrem Grün mir die Hoffnung zu einer glücklichen Reise einflößen wollten. In voller Begeisterung nahm ich den Hut ab, nahm in Gedanken den letzten Abschied von dem Lande, wo meine Wiege stand und wo ich mein Teuerstes gelassen. Lange verweilte ich so, bis die Gipfel, von dem Schleier des immer höher aufsteigenden Meeres umhüllt, am Horizont verschwanden. Immer und immer wieder wandte ich mich um, um mir dieses entzückende Bild und dieses Gefühl der Begeisterung unauslöschlich einzuprägen. Vor mir lag wie eine unendliche Ebene ausgebreitet das ruhige spiegelglatte Meer und über dem ewigen Meer die unendliche Bläue.

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