Tokio - Berlin: Von der japanischen zur deutschen Kaiserstadt. Jintaro OmuraЧитать онлайн книгу.
Shanghai.
Am 12. April rasselte der Anker herab. Anfangs glaubten wir die große chinesische Hafenstadt Shanghai vor uns zu haben, es war aber nur das kleine Städtchen Wu-sung, das an der Mündung des Yantsekiang liegt; eine halbstündige Dampfbootfahrt auf dem Wusungflusse, einem sehr breiten, tiefen Nebenflusse des Yantsekiang, war erforderlich, wenn wir Shanghai besehen wollten. Da der Dampfer eine große Ladung einzunehmen hatte und es uns infolgedessen vergönnt war, den ganzen folgenden Tag hier zu verweilen, so verzichteten wir auf die Bootfahrt für heute und zogen es vor, an Bord zu bleiben, um morgen in aller Frühe mit desto größerem Genuß einen Streifzug auf dem Land unternehmen zu können. Wir betrachteten vom Schiff aus mit Erstaunen den riesengroßen Strom, dessen mächtige, sich weit erstreckende Mündung eher den Namen eines Meeres zu verdienen scheint. Mehr noch als diese gewaltige Breite setzt den Fremdling etwas anderes in Erstaunen: die schmutzig-gelbe Flut. Die beiden Ufer, die infolge der großen Entfernung kaum sichtbar sind, machen die graue Wasserwüste nur noch grauer. Schon der alte chinesische Ausdruck »Shitoku«, d. h. die vier Unsauberkeiten, womit man die vier größten Ströme Chinas, den Kasui, Kosui, Waisui und Shisui, bezeichnet, beweist, daß ihr Anblick selbst den eingebornen Chinesen seit Jahrhunderten her nicht gerade angenehm war. Mit Kasui wird Hoangho oder der gelbe Fluß, mit Kosui der Yantsekiang, mit Waisui der Whaiho und mit Shisui der Shuho bezeichnet. Das chinesische Sprichwort: »Hundert Jahre warten, bis die gelbe Flut klar wird,« womit man die Unmöglichkeit einer Sache bezeichnet, läßt uns annehmen, wie außerordentlich trübe und unrein die Schlammflut sein muß. Daß die Chinesen in den Strömen das Symbol des Unsauberen und Widerwärtigen, des Schmutzes und Abscheus sehen, ist sehr charakteristisch.
Wenn es richtig ist, daß der Charakter der Menschen von der ihn umgebenden Natur beeinflußt wird, so kann man sich nicht wundern, daß sehr viele Söhne des Reiches der Mitte so schmutzig sind. Sollten die beiden hervorstechenden Züge im Charakter der Chinesen: Unsauberkeit und Gewinnsucht, welche beide untereinander wieder in einem engeren Zusammenhang stehen, nicht in dem grauen, den Schmutz und Staub aller Jahrhunderte aufwühlenden Wasser ihren Ursprung haben? Wie der Strom – so das Volk! Und welch ein erhebendes Gefühl nun, wenn wir damit unsere heimischen Gewässer vergleichen, wo jeder Bach, Fluß oder See durchsichtig wie ein Krystall ist und so rein und ungetrübt sich hält, daß man bis auf den Grund sehen kann. Und so sind auch die Menschen. Bei uns ist die Reinlichkeit und Sauberkeit eine der größten Tugenden, die den Bürger zieren, und mit dieser Tugend verknüpft sich auch eine Reihe von schönen Eigenschaften, wie z. B. jene unsrem Volke so eigentümliche Freigebigkeit, die kein Opfer scheut und die schnöde Gewinnsucht verachtet.
Pagode bei Shanghai.
Während wir so im Freundeskreise unsere Meinungen austauschten, wurde uns ein Besuch gemeldet: Ein Herr N. vom Kajimayoko in Shanghai. Dieser Herr war eigens an Bord gekommen, um uns zu einer Besichtigung von Shanghai abzuholen. Da wir aber, wie bereits erwähnt, den Besuch der Stadt auf morgen verschoben hatten, so blieb er die Nacht bei uns an Bord zu Gast.
Am nächsten Morgen früh fuhren wir mit einem Dampfer stromaufwärts; bald tauchten die beiden flachen Ufer des Wusungflusses als schmale Streifen am Horizont auf. Allmählich kamen wir näher und nun konnten wir die Umgebung genauer ins Auge fassen. Auch hier ein ödes trostloses Grau, das mit dem Flusse zu wetteifern scheint. Das einzig Grüne, das sich grell von dem Grau abhebt und unsere Augen einigermaßen erfreut, ist die Flußweide, die hier zwar nicht kräftig, doch hinlänglich gedeiht. Weiter oben lassen sich hier und da regellose Gebäudemassen erkennen, aus denen einige hohe Häuser mit ihren freundlichen Fenstern uns entgegenleuchten.
Nach dreiviertelstündiger Fahrt kamen wir endlich in Shanghai an. Der Wusungfluß ist hier 400 bis 500 Meter breit und so tief, daß er imstande ist, Schiffe von bedeutendem Tonnengehalt zu tragen, so sahen wir hier zu unsrer großen Freude das japanische Kriegsschiff »Maya« und weiter hinten einen Dampfer »Hakuaimaru«, der in Diensten des japanischen Roten Kreuzes steht und zur Zeit des japanisch-chinesischen Krieges als Hospitalschiff gute Dienste geleistet haben soll, vor Anker liegen. Noch einige Kriegsschiffe und mehrere Postdampfer, welche zum Teil den Engländern gehörten, waren sichtbar und gewährten einen imposanten Anblick. Hoch auf dem Mast des »Maya« flatterte die Toppflagge mit der lieblichen Sonne uns entgegen. Das Gefühl, fern der Heimat in einer fremden Welt unsere Flagge zu erblicken, ist in der Tat etwas, was das Herz erhebt; der edle Stolz, der uns innewohnt, ein Angehöriger des schönen Landes zu sein, der nationale Gedanke, von welchem jeder Patriot so sehr beseelt ist, begeisterten uns, wir schwangen die Hüte, schwenkten die Tücher und begrüßten so unsere Flagge, und unser lautes Hurra wurde von den auf den Rahen stehenden Matrosen freudig erwidert. Unsere Marine, die sich in den letzten fünf Jahren außerordentlich schnell entwickelt hat, weiß sich in ihrer jetzigen Gestalt fern und nah Achtung und Geltung zu verschaffen, was aber diejenigen, die zu Hause kauern und der Ruhe pflegen, leider nicht gewahr werden. Auch ich gehörte einst zu jenen, auch ich war der Meinung, daß es töricht sei, gerade für das unproduktivste Glied eines staatlichen Körpers – für Militär und Marine – die meisten Mittel zu bewilligen; bei diesem Anblick fühlte ich mich aber nicht wenig betroffen und aus der Kehle drang mir unwillkürlich der Ruf: »Unsere Marine lebe hoch! hoch! hoch!« in den meine Gefährten fröhlich einstimmten.
Der »Bund« in Shanghai.
Oberhalb des kaiserlich japanischen Konsulatgebäudes landeten wir und bestiegen drei elegante Equipagen. Der erste Besuch galt dem Kajimayoko. Bald wurden wir mit den bei dieser Firma angestellten Landsleuten bekannt, schrieben Briefe, Ansichtskarten u. s. w. und fuhren dann mit unserem Begleiter in die Stadt. Diese bedeutendste Handels- und Hafenstadt Chinas, welche durch viele Flüsse und Kanäle mit den Seen im Innern, dem Kaiserkanal und dem Yantsekiang in Zusammenhang steht und ca. 500 000 Einwohner zählt, wurde vor etwa sechzig Jahren von den Engländern erobert und dem Fremdenverkehr übergeben. Bald darauf wurde der Hafen auch für den auswärtigen Handel eröffnet, und seitdem ist die Stadt in raschem Aufschwunge begriffen. Sie zerfällt in zwei verschiedene Teile, nämlich in die Altstadt Shanghai, die eigentliche Chinesenstadt, wo das Gouvernement liegt, und in die Neustadt oder die Fremdenstadt.
Das »Iltis«-Denkmal in Shanghai.
Es war dies das erste fremde Land, das ich betrat. Entgegen den Vorstellungen, die wir von Haus mitgebracht hatten, machte die Neustadt einen außerordentlich einladenden, modernen Eindruck. Sie ist verhältnismäßig weitläufig gebaut; die Häuser stehen nach dem Strome zu in dichten Reihen nebeneinander, nach der Innenseite zu aber werden sie lichter. Sie sind zum Teil aus Steinen hoch aufgebaut, die Straßen sind größtenteils gepflastert, ziemlich breit und teils mit Trottoirs versehen. Besonders schön ist der sogen. »Bund«, von den Chinesen Wan-poutang genannt, eine Straße, welche am Wusungflusse entlang führt und größtenteils von Engländern bewohnt wird. Hier erhebt sich eine Reihe stattlicher Gebäude: der englische Gerichtshof, der englische Klub, mehrere Konsulate, Banken usw. Auch mehrere japanische Firmen, wie die Filiale der Yokohama Speciebank, die der Nippon-Yusenkaisha und noch einige andere, sind hier zu finden. Der Speciebank gegenüber sehen wir auf einem frischgrünen Rasenplatz des Parkes das deutsche »Iltis«-Denkmal. Dieses sehr schöne Monument, das zum Andenken an den heldenhaften Untergang der »Iltis«-Mannschaft errichtet wurde, besteht in der Hauptsache aus einem metallenen abgebrochenen Mast, dem der Rest des »Iltis«-Wracks als Modell gedient hat.
Personenkarren in Shanghai.
Die sogenannte French Town, dann die britische, amerikanische und Hang-kou Settlements liegen der Reihe nach nebeneinander.