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Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann


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      Chidrowo

      Das hat die Kaiserin gesagt?

      Lassunsky

      Doch als die Orlows sich anheischig machten, zu Euer Erlaucht zu gehen, wollte die Kaiserin plötzlich nichts davon wissen. Sie gebot, daß Graf Woronzow den Auftrag übernehmen sollte, vielleicht weil sie den Ungestüm der Brüder Orlow fürchtete, vielleicht, weil sie in Wirklichkeit gar nicht wünscht, was sie zu wünschen scheint. Heut um die achte Stunde befahl der Kanzler seinen Wagen, und vor der Kasan-Kathedrale geschah es dann –

      Chidrowo

      (am Fenster, mit ausgestreckter Hand)

      Da sind Orlows Leute! (Stimmen und Waffenlärm vor dem Haus.)

      Rasumowsky

      (steht auf)

      Und du vermutest, daß der Überfall vom Grafen Orlow angestiftet worden ist? (Schaut gegen den Erker.)

      Lassunsky

      Ja, Erlaucht.

      Rasumowsky

      So wäre es augenscheinlich, daß Orlow dem Befehl der Kaiserin zuwidergehandelt hat –? (Man hört heftiges Klopfen am Tor.)

      Chidrowo

      Sie begehren Einlaß.

      Rasumowsky

      (erstaunt)

      Einlaß begehren sie? Das Tor ist offen. War’s denn nicht auch für euch geöffnet?

      Lassunsky

      (zögernd)

      Ich habe die Tore schließen lassen.

      Rasumowsky

      Die Tore meines Hauses?

      Chidrowo

      Ich denke, Erlaucht, man kann nicht mehr daran zweifeln, daß Orlow den Kanzler überfallen ließ, um ihn dingfest zu machen.

      Rasumowsky

      Die Tore meines Hauses? (Lassunsky senkt schweigend den Kopf.) Soll Orlow glauben, daß ich vor ihm zittere?

      Chidrowo

      Wie, Erlaucht, Sie wollen Orlow empfangen? (Erneutes Pochen von unten.)

      Rasumowsky

      Geh, Michael Jefimowitsch, und sag, daß das Tor aufgesperrt werde.

      Lassunsky

      (flehend)

      Erlaucht –

      Rasumowsky

      Klang es doppelzüngig, was ich gesagt?

      Lassunsky

      (geht schweigend ab –)

      Chidrowo

      (verschränkt die Arme; vor sich hin)

      Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ...

      Rasumowsky

      Eure Großmäuligkeit, was ist sie nutze? Ist euer Nein Vernunft, euer Ja Überlegung? Ich will sehen. Sehen und hören will ich, dazu gab mir Gott Augen und Ohren. Und wenn ich gesehen und gehört habe, dann will ich wägen, dazu hat mir Gott die Erfahrung eines langen Lebens zuteil werden lassen.

      Lassunsky

      (kommt zurück)

      Major Nischinski ist es, man hat ihn vorausgesandt, um Euer Erlaucht den Grafen Orlow zu melden.

      Rasumowsky

      Ich bin bereit.

      Chidrowo

      (noch leiser als oben)

      Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ...

      Lassunsky

      Ich sagte ihm, daß ich die Meldung übernehmen will.

      Rasumowsky

      (wie mit sich selber redend)

      In ein Antlitz zu schauen, das heißt, Entschlüsse vom Schicksal selbst empfangen. Läufst du hinauf die steile Bahn, Orlow, ohne daß dein Herz klopft, so will ich prüfen, was für ein Ruf dich ereilt, was dich zaudern macht, was dich feurig macht, was dich grausam macht, was dich weckt. (Ekstatisch bewegt.) Nicht richten will ich, nur Werkzeug eines Richters sein und handeln – wie ich muß. (Mit der früheren Stimme.) Michael Jefimowitsch!

      Lassunsky

      (der das Gesicht abgewandt und die eine Hand über die Augen gelegt hatte)

      Erlaucht –?

      Rasumowsky

      Wie geht es meiner Nichte Sofia?

      Lassunsky

      Wir erwarten täglich ihre Niederkunft, Erlaucht.

      Rasumowsky

      Bete für einen Knaben. Gott schenk uns Helden. (Man hört Schritte, Stimmengesurr, Säbelklirren.)

      Rodion

      (reißt die Türe auf, feierlich)

      Der General-Adjutant Kammerherr Graf Orlow.

      Orlow

      (tritt säbel- und sporenklirrend ein. Er trägt die Uniform der Preobraschenskyschen Leibwachen. Seine Gestalt ist äußerst schlank, sein Gesicht kalt, bleich, hochmütig und etwas verwüstet. Die Züge verraten eine kaum zu bändigende Leidenschaftlichkeit. Er weiß um seine Schönheit, ist eitel darauf und verachtet sie zugleich. Seine Hände sind fein und lang. Er verbeugt sich tief vor Rasumowsky, die beiden Offiziere scheint er zu übersehen.)

      Ich komme hoffentlich nicht zu ungelegener Stunde, Graf Alexei?

      Chidrowo

      (kaum hörbar)

      Verloren, Mütterchen Rußland, verloren ...

      Rasumowsky

      Michael Jefimowitsch, du wirst die Güte haben, drüben im gelben Zimmer zu warten.

      Lassunsky

      Wir wollen keinesfalls stören.

      Rasumowsky

      Auch Sie, Fedor Alexandrowitsch, mögen warten, wenn es Ihnen gefällig ist.

      Chidrowo

      Wenn es erlaubt ist, will ich warten. (Ab mit Lassunsky nach rechts.)

      Rasumowsky

      Nehmen Sie Platz, Graf Orlow. (Er setzt sich, legt die Bibel aus der Hand.)

      Orlow

      (setzt sich gleichfalls)

      Daß ich nicht mit einer langen Vorrede lästig falle, Erlaucht: Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat sich Ihre Majestät, die Kaiserin, entschlossen zu heiraten.

      Rasumowsky

      (bedächtig)

      Wieder zu heiraten.

      Orlow

      Zar Peter ist tot.

      Rasumowsky

      Doch war er gekrönter und gesalbter Zar von Rußland.

      Orlow

      Ihm folgte von Gottes Gnaden Katharina.

      Rasumowsky

      Ich unterwerfe mich demütig ihrem mächtigen Willen.

      Orlow

      Ihre erhabene Majestät hat ihr Herz an einen Unwürdigen verschenkt, den sie aus dem Staub zu sich auf den Thron erheben will. Dieser Unwürdige befindet sich vor Ihnen, Erlaucht.

      Rasumowsky

      Und schaudert Ihnen nicht vor solcher Erhebung, Graf Orlow? Daß Sie mit Worten der Bescheidenheit davon sprechen,


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