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Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann


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      Ein Held? Könnt ich dies glauben, Graf Orlow, dann! ja dann! Aber ich kann es nicht glauben. (Feierlich.) Zwei unschuldig Zertretene wehren mir’s.

      Orlow

      Viel Blut liegt auf dem Weg der Helden, Erlaucht.

      Rasumowsky

      Blut von Kindern?

      Orlow

      Macht löscht den Makel aus.

      Rasumowsky

      (betroffen)

      Furchtbares Wort!

      Orlow

      (erkennt seinen Fehler, einlenkend)

      Als ich heranritt, Erlaucht, ich war betrunken von Freude; ich hatte die unheilvollste Meuterei erstickt, Rebellen hatte ich meiner Gebieterin in Anhänger auf Tod und Leben verwandelt, die Wirklichkeit zerrann mir vor den Augen, ich sah kein Hindernis mehr ... und als es geschehen war, hab ich nicht Buße getan vor allem Volk?

      Rasumowsky

      Doch haben Sie dem Volk eine unheilbare Wunde geschlagen.

      Orlow

      (mit dem letzten Aufwand seiner gleißnerischen Beredtsamkeit)

      Als ich zwölf Jahre alt war, Erlaucht, trieb mich mein Vater mit der Peitsche vom Hof, weil ich für einen Leibeigenen, der die Todesstrafe erleiden sollte, um Gnade gebeten hatte. Ich liebe unser Volk. Ich weiß, wie sie leben, wie sie schmachten, wie sie Unrecht leiden, wie sie stumm sind, wie sie ihre Hoffnung unermüdlich von Jahr zu Jahr tragen, wie sie in ihrer Not die Herren preisen, die mit den Früchten ihrer Arbeit Feste feiern, und wie sie auf den warten, der sie erlösen wird. Ich weiß es und will ihrer nicht vergessen.

      Rasumowsky

      Ist mir doch, als ob ich Glocken hörte aus einem versunkenen Land, Graf Orlow. (Er steht versunken, von Orlow gespannt beobachtet; wie zu sich selbst) Ist es Rausch? oder Wahn? oder blinde Sucht der Jugend? Leidenschaft macht beredt den, der sie hegt, und stumm den, der sie begreift. (Laut) Sie führen eine ungewöhnliche Sprache, Graf Orlow, die mich irre werden läßt an meinem Vorsatz.

      Orlow

      Ich danke Ihnen, Erlaucht.

      Rasumowsky

      (geht zur Wand, wo er neben dem Kamin auf eine geheime Feder in der Täfelung drückt. Ein Türchen springt auf. Er entnimmt dem Schrein eine goldene Kassette, die er öffnet und einige in roten Atlas eingeschlagene vergilbte Papiere herauszieht)

      Sieh da, wie viel Staub darauf liegt ... (Er stellt das Kästchen beiseite) Staub ... Staub. Pulver der Vergessenheit. Überreste von Träumen. (Er legt den Atlas in das Kästchen zurück und liest das oberste Papier aufmerksam durch.)

      Orlow

      (der sich am Ziel glaubt)

      Väterchen Alexei Grigorjewitsch! (Er sinkt auf die Kniee.)

      Rasumowsky

      (ergriffen und ganz in die Vergangenheit verloren)

      Frühling und Sommer meines Lebens! (Er küßt die Papiere und erhebt, sich bekreuzigend, die Blicke nach oben.)

      Orlow

      (packt in seiner Erregung mit beiden Händen die Papiere)

      Geben Sie, Alexei Grigorjewitsch –!

      Rasumowsky

      (erschrocken)

      Was für ein Ungestüm, Graf Orlow!

      Orlow

      (fast mit Wildheit, drohend)

      Ich kniee vor Ihnen, Alexei Grigorjewitsch!

      Rasumowsky

      (beugt sich ein wenig vor und starrt in Orlows Gesicht)

      Die Augen ... die Augen ...

      Orlow

      (springt empor)

      Wollen Sie mich auf die Folter spannen, Graf Alexei? Ich ertrag’s nicht länger.

      Rasumowsky

      (kopfschüttelnd)

      Ei, es ist eine ganz andere Stimme, die jetzt zu mir spricht.

      Orlow

      Genug gesäuselt.

      Rasumowsky

      Also nur Verstellung? Und so schlecht verstellt? So schnell überdrüssig der Verstellung?

      Orlow

      Wollen Sie mir den Köder nur vorsetzen, um mich zappeln zu lassen?

      Rasumowsky

      Ach, Sie zeigen zu früh Ihr wahres Gesicht, Graf Orlow.

      Orlow

      Ich habe viele Gesichter, warum soll dies gerade mein wahres sein. Wozu das Getändel? Zu Großes liegt vor mir. (Er zeigt seine weißen Zähne, während sich die Worte stürmisch ergießen.) Von unten heraufgestiegen, wo die Sklaven wohnen, begrüßt mich endlich das Licht, und Welt und Kreatur schreit: Herr! Herr! Gnade! Gnade! Ja, Herr will ich sein und Gnade soll von mir träufeln für alle, die sich bücken. Wollust, zu befehlen, und mit einem Atemzug die Mächtigsten zum Schweigen bringen! Alles unter mir sehen, was jetzt noch verführerisch lockt, aus der Enge heraus, wo man horchen muß, ehe man spricht, und rechnen, bevor man zahlt. Ohne Bedachtsamkeit leben, planen ohne Angst und Maß! Unten gehört alles auch dem Nachbarn, was mir gehört, oben bin ich allein und fürchte keine Grenze. Keine Grenze fürchten, das ist’s. Mit seinem Willen allein sein, frei mit jeder Tat und doch der Richtpunkt aller Aufmerksamen. Ein Reich übersehen, den Arm von Ozean zu Ozean strecken, die Willfährigen mit Provinzen lohnen, die Unzufriedenen hinschmettern, – und eine Kaiserin umschlingen, eine Kaiserin, in den Mienen einer Kaiserin Unterwerfung lesen, – das ist mein Spiel, Alexei Grigorjewitsch! Die Würfel liegen zwischen uns. Werfen Sie jetzt und zählen wir die Augen.

      Rasumowsky

      (kalt)

      So spricht ein Spieler. Im Würfelspiel mögen Sie gewinnen, Graf Orlow, im Schicksalsspiel nicht.

      Orlow

      Auch das Schicksal kann man zwingen, alter Mann.

      Rasumowsky

      Wie den Teufel in der eigenen Brust.

      Orlow

      Wer würde anders handeln an meiner Stelle? Nur wenn ich zaudere, verliere ich.

      Rasumowsky

      Und Gott soll mit bei diesem ... Spiele sein?

      Orlow

      Gott ist auf meiner Seite, weil ich will. Ich fühle die Bestimmung.

      Rasumowsky

      Über Blutbestimmung und Gottes Wahl läßt sich nicht rechten.

      Orlow

      Lügendunst! Zar Peter war ein Narr, ein Verräter, Affe des Preußenkönigs, ein Schwächling. Herrliche Bestimmung!

      Rasumowsky

      Besser ein Schwächling als ein gewissenloser Emporkömmling.

      Orlow

      (hochmütig)

      Die Brücke zwischen uns fängt an zu krachen, Erlaucht.

      Rasumowsky

      So mag sie bersten.

      Orlow

      Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.

      Rasumowsky

      Doch die Zeit wird Sie auffressen.

      Orlow

      Jetzt, da Sie mich überzeugt haben, daß Sie die Dokumente besitzen und sie


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