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Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann


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      Sie wollen damit sagen, daß Ihre Helfershelfer mein Haus umstellt halten?

      Orlow

      Leute, die mir blindlings ergeben sind, ja.

      Rasumowsky

      Und wozu ich mich freiwillig nicht mehr entschließen würde, das glauben Sie mit Gewalt durchsetzen zu können. Mit eigener Faust oder mit dem Beistand fremder Fäuste.

      Orlow

      Wenn Sie mich zu dieser Notwendigkeit drängen, – ja. Ich kann nicht zurück. Ich kann nur vorwärts.

      Rasumowsky

      Bis zum Abgrund. – Sie vergessen nur eines, Graf Orlow. Sobald Ihre Leute diese Schwelle übertreten, oder sobald Sie selbst, von dieser Sekunde ab, eine Bewegung machen, die auf Gewalttat zielt, fallen die Dokumente hier in das Feuer. Sie sehen, es brennt loh genug, um ein paar Papiere rasch verzehren zu können. (Pause. Beide blicken einander schweigend ins Gesicht.)

      Orlow

      (mit verschränkten Armen)

      So also steht es.

      Rasumowsky

      Ja.

      Orlow

      (langsam und mit Nachdruck)

      Eines noch, Alexei Grigorjewitsch: ich könnte Sie belohnen, wie nie ein Sterblicher belohnt worden ist.

      Rasumowsky

      Lohn? Für mich? Welchen Lohn? Reichtum? Paläste? Titel und Würden? Für mich?

      Orlow

      (wie oben)

      Wenn auch nicht für Sie, Erlaucht, so doch für einen Knaben ...

      Rasumowsky

      Einen Knaben –?

      Orlow

      Für Iwan, den Sohn Rasumowskys und der Kaiserin Elisabeth.

      Rasumowsky

      (schwankt einen Augenblick, hält sich am Rand des Sessels, sinkt dann darauf nieder).

      Orlow

      Der Pope Maximow hat mich zu ihm geführt.

      Rasumowsky

      Möge Gott ihm verzeihen. Es gibt keine Treue mehr.

      Orlow

      Fürchten Sie nichts mehr von der verräterischen Geschwätzigkeit dieses Priesters, Erlaucht. Ich habe dafür gesorgt, daß seine Zunge keinen Schaden mehr stiftet. Sie und ich, wir sind die beiden einzigen Menschen auf Erden, die um Iwan wissen ...

      Rasumowsky

      (dumpf)

      Einer zu viel, Graf Orlow.

      Orlow

      Ich habe den Knaben gesehn. Es war eine weite Fahrt auf das Gut Domnina im Epifanskischen Kreis. Ein schöner, blonder Knabe. Welche Einsamkeit für einen Vierzehnjährigen. Wie durstig er in die Ferne blickte! Er wußte nichts von Vater und Mutter, die Leute, bei denen er ist, halten ihn für den Sohn von Euer Erlaucht verstorbenem Bruder. Er ahnt nicht, welche Versprechungen das Leben ihm schenken könnte, und wer nur sein Gesicht sieht (deutet auf das Bild der Kaiserin Elisabeth), braucht keinen andern Beweis seiner Abkunft. Grausam schien es mir, die junge Blüte in der Steppenwüste verkommen zu lassen. Ich habe ihn über seine Geburt aufgeklärt.

      Rasumowsky

      (springt auf)

      Das haben Sie getan?

      Orlow

      Ich habe es getan.

      Rasumowsky

      (sinkt wieder auf den Sessel, umklammert krampfhaft die Dokumente vor der Brust.)

      Großer Himmel! Sie hatten kein Mitleid mit dem arglos spielenden Geschöpf? Frevlerisch das Gift des Ehrgeizes und der ungenügenden Begierde in die junge Brust versenkt! Fruchtlose Erwartungen geweckt, die ein gläubiges Gemüt zerfleischen müssen! So war meine Entbehrung vergeblich, vergeblich, daß ich mein Herz von ihm entwöhnt habe, vergeblich das Opfer, vergeblich der Gram der Mutter, alles vergeblich!

      Orlow

      (mit leisem Spott)

      Ist es nicht besser, wenn der Wissende sich bescheidet, als wenn der Getäuschte verkommt?

      Rasumowsky

      (die Worte tief aus seiner Brust ringend)

      Zweiunddreißig Jahre, Graf Orlow, war ich mit Elisabeth Petrowna verbunden. Sie war eine musterhafte Christin und eine zärtliche Mutter Millionen Volks. Auch mich liebte sie, doch schien es mir so überflüssig wie sündhaft, meinen Ehrgeiz über das Maß dessen zu erheben, was sie mir als Weib gewähren konnte. Niemals in zweiunddreißig Jahren ist die Versuchung über mich gekommen, den geheiligten Glanz der Majestät für mich zu erborgen. Sie war auserwählt zu herrschen. Von den Ahnen her war ihr die Gnade verliehen. Woran soll das Volk glauben, diese Zahllosen, von denen wir keine Namen wissen und die nur aufblicken in ihrer Verlassenheit, um nach dem gottbestimmten Führer zu suchen, woran sollen sie denn glauben, wenn nicht an das Mysterium, das um eine Krone webt? Das ist ja ihr Märchen, die Botschaft, das Gesetz! Gesalbtes Haupt weiht das Diadem, königliches Blut rauscht vom Vater zum Sohn, vom Gatten zur Gattin, von Geschlecht zu Geschlecht. Raubt ihnen diesen Glauben, und ihr stürzt sie in Gemeinheit und Verzweiflung, die Welt steht da, ohne Ordnung, ohne Herrn. (Er erhebt sich, bewegt.) Wenn es ein Verdienst in meinem Leben gibt, Graf Orlow, so ist es das eine, daß ich die Kaiserin zu überzeugen vermochte, unsere Ehe, für die sie den Segen der Kirche gewünscht hatte, müsse ein Geheimnis für das Volk bleiben. Und so wurde Iwan fern vom Hof und fern von den Menschen erzogen, denn es ziemt sich nicht für den Halbgebürtigen, von einem Thron auch nur zu träumen.

      Orlow

      Phantome, Erlaucht, Phantome! Die Zeit hat sich verändert. Es handelt sich nicht um die Gnade, es handelt sich um die Kraft.

      Rasumowsky

      Ich bin kein Starrkopf, Graf Orlow, nicht einer, der denkfaul an Vergangenem hängt. Ich kenne die Zeit. Vieles tragen die Eimer des Jahres herauf aus dem dunklen Schacht, und wer wirklich lebt, wandelt sich mit jedem Becher, den er an die Lippen führt. Das Blut wird auch in alten Körpern neu. War ich nicht bereit, Graf Orlow? Ich war bereit, mehr kann ich nicht sagen. Aber ich bin gewohnt, in Menschenaugen zu lesen, und mehr noch auf den Stirnen, Graf, auf den Stirnen. Sie sind so unbehütet, die Stirnen; man kann sie eine Walstatt der Dämonen nennen. (Den Arm mit ausgestrecktem Finger gegen Orlow, stark.) Ich sehe Schicksale auf dieser Stirn, die ungeboren bleiben sollten.

      Orlow

      Alexei Grigorjewitsch! Nicht auf meiner Stirn, – in Ihrer Hand liegt jetzt ein Schicksal. Iwan ist in meiner Gewalt.

      Rasumowsky

      (scheu)

      Iwan ... ist ...

      Orlow

      In meiner Gewalt und nur mir erreichbar.

      Rasumowsky

      (mit weiten Augen)

      Sie wollen damit sagen: um Iwan ist’s geschehen, wenn ich mich weigere ...

      Orlow

      Vielleicht ist es das, was ich sagen will.

      Rasumowsky

      (nähert sich Orlow mit gebeugtem Oberkörper und mit der Unterwürfigkeit eines Bauern, hält ihm mit beiden Händen die Dokumente hin)

      Nehmen Sie, Graf Orlow ...

      Orlow

      (etwas überrascht von dem schnellen Erfolg, greift nach den Papieren).

      Rasumowsky

      (demütig)

      Nicht weil ich für Iwan fürchte, Graf


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