Ein deutsches Kriegsschiff in der Südsee. Bartholomäus von WernerЧитать онлайн книгу.
ältesten Offizier bis zum letzten Matrosen von der Frucht seiner größern Erfahrung zu kosten geben, muß fortwährend belehrend eingreifen und zeigen, daß von den vielen hundert Tauen dies oder jenes nicht straff genug gespannt ist und dadurch Gefahr entstehen kann; daß die Segel nicht mehr richtig stehen, die Zurrung eines schweren Gegenstandes sich zu lockern beginnt u. s. w. Er beobachtet wie die Leute am Ruder steuern; wie die andern instruirt werden und wie sie antworten; wie die Leute in der Takelage sich bewegen und ob sie dabei den Vorschriften entsprechen, denn jeder Fehltritt dieses leichtsinnigen, übermüthigen Matrosenvolks kann ein Menschenleben kosten und der Commandant hat in seiner langen Dienstzeit schon viele mit zerschmetterten Gliedern auf dem Deck liegen und im Wasser mit dem Tod ringen, aber nur wenige von ihnen retten sehen, und jeder durch Leichtsinn oder Unachtsamkeit Verlorene fordert sein Leben von seinem Commandanten zurück. Er beobachtet den Posten in der Vorbramsaling, denn wenn das Schiff unten einen Bogen von nur 10-15° hin- und herschlingert, beschreibt der Mann oben einen sehr großen Bogen, und das in sehr kurzer Zeit, was selbst manch alter Seebär nicht vertragen kann. Er sieht neugierig mit dem Fernrohr — denn er kann auch neugierig sein — nach dem Horizont vor dem Schiff und überzeugt sich doch nur davon, daß ein blendender Schein auf dem Wasser keine Brandung, sondern nur ein Sonnenreflex ist. Er beobachtet wie der Wachoffizier seine Befehle gibt, denn dieser ist erst ein Anfänger und weiß noch nicht, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen Befehlen und Befehlen, wie zwischen Gehorchen und Gehorchen ist, er meint Befehl sei Befehl und damit basta. Der Commandant kann ihn mit Worten nicht überzeugen, da muß die Probe gemacht werden. Es wird ein Manöver ausgeführt, dasselbe mit wirkungsloser Stimme commandirt, und darauf noch einmal mit einem Ausdruck, welcher zeigt, daß der Befehlende den Befehl am liebsten selbst ausführen möchte. In dem ersten Falle kommen die Leute nur langsam vorwärts, in dem zweiten sind sie wie elektrisirt und fliegen. Mancher versteht auch das nicht und ist dann eben nicht im Stande zu begreifen, wie der Offizier sich nur nach der Art seines Auftretens den Grad seines Erfolgs sichert. — Eine Bö ist im Anzuge, der Wachoffizier will Segel bergen; der Commandant hat ein erfahreneres Auge; er sieht, daß das Schiff sie vertragen kann und verweigert seine Zustimmung zum Segelbergen. Die Bö setzt ein, das Schiff legt sich ächzend auf die Seite, schüttelt sich, bäumt sich auf, hält durch und die Bö ist abgewettert. Der nächste Wachoffizier will das nachmachen, obgleich er weiß, daß er nach den Bestimmungen den durch Leichtsinn oder Unachtsamkeit verursachten Schaden bezahlen muß, aber sein Commandant liebt das Segelbergen nicht und freut sich, wenn die Offiziere Selbstvertrauen zeigen. Er hat sich in der Bö verrechnet, der Commandant hört in seiner Kajüte, daß die Bramstängen knacken, springt schnell auf die Commandobrücke und sieht sein Schiff oben rasirt, Bramstängen mit den Bram- und Oberbram-Raaen und -Segeln baumeln an dem Tauwerk vor den Marssegeln herunter. Der Wachoffizier sieht seinen Commandanten entsetzt an und dieser sagt lächelnd: „Das habe ich nicht gut gemacht, ich hätte Ihnen doch sagen sollen, die Bramsegel zu bergen; ich habe nämlich hinter Ihnen gestanden. Es ist mein Fehler, und dem ist in dem Verlustprotokoll Ausdruck zu geben, damit ich für den Schaden aufkommen kann.“ Der Wachoffizier versteht nicht recht, muß seinem Commandanten aber doch Glauben schenken. — So hat der Commandant eines Kriegsschiffes keine ruhige Minute; das Gefühl der Verantwortlichkeit beherrscht jeden deutschen Offizier ununterbrochen bei Tag und bei Nacht, und der Commandant eines Kriegsschiffes hat eine gar große Verantwortung zu tragen.
Die Nacht bricht schon um 6 Uhr abends an, der Ausguck oben im Mast kann von dort aus nichts mehr sehen, dafür treten zwei Mann auf die Back des Schiffes und zwei in die Fallreeps, werden aber, wenn sie auch zu Vieren sind, von ihrem Standpunkt aus keine Brandung so rechtzeitig sehen, daß das in schneller Fahrt befindliche Schiff ihr noch ausweichen kann, wenn sie recht im Curse des Schiffes liegt und von einem größern Korallenriff herrührt. Am Tage würde sich bei einem etwaigen Verlust des Schiffes durch irgendwelche Ursache ein Theil der Mannschaft zunächst vielleicht in den Booten retten können, um nachher zu verhungern und zu verdursten, denn auf vorbeipassirende Schiffe ist hier nicht zu rechnen und die Entfernung vom nächsten Lande ist zu groß, um dasselbe vor dem eintretenden Hungertod erreichen zu können. Bei Nacht aber ist die Sache für alle schnell zu Ende: beim nächsten Morgengrauen bedeckt die See mitleidig alles, was sie verschlungen hat. Der Commandant sieht noch einmal die Karte an, ob nicht irgendeine auf seiner Curslinie eingezeichnete Tiefenangabe andeutet, daß schon einmal ein Schiff denselben Weg genommen hat. Nichts — eine weiße Fläche und weiter nichts in der Karte. Er bleibt auf der Commandobrücke, anscheinend um die Abendkühle zu genießen, so glauben wenigstens alle, denn niemand, der nicht diesen Posten schon bekleidet hat, kann sich in seine Lage hineindenken; er bleibt aber, um im Falle der Gefahr, auf seine Geistesgegenwart bauend, sogleich den richtigen Entschluß zu fassen. Er ist voll Sorgen und um ihn herum alles voll Jubel. Die Musik spielt, die Mannschaft singt und lacht in den Pausen und treibt ihre Späße; aus der Offiziermesse klingt Gläserklang und frohes Lachen herauf, und nur der Commandant ist allein, allein mit seinen Gedanken und Sorgen. Sein Diener ruft ihn zum Abendbrot; dasselbe ist in wenig Minuten eingenommen und der einsame Mann steht wieder auf der Brücke, die freie Wache geht zur Koje, in der Offiziermesse wird es still, und man hört nur noch das Rauschen des Wassers, das Singen der Takelage, das Aechzen der Spieren, das Knarren der Decksbalken und jede halbe Stunde den geisterhaften Ruf der vier Posten, daß sie wach und wachsam sind. Nach 11 Uhr geht der Commandant zu Bett, weil er doch nicht wochenlang Nacht für Nacht aufbleiben kann und der Tag doch auch so vielerlei Pflichten verlangt, doch läßt er sich um 12 und um 4 Uhr von dem abgelösten Wachoffizier Meldung über Wind und Wetter machen, wird auch geweckt, wenn der Wind stärker wird oder sich ändert, um wegen der Segelführung oder Cursänderung Bestimmung zu treffen. Weiß er aber einen Offizier auf Wache, auf dessen Geistesgegenwart er nicht fest zu bauen vermag, dann bleibt er auch einmal die ganze Nacht auf, um Berichte oder Briefe zu schreiben, oder wegen erheuchelter Schlaflosigkeit dem Offizier Gesellschaft zu leisten.
4.
Die Marquesas-Inseln.
18. Mai 1887.
Die Marquesas-Inseln liegen hinter uns und haben uns neben viel Schönem und Interessantem in der Hauptsache doch das gebracht, was wir erwartet hatten, nämlich — Enttäuschung. Die mit so großer Ueberschwänglichkeit geschriebenen Reiseberichte lassen von vornherein einige Uebertreibungen vermuthen; hier ist aber zu viel erdichtet, und man kann nicht anders annehmen, als daß die Reisenden infolge der fast übermenschlichen Entbehrungen, welche zu ihrer Zeit mit diesen langen Reisen in kleinen, übermäßig stark bemannten Segelschiffen verknüpft waren, beim Landen an diesen Inseln vollständig geblendet waren. Namentlich gilt dies für die Beurtheilung des weiblichen Geschlechts, denn man muß selbst monatelang von dem schönen Geschlecht abgesperrt gewesen sein, um zu verstehen, daß fast jeder Seemann nach jeder langen Seetour zunächst in jeder Schürze einen Engel sieht. Meines Erachtens hatten die Reisenden aber trotzdem keine Veranlassung mit so grellen Farben zu malen, weil das, was hier gefunden wird, immerhin interessant genug ist, um auch ohne Schönfärberei zu fesseln.
Ich wollte ursprünglich nur den Haupthafen Port Anna-Maria auf Nuka-hiva besuchen, änderte aber meine Disposition, als ich aus den Segelanweisungen ersah, daß die Franzosen, denen die Marquesas-Inseln nominell gehören, praktisch alle Controle über die Einwohner der Marquesas-Inseln aufgegeben haben und nur noch die Insel Nuka-hiva besetzt halten sollen. Da ferner die Berichte besagen, daß die Einwohner der Marquesas-Inseln am zähesten an ihren alten Gebräuchen festhalten, daß dieselben noch ziemlich auf demselben Standpunkte stehen wie vor hundert Jahren, und alle Missionare ihr Bekehrungswerk aufgeben mußten, entschloß ich mich, da es mir nur darauf ankam, zur Auffrischung unsers Speisezettels Früchte, Eier und Hühner einzunehmen, nach Omoa auf Fatu-hiva, der südöstlichsten Insel, zu gehen, um dort einen Einblick in die als so interessant geschilderten Verhältnisse zu erhalten und dann nur in Port Anna-Maria dem dortigen Gouverneur meinen Besuch zu machen, um seinen Machtbereich nicht besucht zu haben, ohne der Höflichkeit zu genügen. Erst hatte ich daran gedacht, auch die mittlere Insel Tahu-ata oder Santa-Cristina anzulaufen, weil sie früher von den Franzosen für der Befestigung werth gehalten worden war, gab diese Absicht aber auf, weil