Wachtmeister Studer. Friedrich C. GlauserЧитать онлайн книгу.
wie man auf dem Theater flüstert, jedes Wort verständlich: »Was hat er angestellt?«
»Gerzensteiner Mord!« flüsterte der Wärter ebenso deutlich zurück.
»Ah, ah«, nickte der Doktor bekümmert – so schien es wenigstens. Schlumpf drehte den Kopf, sah hinüber zum Wachtmeister. Studer lächelte, Schlumpf lächelte zurück. Sie verstanden sich.
»Und wer ist dieser Herr da?« fragte der Arzt. Das Lächeln der beiden brachte ihn in Verlegenheit.
Studer trat so heftig vor, dass der Doktor einen Schritt zurückwich. Der Wachtmeister stand steif da. Sein bleiches Gesicht mit der merkwürdig schmalen Nase passte nicht so recht zu dem ein wenig verfetteten Körper.
»Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei!« Es klang aufrührerisch und bockig.
»So, so! Freut mich, freut mich! Und Sie sind mit der Untersuchung des Falles betraut?« Der blonde Arzt versuchte seine Sicherheit wiederzugewinnen.
»Ich hab ihn verhaftet«, sagte Studer kurz. »Übrigens, ich will gern noch eine Weile bei ihm bleiben bis er sich beruhigt hat. Ich hab Zeit. Der nächste Zug nach Bern fährt erst um halb fünf…«
»Fein!« sagte der Arzt. »Wunderbar! Tut das nur, Wachtmeister. Und heut abend legt Ihr mir den Mann in eine Zweierzelle. Verstanden, Liechti?«
»Jawohl, Herr Doktor.«
»Lebet wohl miteinander«, sagte der Arzt und setzte den Hut auf. Liechti fragte ob er schließen solle. Studer winkte ab. Gegen Haftpsychosen waren wohl offene Türen das wirksamste Gegenmittel.
Und die Schritte verhallten im Gang.
Umständlich setzte Studer den Strohhalm in Brand, den er aus der Brissago gezogen hatte, hielt die Flamme unter das Ende derselben, wartete bis der Rauch oben herausquoll und steckte sie dann in den Mund.
Dann zog er ein gelbes Päckli aus der Tasche, sagte: »So, nimm eine!« Schlumpf sog den ersten Zug der Zigarette tief in die Lungen. Seine Augen leuchteten. Studer setzte sich aufs Bett.
– Der Wachtmeister sei ein Guter, sagte der Schlumpf.
Und Studer musste sich zusammennehmen, um ein merkwürdiges Gefühl im Halse zu unterdrücken. Um es zu vertreiben, gähnte er ausgiebig.
»So, Schlumpfli«, sagte er dann. »Und jetzt. Warum hast du Schluss machen wollen?«
– Das könne man nicht so ohne weiteres sagen, meinte der Schlumpf. Es sei ihm alles verleidet gewesen. Und er kenne ja den Betrieb. Wenn man einmal verhaftet sei, dann käme man nicht mehr los. Vorbestraft! – Und jetzt werde es für lebenslänglich langen… Und das Meitschi, von dem der Wachtmeister gesprochen habe, das werde jawohl auch nicht warten wollen. Es wäre schön dumm, wenn es das täte. – Wer denn das Meitschi sei? – Es heiße Sonja und sei die Tochter vom ermordeten Witschi. – Und ob die Sonja glaube, dass er den Mord begangen habe? – Das wisse er nicht. Er sei einfach fort, damals, als er gehört habe, man beschuldige ihn. – Wie das denn zugegangen sei, dass man gerade auf ihn verfallen sei? – Eh, wegen der Hunderternote, die er im ›Leuen‹ gewechselt habe. – Im ›Leuen‹? Nicht im ›Bären‹? – Es könne auch im ›Bären‹ gewesen sein. Natürlich im ›Bären‹! Der ›Leuen‹ sei die fürnehme Wirtschaft, da hätten sie einmal bei einem Anlass aufgespielt…
»Bei welchem Anlass? Und wer hat aufgespielt?«
»Bei einer Hochzeit. Der Buchegger hat Klarinette gespielt, der Schreier Klavier und der Bertel Bassgeige. Und ich Handharfe…«
»Schreier? – Buchegger? – Die – die kenn’ ich doch!« Studer runzelte die Stirn.
»Denk wohl!« sagte der Schlumpf, und ein kleines Lächeln entstand in seinen Mundwinkeln. »Der Buchegger hat oft von Euch erzählt und der Schreier auch. Ihr habt ihn vor drei Jahren geschnappt…«
Studer lachte. So, so! Alte Bekannte! – Und die hätten sich also zu einer Ländlerkapelle zusammengetan? »Ländlerkapelle?« Schlumpf tat beleidigt. »Nein! Ein richtiger Jazzband. Der Ellenberger, unser Meister, hat uns sogar einen englischen Namen gegeben: ›The Convict Band‹! Das soll heißen: Die Sträflingsmusik…«
Der Bursche Schlumpf schien ganz zufrieden zu sein, von nebensächlichen Dingen zu sprechen. Aber wenn man vom Mord anfing, versuchte er abzubiegen.
Studer war einverstanden. Der Schlumpf sollte nur abschweifen, wenn er Freude daran hatte. Nicht drängen! Es kommt alles von selbst, wenn man genügend Geduld hat…
»Dann habt Ihr auch in den umliegenden Dörfern gespielt?«
»Sowieso!«
»Und ordentlich Geld verdient?«
»Zünftig…« Zögern. Schweigen.
»Also, Schlumpfli, ich will dir ja glauben, dass du den Witschi nicht umgebracht hast – um ihm die Brieftasche zu rauben. Dreihundert Franken hast du erspart gehabt?«
»Ja, dreihundert Erspartes…« Schlumpf blickte zum Fenster auf, seufzte, vielleicht weil der Himmel so blau war.
»Du hast also die Tochter vom Ermordeten heiraten wollen? Sonja hieß sie? Und die Eltern, die waren einverstanden?«
»Der Vater schon; der alte Witschi hat gesagt, ihm sei es gleich. Er war oft beim Ellenberger zu Besuch und dort hat er mit mir gesprochen, der Ermordete, wie Ihr sagt… Er hat gemeint, ich sei ein ordentlicher Bursch, und wenn ich auch ein Vorbestrafter sei, man solle nicht zu Gericht sitzen, und wenn ich einmal die Sonja zur Frau hätte, dann würde ich keine Dummheiten mehr machen. Die Sonja sei ein ordentliches Meitschi… Und dann hat mir mein Meister die Obergärtnerstelle versprochen, weil doch der Cottereau schon alt ist und ich tüchtig bin…«
»Cottereau? Hat der die Leiche gefunden?«
»Ja. Er geht jeden Morgen spazieren. Der Meister lässt ihn machen, was er will. Der Cottereau stammt aus dem Jura, aber man merkt ihm das Welsche nicht mehr an. Am Mittwochmorgen ist er in die Baumschule gelaufen gekommen und hat erzählt, im Walde liege der Witschi, erschossen… Dann hat ihn der Meister gleich auf den Landjägerposten geschickt, um die Meldung zu machen.«
»Und was hast du gemacht, nachdem du vom Cottereau die Neuigkeit erfahren hast?«
Ach, meinte der Schlumpf, sie hätten alle Angst gehabt, weil der Verdacht auf sie fallen müsse, als Vorbestrafte. Aber den ganzen Tag sei es ruhig gewesen, niemand sei in die Baumschule gekommen. Nur der Cottereau habe sich nicht beruhigen können, bis ihn der Meister angeschnauzt habe, er solle mit dem G’stürm aufhören…
»Und