Große Briefe der Freundschaft. ОтÑутÑтвуетЧитать онлайн книгу.
der II., auch »der Große« oder liebevoll »der Alte Fritz« genannt, regierte Preußen von 1740 bis zu seinem Tod 1786. Der 1712 geborene Sohn des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. galt als größter Feldherr seiner Zeit, aber auch als aufgeklärter Herrscher, der die Folter abschaffte, allgemeine Glaubensfreiheit proklamierte und zahlreiche Reformen durchführte. Friedrich II. war zwar ein absolutistischer Herrscher und durchaus ein Machtmensch, sah sein Königtum jedoch als Pflicht und, wie er in den Briefen an seinen bewunderten Freund Voltaire mehrfach schreibt, als einen »Beruf«, der ihm übertragen worden war.
Friedrich suchte bereits 1736 als Kronprinz Kontakt zu dem französischen Philosophen, in dem viele schon damals die Verkörperung der Aufklärung sahen und der wegen seiner subversiven Schriften weltlichen wie kirchlichen Autoritäten oft ein Dorn im Auge war. Der 18 Jahre ältere Voltaire (1694–1778) wurde schnell zum Mentor des philosophie- und kunstbegeisterten Prinzen, der seine Liebe für das Geistige und Schöne auch als König nie verlor. Friedrich II. betätigte sich sogar selbst als politischer Schriftsteller, Musiker und als »Philosoph von Sanssouci«. Voltaire bewunderte den jungen König als Verkörperung aufklärerischer Ideale, vor allem des vernunftgelenkten Handelns, war aber mit seinen kriegerischen Akten durchaus nicht immer einverstanden.
Die Beziehung zwischen König und Philosoph verlief nicht konfliktfrei. Dass Voltaire 1750 als Kammerherr in die Dienste seines hoheitlichen Freundes trat – für beide eigentlich ein außerordentlicher Prestigegewinn – führte drei Jahre später fast zum Bruch zwischen Friedrich II. und Voltaire. Es war eben doch etwas anderes, die freiheitlichen Schriften des Aufklärers von Weitem zu bewundern, als den scharfzüngigen Wahrheitssager am eigenen Hof zu haben; so meinte der preußische König einmal zu seinem rebellischen Kammerherrn, dass seine Werke zwar die allerhöchste Bewunderung verdienten, doch: »Ihr Verhalten verdient, dass man Sie in Ketten legt!«
Voltaire reichte schließlich seinen Abschied ein und wurde sogar kurzzeitig in Frankfurt verhaftet. Doch noch im gleichen Jahr nahmen der Philosoph und der König ihren Briefwechsel wieder auf. Es scheint, dass die beiden schlicht übereinkamen, in gewissen Dingen nicht einer Meinung zu sein – »they agreed to disagree«, wie es die Engländer ausdrücken würden.
Die Brieffreundschaft zwischen Friedrich II. und dem »Patriarchen von Ferney« (auch Voltaire konnte sich männlich-herrschaftlich gebärden) hielt insgesamt über vierzig Jahre an. Als der Aufklärer 1778 starb, hielt der »Philosoph von Sanssouci« am Grabe seines ungleichen Freundes eine fulminante Trauerrede.
Berlin, 8. August 1736
Habe ich auch nicht das Glück, Sie persönlich zu kennen, so sind Sie mir doch durch Ihre Werke bekannt genug. Das sind Geistesschätze, wenn der Ausdruck erlaubt ist, Kunstwerke, die mit so viel Geschmack und Feinheit gebildet sind, dass ihre Schönheiten sich bei jeder Lektüre in neuem Lichte zeigen. Ich glaube in ihnen den Charakter ihres geistvollen Verfassers zu erkennen, der unserem Jahrhundert und dem menschlichen Geiste zur Ehre gereicht. Die großen Männer der neueren Zeit werden Ihnen einst Dank wissen, und nur Ihnen allein, falls der Streit wieder ausbricht, ob den Neueren oder den Alten der Vorzug gebührt; denn Sie lassen die Waagschale zugunsten der Neueren sinken.
Mit den Eigenschaften eines hervorragenden Dichters verbinden Sie eine Fülle von Kenntnissen, die freilich mit der Poesie in gewisser Weise verwandt sind, ihr aber erst durch Ihre Feder zugehören. Nie hat ein Dichter metaphysische Gedanken in Verse gebracht: Solche Ehre war Ihnen zuerst vorbehalten. Diese philosophische Tendenz Ihrer Schriften veranlasst mich, Ihnen eine durch mich angeregte Übersetzung der Anklage und Rechtfertigung von Wolff zu übersenden, des berühmtesten modernen Philosophen, der Licht in die dunkelsten Gebiete der Metaphysik getragen und diese schwierigen Fragen ebenso erhaben wie klar und bestimmt erörtert hat, dafür aber grausamerweise der Irreligiosität und des Atheismus bezichtigt worden ist. Das ist das Schicksal großer Männer: Stets setzt ihr überlegener Genius sie den vergifteten Pfeilen der Verleumdung und des Neides aus.
Ich lasse jetzt die Abhandlung desselben Verfassers »Von Gott, von der Seele und der Welt« übersetzen und werde sie Ihnen zusenden, sobald sie vollendet ist. Ich bin gewiss, Sie werden die Beweiskraft aller seiner Schlüsse schlagend finden; denn sie folgen mathematisch einer aus dem anderen und sind ineinander geschmiedet wie Kettenglieder.
Bei der Nachsicht und Unterstützung, die Sie allen gewähren, die sich den Künsten und Wissenschaften widmen, hoffe ich, Sie werden mich nicht aus der Zahl derer streichen, die Sie Ihrer Belehrung würdigen. Denn so nenne ich Ihre Korrespondenz, die jedem denkenden Wesen nur nützlich sein kann. Ja, ohne das Verdienst anderer zu schmälern, wage ich zu behaupten, dass es auf der ganzen Welt ohne Ausnahme keinen gibt, dessen Lehrer Sie nicht sein könnten.
Fern sei es mir, Sie in einer Weise zu beweihräuchern, die Ihrer unwürdig wäre; dennoch kann ich Ihnen versichern, dass ich in Ihren Werken zahllose Schönheiten finde. Ihre »Henriade« entzückt mich und triumphiert glücklich über die wenig einsichtsvolle Kritik, der man sie unterzogen hat. Das Trauerspiel »Cäsar« zeigt uns durchgeführte Charaktere und ist von großen, gewaltigen Gefühlen erfüllt. Ihr Brutus kann nur Römer oder Engländer sein. […]
Das erweckt in mir den sehnlichen Wunsch, alle Ihre Werke zu besitzen. Ich bitte Sie, mir diese zu schicken und mir keines zu versagen. Sollte sich unter den handschriftlichen eins befinden, das Sie aus notgedrungener Vorsicht der Öffentlichkeit vorenthalten, so verspreche ich Ihnen, tiefstes Geheimnis zu wahren und ihm nur insgeheim Beifall zu zollen. Leider weiß ich, dass ein Fürstenwort heutzutage wenig gilt; doch hoffe ich, Sie werden sich nicht von den allgemeinen Vorurteilen bestimmen lassen, sondern sich zu meinen Gunsten zu einer Ausnahme entschließen.
Ihre Werke würden mich reicher machen als alle vergänglichen und verächtlichen Glücksgüter dieser Welt, die ein und derselbe Zufall uns schenkt und wieder nimmt. Mithilfe des Gedächtnisses kann man sich jene, Ihre Werke, aneignen und sie so lange besitzen wie dieses. Mein Gedächtnis ist schlecht; darum schwanke ich lange, bevor ich mich entscheide, was darin Aufnahme finden soll.
Stünde die Dichtkunst noch auf ihrer alten Stufe, d. h., könnten die Dichter nur langweilige Idyllen trillern, Eklogen nach dem alten Schema und abgeleierte Stanzen verfertigen, oder wüssten sie ihre Leier nur auf den elegischen Ton zu stimmen – ich würde ihr für immer entsagen. Allein, Sie veredeln die Dichtkunst, Sie zeigen uns neue Wege, die ein Cotin und Rousseau nicht beschritten haben.
Ihre Gedichte besitzen so große Vorzüge, dass alle höher stehenden Geister sich gern in sie vertiefen. Sie sind ein Lehrbuch der Moral, das uns denken und handeln lehrt. Sie schmücken die Tugend mit leuchtenden Farben. Der Begriff des wahren Ruhmes wird darin formuliert. Sie gewinnen den Wissenschaften so feine und zarte Reize ab, dass man nach der Lektüre Ihrer Werke vom Ehrgeiz erfasst wird, in Ihre Spuren zu treten. Wie oft habe ich mich nicht dieser trügerischen Lockung hingegeben und mir dann gesagt: Unseliger, lass ab, diese Bürde übersteigt deine Kräfte! Man kann Voltaire nicht nachahmen, wenn man nicht selber Voltaire ist.
In solchen Augenblicken habe ich es empfunden, dass die Vorzüge der Geburt, der leere Schall von Größe, mit dem die Eitelkeit uns einlullt, nur wenig oder besser gesagt gar nichts vorstellen. Das sind Maßstäbe, die unser inneres Wesen nicht berühren, lediglich äußerer Schmuck. Wie sehr sind ihnen die Geistesgaben vorzuziehen! Wie viel ist man denen schuldig, die die Natur schon bei ihrer Geburt ausgezeichnet hat! Gefällt sie sich doch, Wesen zu schaffen und mit allen nötigen Gaben auszustatten, um Fortschritte in den Künsten und Wissenschaften zu machen; ihre durchwachten Nächte zu belohnen, ist dann Sache der Fürsten. Ach, erwählte der Ruhm doch mich zum Werkzeuge, um Ihre Erfolge zu krönen! Nur das eine würde ich fürchten, dass dies lorbeerarme Land weniger Lorbeeren hervorbrächte, als Ihre Werke verdienen, und dass man statt seiner zum Eppich greifen müsste.
Begünstigt aber das Schicksal mich nicht so sehr, dass ich Sie mein nennen kann, so darf ich wenigstens hoffen, Sie, den ich schon so lange von ferne bewundere, eines Tages zu sehen, um Sie persönlich all der Achtung und Hochschätzung zu versichern, die denen gebührt, die, der Leuchte der Wahrheit folgend, ihre Arbeiten dem allgemeinen Wohle widmen.
Charlottenburg, 27. Juni 1740
Ihre Briefe, lieber Voltaire, bereiten mir stets unendliche