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Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin SingerЧитать онлайн книгу.

Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman - Kathrin Singer


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Tisch in der Mitte lehnte sich ein Mann gerade zurück und streckte die Arme, als müsse er sich entspannen. Er hatte dunkle Haare und trug einen flotten Anorak. Und aus der Seitentasche lugten die Enden von bunten Seidenbändern.

      Stefan umgriff Maries Arm ganz heftig und deutete hinüber. »Reserls Bändchen. Das ist er!«

      Zwei Minuten später wussten Marie und Stefan, dass es sich um Doktor Frank Bahring handelte, der Zeuge von Reserl Sturz geworden war, sie sofort versorgt, dem Ehepaar in dem anderen Wagen noch nahegelegt hatte, die Polizei zu benachrichtigen und dann mit dem kleinen, so stürmischen und leichtsinnigen Mädchen zurück nach Traunstein in die Klinik gerast war.

      »Nein, nicht gleich!«, gab er lächelnd zu. »Ihre Tochter hat einen dicken Kopf, wie sich zeigte. Aber auch einen starken Willen. Sie bestand darauf, dass ich die Bändchen, die neben der Straße lagen, noch einsammle und gut aufbewahre.« Er grinste.

      »Sie sind Doktor Bahring, Kardiologe aus München!«, platzte es aus Stefan heraus. Der Mann war ihm doch gleich bekannt vorgekommen. Ob er ihm verriet, woher er ihn kannte? Oder bekam er dann ein weiteres Problem mit Anette?

      »Sie verbringen einige Ferientage bei uns?«, hörte er Marie fragen. »Dann bleibt hoffentlich Zeit geng, damit wir uns bei Ihnen erkenntlich und dankbar zeigen können.«

      »Ich habe nur das getan, was jeder Vater auch geschafft hätte!«, meinte er lächelnd. »Ich war in Traunstein beim Notar, um den Kaufvertrag mit den Erben von Doktor Huber zu unterschreiben. Ich habe das Haus des verstorbenen Landarztes erworben und werde mich hier in einigen Monaten niederlassen. Aber jetzt muss ich zurück nach München.«

      »Erst nach einem zweiten Cappuccino!«, bestimmte Stefan sofort. »Damit feiern wir den neuen Landarzt!« Er ging, um drei neue Tassen zu holen und Marie Zeit zu lassen, ihre Riesenfreude über die Neuigkeit auszudrücken.

      »Ja, ich habe mich entschlossen, meinem Leben einen neuen Impuls zu verleihen!«, erzählte der zukünftige Landarzt gut gelaunt. »Es sind private Gründe, aber ich habe mich auch in die Umgebung von Altendorf verliebt. Deshalb fuhr ich die Landstraße entlang. Vor mir bummelte ein Auto genauso, und plötzlich sah ich, wie ein Kind auf einem Fahrrad die enge Kurve schnitt, der Limousine im letzten Moment ausweichen musste und kopfüber mit dem Fahrrad von der Straße in eine Gruppe Bäume stürzte. Was dann geschah, wissen Sie. Reserl war benommen, aber sie konnte mir ihren Namen nennen.« Er schmunzelte. »Von dem Polizeibeamten erfuhr ich erst, wie bekannt Sie hier sind.«

      Stefan nickte nachdenklich. Er sah Marie an. Wie sie den neuen Landarzt anstrahlte! Wie gut, dass sie nicht wusste, wer da vor ihr saß!

      »Wir werden Sie jederzeit gern bei uns oben als Gast sehen!«, versprach sie. »Und Ihnen auch jeden anderen Wunsch gern erfüllen, wenn Sie sich hier niedergelassen haben.«

      »Ja, Herr Doktor. Das werden wir!«, bestätigte Stefan. Dann blickte er auf die Uhr und erinnerte Marie daran, dass sie gewiss schon zu Hause erwartet wurde, um Wilma, Jossi und Dany von Reserls wunderbarer Rettung zu berichten.

      »Und du?«

      »Ich werde Telefonnummern und alles andere mit Doktor Bahring austauschen und komme dann gleich nach.«

      Kurz darauf verließen sie das Klinikum. Bevor Marie in ihren Wagen stieg, fragte sie Doktor Bahring, ob sie denn die frohe Kunde von dem Landarzt verbreiten dürfe. Und da nahm er ihre Hand, hauchte galant einen Kuss darauf und versicherte fröhlich, einen netteren Dienst könne sie ihm gar nicht erweisen.

      »Sie haben eine zauberhafte Frau, Baron!«, meinte er galant, als sie beide ihrem Wagen nachsahen.

      »Ja. Und wenn Reserl wieder bei uns ist, sind wir restlos glücklich!«

      »Sie nehmen sich viel Zeit für Ihre Familie, Baron?«

      »So viel ich kann. Es gibt nichts Schöneres, als an der Seite einer geliebten Frau die Kinder aufwachsen zu sehen.«

      Ohne etwas zu erwidern, griff Frank Bahring in seine Brusttasche. Er entnahm ihr eine Sonnenbrille, bemerkte die Bändchen, stopfte sie geistesabwesend tiefer in die Tasche und setzte die Brille auf. Dann blickte er nachdenklich zum Himmel, als sei er ganz allein auf der Welt.

      »Sie haben bis jetzt nicht viel Zeit für Ihre Familie gehabt?«, fragte Stefan nach einer Weile.

      »Nein.« Franks Stimme klang brüchig. »Als meine Frau mich verließ, habe ich versucht, wenigstens für meine Kinder da zu sein. Aber es war zu spät. Sie sind zu meiner geschiedenen Frau nach England gezogen.« Er nahm die Brille ab und sah Stefan mit wehmütigem Lächeln an. »Es hat Jahre gedauert, bis ich einen Menschen fand, für den es sich lohnte, noch mal ganz von vorne zu beginnen. Diesen Menschen will ich nicht verlieren. Deshalb werde ich mich hier niederlassen, in der Nähe dieses Menschen.«

      »Dieser Mensch ist eine Frau und heißt Anette!«

      »Sie kennen Anette, Baron?« Frank Bahrings Gesicht erstarrte.

      »Anette ist eine enge Freundin meiner Frau. Ja, und wir wünschen ihr alles Glück der Welt. Aber zwischen Ihnen, Verzeihung, muss wohl was schiefgelaufen sein!«

      »Hat sie Ihnen erzählt, was ich ihr verschwiegen habe?« Stefan konnte nicht anders als nicken. »Können Sie sich vorstellen, dass ich nur aus Furcht, sie zu verlieren, schwieg? Kennen Sie das Gefühl der Unsicherheit, das einen Mann beschleicht, der einmal an sich gezweifelt hat?«

      »Haben Sie denn an Anettes Liebe gezweifelt?«

      »Nicht eine Sekunde, bis zu dem Moment, als ich ihr die Wahrheit sagte.«

      Stefan schob seinen Arm unter Franks. Er fragte, wo sein Wagen stehe, und begleitete ihn dahin. »Folgen Sie mir nach Altendorf. Ich werde bei Anette klingeln, um ihr von Reserls Unfall und Zustand zu erzählen. Anette liebt Reserl. Sie wird mir öffnen, und Sie werden mich begleiten!«

      »Aber sie will mich nie wiedersehen! Ich habe mir vorgenommen, Sie einige Monate in Ruhe zu lassen.«

      »Das war falsch, Herr Doktor!«, entschied Stefan und ging zu seinem Wagen.

      *

      Anette spürte schnell, dass der Abend noch lange hell blieb, aber es schnell zu kalt wurde, um sich von ihrem kleinen Schlafzimmerbalkon dem Lauschen der Amselmelodie hinzugeben. Die Amsel saß in dem einzigen Baum hinter dem Apothekerhaus und war leicht zu entdecken, weil das Laub noch nicht dicht genug war. Anette wollte ihr zuhören und sie dabei beobachten, weil sie glaubte, das könne sie beruhigen.

      Nur klappte das nicht. Sie zitterte nun auch noch vor Kälte. Dagegen half auch nicht die Wolldecke, die sie von ihrem Bett raffte. Das Zittern kam aus ihrem Inneren. Es war eben eine hartnäckige Unruhe, die sie umtrieb, solange sie nicht wusste, was mit Reserl geschehen war und wie es ihr ging.

      Reserl, die Älteste von Marie und Stefan Weißenberg, dieses aufgeweckte Kind mit den langen, seidigen Haaren und den blauen Augen ihres Vaters befand sich in der Traunsteiner Klinik. Ob sie dort anrief und um Auskunft bat? Aber die würde man ihr nicht geben, auch, wenn sie behauptete, eine enge Freundin der Patientin zu sein.

      Sie zog die Decke fester um sich. War Reserl noch ihre kleine Freundin? Seit zwei Monaten, als sie im Internet nach einem Ehepaartner zu suchen begann, war Anette nicht mehr auf dem Weißenberg-Hof gewesen. Jetzt wusste sie plötzlich, wie sie Reserls neugierige Fragen und ihr Lächeln vermisste, wenn sie der Zehnjährigen etwas erklärt hatte. Ob Reserl immer noch so ungeduldig auf das neue Schuljahr im Herbst wartete? Hoffte sie auch noch darauf, Anette dann als Klassenlehrerin zu bekommen?

      Während sie sich diese Fragen stellte, spürte Anette, wie sich der eigene Kummer von der Sorge um die Tochter ihrer Freunde Marie und Stefan verdrängen ließ. Wie gern hätte sie Marie getröstet oder den wortbrüchigen Stefan mit einigen Worten des Mitgefühls verziehen. Nur wagte sie nicht mehr, ihn anzurufen. Und was würde Marie sagen, wenn sie sich nach so langer Zeit bei ihr meldete, als sei nichts geschehen? Ob sie ihr trotz der Sorge um Reserl mit kalter Stimme das Fernbleiben bei den Chorproben vorwarf? Aber spielte das noch eine Rolle, wenn Reserl in Lebensgefahr schwebte?

      Sie


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