Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Was Fehlhauser zu sagen wußte
Endlich einmal hatte auch Lanken seine Sensation und gleich was für eine! – Ein veritabler Berliner Kriminalbeamter wohnte seit vier Tagen im ›Deutschen Kaiser‹ und spürte dem Verbrecher nach, der unter so unglaublichen Begleitumständen den Tresor des Herrn Landrats ausgeraubt hatte, während sich eine Etage tiefer die Maskenpaare im Tanze drehten. Die braven Lankener kamen aus der Aufregung gar nicht heraus. Die ungeheuerlichsten Gerüchte schwirrten umher. Wo der arme Fehlhauser sich zeigte, wurde er angestarrt wie ein Wundertier. Leute, die den Polizeiinspektor Gruber bisher kaum gekannt hatten, drängten sich jetzt förmlich an ihn heran, um ihm irgend eine Neuigkeit zu entlocken. Dabei wußte Gruber so gut wie nichts, trotzdem er sich den Anschein gab, als ob ›der Berliner‹ Hand in Hand mit ihm arbeitete. Das gerade Gegenteil war der Fall. Fehlhauser weihte niemanden in das bisherige Resultat oder in seine weiteren Absichten und Pläne ein. Stumm, leidenschaftslos und kühl berechnend sammelte er seine Beweise gegen den Schuldigen. Eine harte Arbeit war’s für ihn, der in der Stadt völlig unbekannt war und sich daher oft nach Kleinigkeiten erkundigen mußte, die jeder Gassenjunge wußte. Trotzdem war er unermüdlich tätig. Seine Berufsehre stand ja auf dem Spiel. Arglos, zu arglos war er dem gewalttätigen Verbrecher in die Falle gegangen. Durch seine Schuld – denn diese Unvorsichtigkeit war ein grober Fehler gewesen, den er sich selbst nicht verzieh – hatte der Gauner Banknoten und Juwelen im Werte von beinahe dreißigtausend Mark erbeutet. Diese Rechnung mußte er mit dem gewiegten Spitzbuben ausgleichen, koste es, was es wolle. Es war also nicht niedriges Rachegelüst, was des Kommissars Eifer ständig frisch erhielt und ihn Tag und Nacht an diesem neuen Kriminalfall arbeiten ließ. –
Der fünfte Morgen nach jenem Maskenfest beim Geheimrat von Oppen war angebrochen. Fehlhauser saß in seinem Hotelzimmer am Schreibtisch und überflog nochmals seine Aufzeichnungen, die er heute dem Staatsanwalt vorlegen wollte. Sein Werk war getan. Mehr Belastungsmaterial, als er gegen die eine Person zusammengetragen hatte, ließ sich überhaupt nicht herbeischaffen. Davon war er überzeugt.
* * *
Das Landgerichtsgebäude in Lanken, in dem auch die Bureaus der Staatsanwaltschaft untergebracht waren, wirkte mit seiner niedrigen, unschönen Straßenfront und den vergitterten kleinen Fenstern wie ein düsteres Gefängnis. Fehlhauser wußte in dem alten Steinkasten mit den ausgetretenen Treppen bereits vollkommen Bescheid. Er suchte ja nicht zum ersten Mal den Staatsanwalt Euler zu einer dienstlichen Besprechung auf. Dieser, ein noch junger Mann mit einem sympathischen Gesicht, hatte soeben erst sein Bureau betreten, als einer der Gerichtsdiener ihm den Kommissar meldete.
Nach kurzer Begründung nahmen die beiden Herren an dem in der Mitte des Zimmers stehenden großen Tische Platz.
»Nun, Herr Kommissar,« begann Euler sofort, »Sie machen ja heute ein so feierliches Gesicht. Ist für mich die Zeit des geduldigen Wartens vorüber und wollen Sie mir nun endlich mitteilen, auf wen sich Ihr Verdacht gelenkt hat?« – Das sollte scherzhaft klingen, und doch lag in dem Ton etwas wie ein leiser Vorwurf.
»Haben Sie von den Gerüchten gehört, Herr Staatsanwalt, die in der Stadt im Umlauf sind?« fragte Fehlhauser ernst, ohne eine direkte Antwort zu geben.
»Was gehen uns die Redereien an! Müßiges Geschwätz, – weiter nichts!« meinte Euler wegwerfend.
»Die allgemeine Meinung, – die sogenannte Stimme des Volkes, hat oft genug schon das Richtige getroffen,« entgegnete der Kommissar mit Nachdruck.
Der Staatsanwalt schaute sein Gegenüber fast erschreckt an.
»Soll das etwa heißen, daß an diesen Gerüchten, die als den Täter einen Angehörigen der ersten Kreise hinstellen, etwas Wahres ist?« fragte er dann erregt.
Fehlhauser nickte. »Leider, Herr Staatsanwalt, leider. – Ich möchte Ihnen jedoch, bevor ich auf den Hauptpunkt unserer heutigen Unterredung eingehe, einige Aufklärungen geben. Sie scheinen es mir etwas verargt zu haben, daß ich mich auch Ihnen gegenüber hinsichtlich meiner Ermittlungen so gänzlich ausgeschwiegen habe. Aber ich mußte gerade in diesem Falle mit größter Vorsicht zu Werke gehen. Niemand von all den Personen, die ich bisher vernommen habe, durfte ahnen, was ich mit meinen Fragen bezweckte. Doppelt wunderbar ist es daher, daß trotzdem so zutreffende Gerüchte laut werden konnten. Vielleicht ist der Täter hierdurch gewarnt worden, – vielleicht, wenn ich’s auch nicht glaube. Ich jedenfalls durfte ihm auch nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme geben, daß die Behörde sich mit seiner Person näher beschäftigte. Und um dies ausführen zu können, mußte ich auch Ihnen gegenüber mich in Schweigen hüllen.«
Fehlhauser machte eine kleine Pause.
»Nehmen wir einmal an, Herr Staatsanwalt,« fuhr er dann fort, »ich hätte Ihnen z.B. gleich bei unserer ersten Besprechung vor vier Tagen gesagt, daß ich den Grafen Axel Kaisenberg für den seit einem halben Jahr so eifrig gesuchten Spitzbuben halte.«
Euler fuhr auf.
»Axel Kaisenberg? Habe ich richtig gehört?«
»Allerdings. – Doch erledigen wir zuerst das begonnene Thema. – Wenn Sie nun also gewußt hätten, welche Verdachtsgründe gegen den jungen Grafen vorliegen, wäre es Ihnen dann möglich gewesen, ihm wie bisher freundschaftlich die Hand zu schütteln und völlig harmlos zu tun? – Sie sind doch in den letzten Tagen mit Axel Kaisenberg mehrmals in den Müllerschen Weinstuben zusammengetroffen. Hätten Sie da wohl so tadellos den gänzlich Ahnungslosen spielen können, wenn ich Sie vorher eingeweiht haben würde?«
»Hm. So unrecht haben Sie nicht,« mußte Euler zugeben. »Schauspielern ist immer meine schwache Seite gewesen.«
»Nun also! Wie gut, daß ich schwieg. Gerade aus Ihrem unveränderten Benehmen wird der junge Graf schließen, daß auf ihn noch keinerlei Verdacht gefallen ist. Vielleicht läßt er sich daher jetzt desto leichter überrumpeln.«
»Aber so sagen Sie mir doch nur endlich, wie Sie gerade auf den Kaisenberg gekommen sind!« rief Euler kopfschüttelnd. »Mein Verstand will das gar nicht recht fassen. Und doch, wenn Sie so etwas behaupten, werden Sie ja wohl Ihre Gründe haben.«
Fehlhauser hatte jetzt seine Aufzeichnungen hervorgeholt und reichte sie dem Staatsanwalt über den Tisch hin.
»Hier finden Sie die sämtlichen Verdachtsmomente zusammengestellt,« erklärte er. »Lesen Sie sich alles in Ruhe durch. Ich werde inzwischen diesen anscheinend ganz neuen Kommentar zum Strafgesetz durchblättern.«
Euler hatte den ersten Bogen entfaltet. Als Überschrift stand darauf:
Untersuchungssache gegen den Grafen Axel Kaisenberg wegen fünf Einbruchsdiebstählen und einem Fall von gefährlicher Körperverletzung.
Dann reihten sich Punkt für Punkt folgende Ausführungen an.
1. An den Abenden, an denen die fünf Einbruchsdiebstähle verübt wurden, war regelmäßig der Angeschuldigte als Gast in dem betreffenden Hause anwesend. –
2. Die Art der Ausführung der Diebstähle zeigt, daß der Täter einmal eine so genaue Kenntnis von den örtlichen Verhältnissen in den betreffenden Häusern besaß, wie sich ein gewöhnlicher Einbrecher eine solche nie hätte verschaffen können, dann aber auch, daß er ebenso genau wußte, wo er Geld und Geldeswert zu suchen hatte. Mithin kommt nur eine Person in Betracht, die die betreffenden Familien seit längerer Zeit genau kannte. – Dies trifft bei dem Angeschuldigten zu.
3. Graf Axel Kaisenberg ist ein leidenschaftlicher Spieler. Er hat fast regelmäßig mit Verlust gespielt und Summen verloren, die seine Gesamteinkünfte weit übersteigen. Dies wurde mir durch Geheimrat von Oppen bestätigt. Der ältere Graf Kaisenberg ist nie in der Lage gewesen, die Spielschulden seines Stiefbruders begleichen zu können, sondern hat ihm nur gelegentlich mit kleineren Summen ausgeholfen. Trotzdem hat Graf Axel seine Verpflichtungen regelmäßig innerhalb von drei Tagen beglichen. Durch vorsichtiges Ausforschen des Geheimrats von Oppen ist nun festgestellt worden, daß zwei der Einbrüche, die beim Baron von Alten und bei Herrn von Redern, ausgeführt